Christentum und Europa. Группа авторов

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Christentum und Europa - Группа авторов Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)

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Beziehung Europas auf die Theologie hat der andere große essayistische Analytiker des Europäischen, Rémi Brague, sehr direkt mit dem Christentum verbunden. Seiner Auffassung nach ist das Christentum als Religion der Ermöglichungsgrund Europas, insofern die Zusammenführung der Bürger des Römischen Reiches und der einwandernden Barbaren »durch die Teilhabe an einem einzigen Glauben«5 erfolgte. Wäre nach Brague diese Leistung durchaus auch von einer anderen Religion zu erbringen gewesen, so setzt das Christentum als bestimmte Religion doch zwei Bewegungen in Gang, die für Europa konstitutiv sind. Weil im Zentrum des Christentums nicht die Offenbarung einer Botschaft oder eines Buches steht, sondern eine Person, kann die Botschaft, wie sie in der Bibel bezeugt ist, in viele Sprachen übersetzt werden, und kann jede Kultur »gleiche Dignität« erhalten: »Jedes Volk steht unmittelbar zu Gott.«6 Dies wiederum ermöglicht nach Brague die »Entflechtung des Nationalen und des Religiösen«7, die – so muss man gleich hinzufügen – im Christentum zu einer Vielfalt von neuen Konstellationen von Nationalem und Religiösem geführt hat, die allerdings auch bei den größten Annäherungen stets die Nicht-Identität von Nation und Religion voraussetzen. Die zweite Dynamik, die mit dem Christentum als einer bestimmten Religion verbunden ist, ist nach Brague, dass entgegen der kulturgeschichtlich dominanten Modelle der »Einverleibung« und »Verdauung« das Christentum das Gedankengut der Antike »als Fremdes bewahrt« und so – nach Bragues Analyse – »das Modell seines Verhältnisses zum früheren Judentum auch auf den Bereich der profanen Kultur angewandt«8 hat. Damit ist allerdings für Brague noch nicht das Spezifische des Beitrags des Christentums zur Entstehung Europas benannt. Auf die Frage »Wozu dient das Christentum?« formuliert er:

      »Das Christentum beansprucht nicht, der Kultur neue Inhalte zu geben. Es liefert eine neue Perspektive. Die christliche Revolution ist sozusagen eine phänomenologische. Sie besteht darin, das bisher Unsichtbare sichtbar werden zu lassen […] Das Ganze tritt in die Sichtbarkeit.«9

      Die eigentliche Pointe ist aber erst zu erfassen, wie Brague unter Aufnahme von Erich Auerbachs Hauptwerk Mimesis zeigt, wenn man sich klar macht, dass das Charakteristische und zugleich Anstößige der Art, wie das Christentum das Ganze sichtbar macht, darin besteht, dass das Erhabene, der Gegenstand des sermo gravis vel sublimis, im Niedrigen porträtiert wird, im sermo remissus vel humilis.10 Der gekreuzigte Christus ist so die Darstellung des Wesens des erhabenen Gottes und zugleich das Modell des Menschlichen. Die Menschenwürde am Ort ihrer äußersten Verletzung wahrzunehmen, das ist für Brague der Kern der Phänomenologie des Christentums: »Menschliches zu sehen auch dort, wo die Anderen nur Biologisches, Wirtschaftliches oder was auch immer vernehmen.«11 Diese Sicht des Menschlichen ist allerdings von der bestimmten Sicht des Wesens Gottes abhängig, die der christliche Glaube bekennt.

      Diese beiden Skizzen zur Charakterisierung des Europäischen sind sicherlich in mehrfacher Hinsicht zu ergänzen. Es ist im Sinne konstruktiver Erweiterung zu betonen, dass Europa nicht aus seinen christlichen Wurzeln allein zu bestimmen ist. Die religiösen Wurzeln des Christentums liegen außerhalb Europas. Genauer müsste man von einem Wurzelgestrüpp sprechen, in dem von Anfang an christliche Elemente mit denen anderer Religionen verwoben sind. Zu einer europäischen Religion wird es durch eine Reihe von »kulturellen Kompromissen«, in denen stets Elemente der Bejahung und Elemente der Verneinung, der Anlehnung und der Abstoßung verbunden sind. Die Geschichte dieser kulturellen Kompromisse ist die Kulturgeschichte Europas. Andererseits ist hervorzuheben, dass sich diese Geschichte nicht auf das Christentum beschränkt. Die Kulturgeschichte des Christentums ist von Anfang an, in jeder ihrer Epochen, die Geschichte der kritischen Auseinandersetzung mit dem Judentum und dem Islam. Diesen, die Geschichte Europas begleitenden, ja geradezu konstituierenden Dialog, der oftmals im Kontext gewaltsamer Auseinandersetzungen abläuft, kritisch zu rekonstruieren ist die Aufgabe, der sich die christliche Theologie ebenso wie die jüdische und islamische Theologie heute im interreligiösen und interdisziplinären Gespräch stellen müssen. Dabei ist von allergrößter Bedeutung, dass sich die Religionen nicht über sich selbst zu verständigen suchen, sondern ihren, für sie konstitutiven referentiellen Charakter ernst nehmen. Ihrem jeweiligen Selbstverständnis nach können alle drei monotheistischen Religionen für sich keine Absolutheit beanspruchen, sondern sind höchst relative Größen, die von der Offenbarung Gottes abhängig sind und in dieser ihren Grund und ihre Grenze anerkennen. Der Streit um die Absolutheit des Christentums ist darum ein Streit um eine falsch gestellte Frage. Aus der Perspektive der Religionen ist allein Gott absolut, und die Absolutsetzung der eigenen Religion Götzendienst. Aus der Perspektive der Religionen und der in ihnen kultivierten Theologien ist das Thema nicht primär das Christentum, das Judentum oder der Islam und Europa, sondern Europa und Gott. Erst sekundär, wiederum auf Grund des für sie konstitutiven Selbstverständnisses ihrer externen Konstitution, kommen dann wieder die Religionen in den Blick.

       2. Dimensionen und Dialektiken der Säkularisierung

      Nun ist gerade dieses Zwischenergebnis mit der kritischen Frage konfrontiert, ob hier nicht übersehen werde, dass die Formulierung – Europa ohne Gott? – eine hoffnungslos vormoderne Fragestellung ist, welche die für die Moderne charakteristische Säkularisierung aus Ignoranz oder Obskurantismus übersehe. Nun hat die Diskussion um die Säkularisierung in den letzten Jahrzehnten ein sehr verändertes Bild unserer Zeit als eines säkularen Zeitalters hervorgebracht. Charakteristisch dafür ist, dass die Differenzierung, die als Differenzierung gesellschaftlicher Funktionen vielleicht der wichtigste Pfeil im Köcher der Säkularisierungstheorien ist, nun auf die Phänomene, die Kontexte der Säkularisierung und die Theorien der Säkularisierung selbst angewandt werden. Das Resultat ist ein pluralistisches Bild der Genealogien der Säkularisierung, das ein ebenso pluralistisches Bild der Phänomene der Säkularisierung eröffnet. Gerade damit verändert sich das Verständnis unserer Zeit als eines säkularen Zeitalters und so auch das Verständnis der Bedeutung von Religionen und Theologien für Europa.

      Auch hier erweisen sich zwei Gesprächspartner als besonders hilfreich für die Diagnose unserer Zeit als eines säkularen Zeitalters. Der eine ist Charles Taylor mit seiner großen Genealogie A Secular Age.12 Entscheidend ist, dass Taylor Säkularität weder als die Entlassung der Religion aus einer Sphäre des öffentlichen Lebens nach der anderen (Peter Berger), noch als Verlust der sozialen Bedeutung religiösen Glaubens und religiöser Praxis (Bryan Wilson) interpretiert, sondern statt dessen nach den Bedingungen der Erfahrungen des Spirituellen und der Suche nach dem Spirituellen fragt, die es möglich machen, von unserem Zeitalter als einem »säkularen Zeitalter« zu sprechen.13 Diese Bedingungen liegen nach Taylor keinesfalls außerhalb der christlichen Religion. Sie sind in ihr als die Transformationen des Strebens nach Reform zu identifizieren, die schließlich den religiösen Rahmen sprengen, in dem sie zuerst vorgestellt wurden und uns nun mitsamt der sie konstituierenden Glaubensvorstellungen und -praktiken im »Rahmen der Immanenz« (immanent frame) lokalisieren. Dieser Rahmen erweist sich aber gerade unter den Bedingungen des säkularen Zeitalters erneut offen für Religion in allen ihren Gestalten – nicht zuletzt für Taylors eigenen römisch-katholischen Glauben. Religion ist somit nicht einfach ein auf die Entwicklung der Gesellschaft, der Wissenschaften, der Selbstdeutung der Menschen reagierender Faktor, sondern ein ebenso aktiv initiierender wie passiv reagierender Faktor, stets in realer Interaktion mit den anderen Strömungen der gesellschaftlichen Entwicklung begriffen. Die Bedingungen der Möglichkeit und die Motive der Säkularisierungsprozesse selbst können nur im Christentum klar lokalisiert werden und sind auch in ihren »säkularen« Formen offen für eine christliche Begründung. Verabschiedet ist damit nicht nur die Vorstellung der Säkularisierung als eines alle gesellschaftlichen Interaktionsbereiche umfassenden, unumkehrbaren Prozesses (selbst eine meta-theologische säkularisierte Form christlicher Heilsgeschichte), sondern zugleich auch die notwendige Verknüpfung von Modernisierung und Säkularisierung. Diese mag in Westeuropa geradezu selbstevident erscheinen, lässt sich aber, wie José Casanova betont hat, in anderen Weltgegenden und Gesellschaftskonstellationen nicht in derselben Weise nachweisen.14

      Vor dem Hintergrund

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