Christentum und Europa. Группа авторов

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Christentum und Europa - Группа авторов Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)

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Bürgerinnen und Bürger, mitsamt ihrer jeweiligen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen zu verstehen, das ist die Herausforderung für ein Europa, das die Rede von Gott nicht vom öffentlichen Diskurs ausschließt.

      Was an den scheinbaren Selbstverständlichkeiten Europas würde dadurch kritisch in Frage gestellt, was würde konstruktiv zur Diskussion gestellt? Kritisch in Frage gestellt würde die absolute Gültigkeit dessen, was Charles Taylor den »immanent frame« des säkularen Selbstverständnisses genannt hat. Konstruktiv ermöglicht würde der dialogische Austausch darüber, wie die immanenten Interaktionsstrukturen der staatlichen Ordnungen in Beziehung zu den konkreten religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen der Bürger und Bürgerinnen verstanden werden, die im Judentum, Christentum und Islam die Transzendenz konkreter Gottesverständnisse und ihre Auswirkungen auf das Verständnis von Welt und Mensch einschließen. Das spezifische Profil Europas ist in diesem Verständnis nicht eine wie auch immer geartete europäische Mehrheitskultur, sondern die Pflege eines dialogischen Pluralismus als Basis der Kooperation der Menschen unterschiedlicher Basisüberzeugungen zum Gemeinwohl.31 Dabei ist zu berücksichtigen, dass der primäre Ort, an dem die Doppelsicht der Religionen immer wieder neu eingeübt wird, nicht der öffentliche Austausch der unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen ist, sondern der Gottesdienst, in dem sich die religiöse Sicht auf Mensch und Welt im Dialog mit Gott immer wieder erneuert. Die Religionsfreiheit in ihrer individuellen und korporativen Form ist darum der Maßstab der Pluralismusfähigkeit des Staatswesens, auch in Europa. Die Garantie der Religionsfreiheit macht deutlich: Die öffentliche Vernunft ist pluralistisch und dialogisch verfasst oder sie ist nicht öffentlich.

      Machen wir die Probe aufs Exempel, indem wir noch einmal auf George Steiners fünf Kriterien Europas schauen, nun aber in umgekehrter Reihenfolge. Das nach Steiner für Europa bestimmende Grundgefühl, in der Abenddämmerung zu leben, im Bewusstsein des Endes, ist aus der Doppelsicht der christlichen, aber auch der jüdischen und islamischen Tradition nicht durch das Gefühl der Erschöpfung gekennzeichnet, sondern durch das Bewusstsein, dass in der Endlichkeit der Geschichtszeit, christlich gesprochen: im Trachten nach dem Reich Gottes, in der vermeintlichen Abenddämmerung eine neue Welt am Morgen erwartet wird. Religiös gesehen bedeutet das, dass die Geschichte nicht in der Geschichte an ihr Ziel kommt – eine kritische Befreiung von allen Perfektionierungsträumen menschlicher Allmachtsphantasien. Die weitergehende Auseinandersetzung zwischen Athen und Jerusalem, die auch das geschichtliche Christentum nicht abschließend versöhnen konnte, bedeutet, dass die Suche nach der rationalen Erfassung der Wirklichkeit selbst eine unabgeschlossene Geschichte hat und die Frage nach der Versöhnung von Einheit und Vielfalt noch offen ist und darum im Judentum, Christentum und Islam an die Definition der Menschheit als im Dialog mit dem Transzendenten gebunden bleibt. In der Doppelsicht der Religionen ist der in der bebauten Welt Europas in den Namen der Straßen und Plätze allgegenwärtige Verweis auf den Club der toten Dichter und Denker nicht das Signum einer vergangenheitsfixierten Erinnerungskultur, sondern ein Hinweis auf die Ressourcen der Traditionen, die zur Bewältigung der Zukunft zur Verfügung stehen. Das begehbare Europa, das durch Fußwege verbunden ist, bleibt ein Ort leiblicher Begegnung von Personen – auch im Zeitalter der Allgegenwart virtuell medialer Vernetzung. Und solange Gott nicht durch weltanschaulich-religiöse Säuberungen vom Diskurs in Europa ausgeschlossen ist, bleiben die Diskussionen interessant und streitbar – auch im Kaffeehaus.

       Die christlichen Konfessionen als binnenplurale Konfliktgemeinschaften

       Günther Wassilowsky

      Das Thema soll im Folgenden die innerchristliche Pluralität sein – und zwar sowohl unter den verschiedenen christlichen Konfessionen als auch innerhalb der Konfessionsgemeinschaften selbst. Dass man dieses weite Feld auf die unterschiedlichste Weise beschreiten kann, steht außer Frage. Einem katholischen Kirchenhistoriker, der sich hauptsächlich mit der Frühen Neuzeit beschäftigt, wird man es nachsehen, dass er das Thema insbesondere für diese Epoche und primär aus der Perspektive der eigenen Konfession behandelt. Unser Kongress steht ja nun – durchaus nachvollziehbar – nicht gerade in Gefahr, dass Katholizismus-Themen überproportional großen Raum einnehmen würden. Ich will in diesem Beitrag vorstellen, wie das Thema von Einheit und Pluralität in der frühneuzeitlichen Kirchen- und Christentumsgeschichte methodisch innovativ in den Blick geraten kann und inwiefern ein neueres historiographisches Konzept zum konfessionellen Zeitalter, nämlich das der »Konfessionskultur«, zu einer angemesseneren Wahrnehmung von Pluralität sowohl innerhalb des Christentums insgesamt als auch innerhalb der einzelnen Konfessionen beitragen kann.

       1. Konfession und Kultur

      Während die Konfessionalisierungsforschung der 1980er und 1990er Jahre vor allem die sozialen und politischen Folgewirkungen der konfessionellen Formierung des 16. und 17. Jahrhunderts im Blick hatte und auf strukturgeschichtliche Parallelen (also auf die Ähnlichkeiten oder sogar Gleichheiten) zwischen den drei großen Konfessionen Katholizismus, Luthertum und Calvinismus abhob, beschäftigt sich die jüngere Konfessionsforschung stärker mit den Grenzen und Widerständen der konfessionellen Homogenisierung und mit den Unterschieden (also Pluralitäten) zwischen den und innerhalb der Konfessionen. In diesem Kontext hat Thomas Kaufmann bereits in den 1990er Jahren am Beispiel des Luthertums den Begriff der »Konfessionskultur« ins Gespräch gebracht1, der seitdem im Raum steht und vielfach völlig unterschiedlich verwendet wird (was dem Begriff nicht gerade zu seinem Vorteil gereicht). Ursprünglich wollte Kaufmann mit dem Begriff »Konfessionskultur« der Konfessionalisierungsthese ein Konzept entgegensetzen, das frei ist von modernisierungstheoretischen Entwicklungsideen und etatistischen Verengungen. Statt das Religiöse auf seine Funktion für die Politik zu reduzieren und die in dieser Hinsicht offenkundigen Parallelen zu betonen, gelte es, sowohl die Propria der Konfessionen als auch das Eigengewicht des Religiösen als historischen Wirkfaktor zu würdigen. Ein ganz wesentliches Anliegen Kaufmanns war es, mit dem Begriff »Konfessionskultur« einer – wie er es nannte – »Monolithisierung des Konfessionellen« entgegenzutreten, wie sie sich sowohl in der politikgeschichtlichen Konfessionalisierungsforschung als auch in der theologiegeschichtlichen Erforschung der lutherischen Orthodoxie ergeben hatte. Insbesondere das Luthertum wollte Kaufmann mit dem Begriff der »lutherischen Konfessionskultur« viel stärker als ein in sich plurales Phänomen begreifen.2 Pluralität ergibt sich für Kaufmann dadurch, dass sich ein harter (primär doktrinal bestimmter) Kern des Konfessionellen in verschiedene nationale, regionale oder lokale Räume und kulturelle Felder hinein ausprägt. Kaufmann definiert Konfessionskultur als »den Formierungsprozeß einer bestimmten, bekenntnisgebundenen Auslegungsgestalt des christlichen Glaubens in die vielfältigen lebensweltlichen Ausprägungen und Kontexte hinein, in denen der allenthalben wirksame Kirchenglaube präsent war«3. Damit ist Konfession für Kaufmann dann auch nicht identisch mit Kultur: Konfession und Kultur stehen sich vielmehr als selbstständige Dimensionen gegenüber. Konfessionskultur entsteht dort, wo die Kultur von der Konfession durchdrungen und in spezifischer Weise geprägt wird. Das jedenfalls verbindet in groben Zügen derjenige mit »Konfessionskultur«, der den Begriff ursprünglich geprägt hat.

       2. Konfession als Kultur

      Ich selbst teile die grundsätzlichen Anliegen von Thomas Kaufmann, konturiere jedoch den Begriff der Konfessionskultur noch einmal anders. Für mich stellt das Konzept der »Konfessionskultur« in erster Linie ein analytisches Instrumentarium dar, um zu beschreiben, in welchen Formen, Medien, Verfahren sich die verschiedenen Sozialformen des Christentums im Prozess der nachreformatorischen Epoche der institutionellen Pluralisierung christlicher Religion immer wieder selbst erzeugt, wahrnehmend interpretiert und praktisch vollzogen haben. Der Begriff »Konfessionskultur« ist für mich kein Spannungsbegriff, mit dem die Dualität von Konfession und Kultur als zwei selbstständige Dimensionen in den Blick genommen wird. Es geht mir nicht um die alte Weber’sche Frage, wie distinkte Bestände konfessioneller

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