Christentum und Europa. Группа авторов

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Christentum und Europa - Группа авторов страница 32

Christentum und Europa - Группа авторов Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)

Скачать книгу

Staatsfeinde oder aber einen bestens von Rom aus zentral regierten, universalen tridentinischen Einheitskatholizismus. Dass auch der frühneuzeitliche Katholizismus hochkomplexe binnenkonfessionelle Diversitäten aufwies, langfristige theologische Klärungsdynamiken durchlief und ganz unterschiedliche Realisierungsformen des Konfessionellen entwickelte, sollte aus unterschiedlichen ideologischen und forschungsstrategischen Gründen lange Zeit nicht in den Blick geraten.

      Inzwischen haben neuere europäische Religionsgeschichten etwa einen so genannten »mediterranen Katholizismus« (in Italien, Spanien, Portugal) identifiziert, in dem beinahe ungestört durch alternative Konfessionen mittelalterliche Frömmigkeitsformen weiter gepflegt werden konnten und wo eine südländische Mentalität der »Muße und Verschwendung« sich obrigkeitlichen Disziplinierungsmaßnahmen weitgehend verschloss.11 Daneben etablierte sich in Frankreich ein ganz anderer, als »klassizistisch« etikettierter, königlich-staatskirchlicher, gallikanischer Katholizismus, der als ausgesprochen diszipliniert und vom Mittelalter gereinigt gilt.12 Eine weitere, besonders komplexe Sonderform stellt bekanntlich der reichskirchliche Katholizismus mit seinem feudalen Rekrutierungssystem, seiner spezifischen Symbiose von geistlich-weltlicher Gewalt und der einzigartigen multikonfessionellen Konkurrenzsituation dar.13 Bei derartigen lokal-regionalen Ausprägungen spielt der Faktor obrigkeitlicher Förderung einzelner Varianten des Katholischen doch offensichtlich eine ganz erhebliche Rolle, weswegen die Frage nach den politisch-territorialen Rahmenbedingungen des Konfessionellen auch nach der Konfessionalisierungsforschung nicht außer Acht gelassen werden sollte.

      Pluralitätsgenerierend sind jedoch nicht nur die verschiedenen Kontexte, in die hinein das Konfessionelle sich ausprägt. Die neuere theologie- und kirchenhistorische Katholizismusforschung hat gleichsam am Fundament des Katholischen selbst, an dem, was gemeinhin als doktrinäre Grundlage betrachtet wird, auf der sich eine homogene tridentinisch-katholische Konfessionskirche erheben sollte, also am Lehrkorpus des Konzils von Trient, große Deutungsoffenheit, weite Spielräume, eine bewusst vage Terminologie und durchaus immer wieder auch einen Habitus entdeckt, den Protestanten weitestmöglich theologisch entgegenzukommen.14 Dieses Konzil hat keineswegs eine so geschlossene, in sich kohärente, systematische, monolithische, dezidiert anti-protestantische Dogmatik verabschiedet, wie es die religiösen und politischen Obrigkeiten des 16. und 17. Jahrhunderts und auch die Konfessionalisierungsforscher gerne gehabt hätten.

      Dementsprechend erscheint auch die Rezeptionsgeschichte Trients in ganz anderem Licht:15 Es gibt heute eigentlich keinen ernstzunehmenden Historiker mehr, der die alte Meisterzählung der ungebrochenen Erfolgsgeschichte katholischer Reform weiterschreibt, nach der die in Trient verabschiedeten doktrinären und disziplinären Dekrete unmittelbar von den kirchlichen Obrigkeiten in Kooperation mit den katholischen Landesherren eins zu eins umgesetzt wurden und auf diese Weise schon im 17. Jahrhundert überall im katholischen Europa und in der Neuen Welt eine einheitliche tridentinische Konfessionskirche mit in Glauben und Lebensform allseits normierten Konfessionskatholiken entstanden ist. Allem voran wurde das lange Zeit kolportierte Bild einer zentralistisch durchgesetzten »ehernen Einheitsliturgie« zerstört und durch eine Vorstellung ersetzt, die auch die posttridentinische Liturgiegeschichte gekennzeichnet sieht von zahlreichen lokalen Eigenliturgien und von sehr eigenständig durchgeführten liturgischen Reformen in den Ortskirchen.16

      Trotz – oder gerade aufgrund – der Offenheit des Tridentinums selbst bildete dieses Konzil einen orientierenden und stabilisierenden Referenzpunkt für die sich bildende katholische Konfession. Während die Protestanten ihre Konfession im Medium der Erinnerung an Luther oder an einen der anderen Reformatoren errichteten, hatten die Katholiken ihr Ereignis Trient, mittels dessen sie sich ihrer selbst vergewissern und auf das sie sich bei allen möglichen Aktionen berufen konnten. Das ambigue Trient war verhandelbar und konnte in den unterschiedlichen katholischen Interpretationsgemeinschaften ganz variabel angeeignet, umgedeutet, implementiert werden. Weil aber die Wirklichkeit des historischen Konzils viel zu widersprüchlich und komplex war, bildeten sich mehrere elementare »Grundformeln von Trient«, komplexitätsreduzierende Symbolerzählungen, tridentinische Gründungsmythen heraus, die den Katholizismus einten und gleichzeitig binnenkonfessionelle Pluralität ermöglichten. Dezidiert episkopale Trientdeutungen standen neben mehr oder weniger subtilen papalistischen Reinterpretationen.17

      Aber kommen wir noch einmal zurück zu dem, was ich unter Verwendung eines übergreifenden Kulturbegriffs als das konfessionskulturelle Grundcharakteristikum des Katholizismus auszumachen versuchte: eine präsentische, handlungsorientierte, institutionskonsolidierende Symbolverwendung. Auch diesbezüglich wird man innerhalb des frühneuzeitlichen Katholizismus Gruppen, Netzwerken, Milieus und Einzelpersönlichkeiten begegnen, die sich für gut katholisch hielten und doch gerade in diesem Punkt praktisch wie theoretisch erheblich und entschieden voneinander abwichen. Ein Blaise Pascal (1623–1662) war genauso katholisch und konnte es bis zum Tod bleiben wie der sich öffentlich selbstgeißelnde Jesuitenprediger Paolo Segneri (1624–1694). Zwischen der Spiritualität der französischen Jansenisten oder den italienischen Quietisten und ihren Sympathisanten überall in Europa auf der einen Seite des Spektrums und der von den Jesuiten geförderten landläufigen Volksfrömmigkeit auf der anderen Seite liegt ein weites Feld höchst differenter Bestimmungen des Symbolischen. Ja, selbst innerhalb des Jesuitenordens tobte bis weit über das Generalat des Claudio Aquaviva (1543–1615) hinaus ein äußerst heftiger Streit über die mystische Ausrichtung ignatianischer Spiritualität, der die Societas Jesu an den Rand einer Spaltung führte.18 Und in diachroner Betrachtung wird man auch innerhalb der Katholizismusgeschichte eine sich wiederholende Abfolge von Konjunkturen des Rituellen (etwa im Barockkatholizismus) und von eher ritualkritischen, ikonoklastischen Phasen (etwa bei den katholischen Aufklärern) beobachten können. Und doch verbindet es alle Katholiken, dass sie über den Status des Signifikanten kontrovers streiten, ihn systemisch stets mit einzubinden haben und sich in ständiger Auseinandersetzung befinden über dieses Zentrum katholischer Spiritualität. Dass eine Spielart des Jesuitischen schließlich im Laufe des 17. Jahrhunderts zur dominierenden Symbolkultur innerhalb des Katholizismus werden und über weite Strecken die Mainstream-Frömmigkeit bestimmen sollte, hatte ganz wesentlich mit obrigkeitlicher Förderung (römischer wie fürstlicher) zu tun. Auch aus diesem Grund darf die Dimension von Macht auch in kulturhistorischer Analyse nicht aus dem Blickfeld geraten.

       4. Konfessionen als Konfliktgemeinschaften

      Für das ungelöste Problem, wie sich angesichts all der binnenkonfessionellen Pluralitäten dennoch die Einheit einer Konfession begreifen lässt, scheint mir die soziologische Konflikttheorie von Georg Simmel (1858–1918) weiterführend und auch kulturwissenschaftlich reformulierbar zu sein.19 Konflikte, Streit und Antagonismen müssen soziale Einheiten nicht dysfunktional in jedwedem Fall zersetzen, sondern können sie geradezu erzeugen und dauerhaft begründen. In diesem Sinne wäre von Konfessionskulturen in einem dialektischen und paradoxen Sinn als von Konflikteinheiten zu sprechen. Zugespitzt formuliert, bestünde die Einheit der Konfessionen in der Zwietracht und folgte daraus. Konfessionen sind dann komplexe, differenzierte Personengruppen, die aus divergierenden und konvergierenden Elementen bestehen. Gerade der Streit um dieselbe Sache trennte und einte sie zugleich als Konfliktgemeinschaft. Konfessionen sind als Diskurs- und Handlungsfelder zwischen Individuen oder Institutionen anzusehen, die »miteinander um ein und dieselbe Sache konkurrieren«20. Zur selben Konfession gehörte, wer miteinander über dieselbe Sache stritt, wer sich dieselben Disputanten wählte und wer seine Position als eine legitime Ausdrucks- und Auslegungsform seiner eigenen, distinkten Konfession begriff. Eine Grenze des Katholischen vermochte lediglich die (durchaus kontingente und situativ schwankende) Konstruktion des Nicht-Katholischen zu markieren. Mit anderen Worten: Innerhalb der katholischen Konfessionskultur schien vieles, fast alles möglich, nur protestantisch sollte es nicht genannt werden dürfen. In aller Vielfalt gab es freilich dominante Mainstream-Positionen, die obrigkeitlich begünstigt wurden. Aber jenseits dessen existierte eine Fülle von Alternativen. In der Mitte tummelten sich die vielen, aber zwischen den Rändern und Grenzen lag ein weites Feld.

      Forschungsstrategisch

Скачать книгу