Christentum und Europa. Группа авторов

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Christentum und Europa - Группа авторов Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)

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Osteuropa ergeben hätte, ist eine spekulative Frage. Revolution und sowjetische Herrschaft merzten all jene Ansätze aus und ließen auch die russisch-orthodoxe Kirche ihr Heil ganz im Rückzug auf die explizit im Gegensatz zum »Westen« definierte traditionelle Identität finden, im Grunde bis zum heutigen Tag. Ähnlich stand es mit den balkanorthodoxen Ländern, die nach 1945 Teil des Ostblocks wurden, mit der schon genannten Ausnahme Rumäniens, das aufgrund jahrhundertelanger, den osmanischen Herren gleichgültiger Koexistenz orthodoxer, protestantischer und römisch-katholischer Kirchen eine lange Tradition multikonfessionellen Nebeneinanders besitzt – freilich ohne Auswirkungen auf die gesamteuropäische Kultur; dazu ist das Land wohl zu klein und ist es heute zu sehr mit den Folgen der kommunistischen Herrschaft beschäftigt. Zu klein ist wohl auch Griechenland, das als einziges orthodoxes Land keine längerfristige kommunistische Diktatur und kirchenfeindliche Unterdrückung erlebte und seine kirchlichen und akademischen Institutionen seit der Unabhängigkeit unversehrt erhielt – eine fühlbare Rolle als europäischer Partner im Austausch von religionskulturellen Erbschaften und Disput über sie spielt das Wurzelland Europas, in dem die orthodoxe Kirche Staatskirche ist, nicht.

       16.

      Europa – das war über Jahrhunderte das Zentrum des Christentums. Die religiöskulturelle Symbiose »europäisches Christentum«, insbesondere ihre lateineuropäischen Varianten römisch-katholischer und protestantischer Art, verbreitete sich seit dem 19. Jahrhundert fast über die ganze Welt. Damit wurde die konfessionelle Vielfalt Europas und seines Ablegers Nordamerika exportiert, die Fülle verschiedener Katechismen, Liturgien und Amtsstrukturen; in dem allen aber doch ein identifizierbarer gemeinsamer Kern europäischer christlicher Tradition in kirchlicher Lehre und kirchlichem Leben. Wie weit das so bleibt, wissen wir nicht. Denn das Zentrum des Christentums ist Europa – samt Nordamerika – längst nicht mehr, die Zahl der Christen auf der südlichen Welthalbkugel übertrifft die der nördlichen schon jetzt bei Weitem, und die Schere tut sich immer weiter auf. In der Anglican Communion, um nur das spektakulärste Beispiel zu nennen, machen allein die Afrikaner bereits mehr als die Hälfte der Mitglieder aus. Zwar ist der Einfluss der europäischen – und nordamerikanischen – Kirchen dank ihrer intellektuellen und finanziellen Ressourcen nach wie vor groß. Doch mit den steigenden Zahlen im Süden steigen auch das Selbstbewusstsein und der Anspruch, über Lehre, Leben und Ordnung der Kirche mitzubestimmen. Das Auseinanderbrechen der anglikanischen Gemeinschaft, das sich in diesen Jahren zwischen der Mehrzahl der nördlichen Provinzen und dem Global South vollzieht, ist symptomatisch. Z. T. rühren die Spannungen zwischen europäischen und außereuropäischen Kirchen daher, dass diese sich als die treuen Sachwalter des eigentlichen, früher in Europa beheimateten, doch nun von ihm verratenen Christentums verstehen – etwa in Fragen der Sexualethik. Doch es gibt auch Bewegungen, die gegenüber der europäischen Erbschaft auf Eigenständigkeit in Verkündigung und Ritual bestehen, die die Umprägung der ererbten Form des Christentums durch die Aufnahme indigener Vorstellungen, Riten und Strukturen verfechten. Was für Synthesen sich dabei langfristig ergeben, wie weit sie aus unserer Sicht noch christlich erscheinen werden, ist eine offene Frage und liegt nicht in unserer Hand. Doch das gänzlich neue Kapitel in der Geschichte der Christenheit, das wir gerade erleben, erinnert daran, dass das christliche Europa mit seinen Epochen und Varianten trotz seiner ausgedehnten, lebendigen, symbiotischen Geschichte nur eine Phase eines längeren Weges ist. Mit Martin Luther gesprochen: Der Platzregen zieht weiter, und welche Bäume er in Zukunft zum Blühen bringen wird, weiß nur Gott allein.

       Europa ohne Gott? Ansichten eines säkularen Zeitalters

       Christoph Schwöbel

       1. Was ist europäisch?

      »Europa besteht aus Kaffeehäusern«, so leitet der als Sohn österreichischer jüdischer Eltern in Paris geborene George Steiner seinen Essay The Idea of Europe ein und beginnt so eine Phänomenologie des Europäischen, die das Unterscheidende und das Verbindende Europas zum Thema hat. Das Kaffeehaus unterscheidet sich – ontologisch, so sagt Steiner – vom englischen Pub und der irischen und mehr noch der amerikanischen Bar darin, dass es der Fokus der Debatten über die Kultur in ihrer Vieldimensionalität ist. So lässt sich in Wien während der Zwischenkriegsjahre des 20. Jahrhunderts der intellektuelle Diskurs über Ästhetik und politische Ökonomie, Psychoanalyse und Philosophie in genau drei Kaffeehäusern verorten. Europa, so fährt Steiner fort, wird zu Fuß erlaufen, seine Kartographie ist durch die Reichweiten menschlicher Füße geschrieben. Die europäische Landschaft ist eine, in der die langen Märsche, die Pilgerfahrten und die Wanderungen ihren Platz haben, eine Landschaft der kommunikativen Beziehungen leiblich überbrückbarer Distanzen. Dann ist Europa drittens, wenn wir Steiner weiter auf seinem Gang durch die Landmarken Europas begleiten, eine Gedächtnislandschaft, in der Straßen und Plätze an die Größen und an die Schrecknisse der Vergangenheit erinnern – jede Stadt eine steinerne Versammlung des Clubs der toten Dichter und Denker. Europa ist aber auch der Ort, an dem die versuchten Versöhnungen von Athen und Jerusalem unternommen wurden – und dies ausgerechnet von dem zu unaussprechlicher Grausamkeit und Egoismus neigenden Zweifüßler, der sich Mensch nennt. Drei Spiele, ja Formen der Sucht sind es, die der europäische Mensch Athen verdankt, die Musik, die Mathematik und das spekulative Denken, die in ihrer letzten Einheit auch bei Steiner nur theologisch erfasst werden können: »As certain mystics and logicians such as Leibniz have intuited, when God speaks to himself He sings algebra.«1 Dieses Erbe begegnet in Europa dem Erbe Jerusalems, das nach Steiner so sehr zur Textur europäischer Existenz gehört, dass es jeden tangiert, Agnostiker genauso wie Theisten. Wiederum hat auch dieses Erbe letztendlich theologischen Charakter:

      »The monotheistic challenge, the definition of our humanity as in dialogue with the transcendent, the concept of a supreme Book, the notion of law as inextricable from moral commandments, our very sense of history as purposeful time, have their origin in the enigmatic singularity and dispersal of Israel.«2

      Steiner bleibt skeptisch gegenüber der Möglichkeit der Verschmelzung der beiden Herkunftsorte europäischer Identität, die in seinem Verständnis gewissermaßen das theologische Programm des Christentums ist. Unter Berufung auf Leo Strauss hält Steiner fest, dass die Idee Europas schließlich doch wie der Titel von Charles Dickens’ Klassiker von 1859, A Tale of Two Cities, eine Geschichte aus zwei Städten ist. Die verwehrte Versöhnung – das gilt nach Steiner noch mehr für sein letztes Kriterium des Europäischen, das er als einzigartiges Charakteristikum im europäischen Bewusstsein versteht, nämlich das gleichsam eschatologische Bewusstsein, dass Europa ein Ende haben wird, das Gefühl in der Abenddämmerung zu leben, die Ahnung der Letzten Tage der Menschheit3, vielleicht typisch für eine Zivilisation, in der der Garten Goethes fast an Buchenwald angrenzt und das Haus Corneilles an den Marktplatz, auf dem Jeanne d’Arc zu Tode gebracht wurde. Steiner formuliert das Bewusstsein des Endes in der Frage: »Mit welchem Recht sollten wir unsere selbstmörderische Unmenschlichkeit überleben?«4

      Die theologische Dimension ist in Steiners phänomenologischer Beschreibung nie fern, auch wenn sie nur an den zitierten Stellen explizit thematisiert wird. Jedoch – über was wird in den Kaffeehäusern denn debattiert, wenn nicht über »Gott und die Welt«, das Verhältnis des Letztgültigen zum Vorläufigen? Welche Orte sind es, die zu Fuß verbunden werden, und welche Kirchen und Kapellen, aber auch Synagogen und Moscheen säumen den Weg, bis man an einer Zwischenstation ankommt, die europäisch immer eine Konstellation von Rathaus, Kirche und Marktplatz ist? Was wären die Namen der Straßen und Plätze ohne den indirekten Verweis auf die theologischen Fragen, die mit der Erinnerung an die großen Frauen und Männer und ebenso durch das Gedenken an die Opfer wachgerufen werden? Worum geht es in der Geschichte der beiden Städte Jerusalem und Athen, wenn nicht um die Fragen von Sein und Gott, von Vernunft und Geschichte? Und wie ist ein Ende der Geschichte denkbar, wenn die Geschichte nicht das Merkmal der Endlichkeit in sich trägt, das

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