Christentum und Europa. Группа авторов

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Christentum und Europa - Группа авторов Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)

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auf Gemeindeebene begegnete, so ist sie ebenfalls im gesamten Euromediterraneum zu finden, auch wenn es sprachlich-liturgische Unterschiede gab. Schließlich die »Verfahrensförmigkeit« der Verleihung von Ämtern, insbesondere des Amtes des episcopus. Solche Verfahrensförmigkeit entwickelte sich, bei Variationen im Einzelnen, fast überall, wo sich der monarchische Episkopat herausbildete, in Ost und West. Zu Abweichungen kam es nur punktuell im Raum der orientalischen Nationalkirchen, nämlich zugunsten klerikaldynastischer Abfolge.

       6.

      So wichtig die vier von Leppin genannten »Bereiche« sind, ergibt doch, wie angedeutet, die Konzentration auf die vorkonstantinische Epoche, in der sie sich herausgebildet hätten, ein unzulässig verkürztes Bild, wenn es um das Christentum und Europa in der Antike geht. Denn die eigentliche christliche Imprägnierung dieses Raumes – und zumal des lateinischen Westens – vollzog sich erst in der nachkonstantinischen Phase der Antike. Und dabei kam es zu zwei Abweichungen von den vorkonstantinischen Erbschaften: Manche wurden überhaupt verabschiedet, und in manchen Fällen trennten sich innerhalb des Euromediterraneums die Wege, pluralisierte sich das Bild. Erst der Stand des antiken Christentums aber, der so erreicht wurde, bildete den Ausgangspunkt für die religiös-kulturelle Entwicklung des Europas, das wir kennen.

       7.

      Zum einen die Verabschiedung vorkonstantinischer Erbschaften. Sie betrifft, um nur ein Beispiel zu nennen, gerade den von Leppin mit dem größten Nachdruck hervorgehobenen Punkt, die »Individualisierung des Glaubens« im Sinne persönlicher Entscheidung für das Christentum angesichts anderer religiöser Optionen und widriger sozialer und kultureller Faktoren. Diese »Individualisierung« war in dem Maße überholt, in dem die Missionssituation zurücktrat, die Säuglingstaufe sich durchsetzte und die Gesamtgesellschaft als christliches Kollektiv erschien – ein Vorgang, der mit Vorläufen in vorkonstantinischer Zeit danach sukzessiv im gesamten Euromediterraneum zu verzeichnen ist. Die nun ausgebildete Vorstellung vom christlichen Kollektiv oder Corpus war binnen Kurzem so selbstverständlich, dass sie schließlich beim Ausgreifen des Christentums in neue Räume, bei der Christianisierung der Germanen und der Slawen im Mittelalter, auch die Weise der Mission bestimmte, die bekanntlich nicht wie einst auf dem Wege individueller Entscheidung, sondern über Kollektivkonversionen erfolgte. Wenn der – neutestamentlich begründete – individuell-persönliche Charakter des Christseins zur Geltung kommen sollte, mussten dafür Realisierungen innerhalb des christlichen Kollektivs gefunden werden, wie es in der Antike mit der Ausbildung des Mönchtums und in anderer Weise durch die Reformation oder durch den Pietismus geschah. Die Zugehörigkeit zum Christentum in Kollektiven aber ist in vielen Ländern Europas noch heutige kirchliche Realität und in Form kultureller Prägungen in ganz Europa nach wie vor unübersehbar.

       8.

      Das andere Charakteristikum der nachkonstantinischen Teilepoche: die Trennung der Wege im Umgang mit dem vorkonstantinischen Erbe. Sie betrifft besonders die Differenzierung zwischen »politischer und religiöser Ordnung«, die Leppin als eine Implikation der Individualisierung des Glaubens in vorkonstantinischer Zeit herausstellt. Ob man hier von einer »Betonung des Rechtes auf Religionsfreiheit« sprechen kann, erscheint mir zweifelhaft; Äußerungen, die auf den ersten Blick so aussehen, sollen dazu dienen, das Recht auf die eigene – christliche – Glaubensentscheidung in einer feindlichen Welt plausibel zu machen, verfechten aber kein grundsätzliches, allen geltendes Prinzip. Dass zwischen »politischer und religiöser Ordnung« zu differenzieren sei, war für vorkonstantinische Christen gleichwohl selbstverständlich. Es blieb aber nicht lange selbstverständlich, jedenfalls für einen Großteil der nachkonstantinischen Christenheit nicht. Hier gingen die Wege auseinander, vertrat der lateinische Westen die Selbständigkeit der Kirche gegenüber der weltlichen Obrigkeit und der Osten die vom nun christlichen Kaiser geleitete Reichskirche. Faktisch war es auch im Westen mit dieser Selbständigkeit nicht immer weit her, oder die Vorzeichen wurden umgedreht und die Kirche beanspruchte, selbst eine politische Rolle spielend, die Überordnung über den Staat. Gleichwohl gehört die unterschiedliche Bestimmung des Verhältnisses von Kirche und politischer Macht über mancherlei Transformationen zu dem Erbe Europas, das westliche und orthodoxe Kirchen, aber auch die westlichen und die östlichen Nationen des Kontinents bis zum heutigen Tage prägt.

      Man könnte als Beispiel für die nachkonstantinische Trennung der Wege auch die Haltung zur Sprachenvielfalt anführen. Diese war im Christentum – hier widerspreche ich Leppin – keineswegs von Anfang an Programm. Man teilte die lateinisch-griechische Bilingualität des Römischen Reiches, die von den allermeisten Christen des Euromediterraneums verwendete Sprache war, vom lateinischen westlichen Nordafrika abgesehen, das Griechische; für Sprecher nur lokaler Sprachen an den ländlichen Rändern, in Gallien, Syrien und Ägypten fand man pragmatische Lösungen. Doch auch hier ging man in nachkonstantinischer Zeit auseinander: Während der Westen eine gemeinsame Normsprache für Gottesdienst, Bibellektüre, Kirchenrecht und Theologie, nun das Lateinische, forcierte, wurde im Osten nationalsprachliche Vielfalt programmatisch zugelassen – eine Grundentscheidung, die man auch bei der von Konstantinopel ausgehenden Ausbreitung des Christentums im slawischen Raum befolgte, siehe das Wirken Kyrills und Methods. Auch diese in der nachkonstantinischen Antike begründete Differenz zwischen gemeinsamer Latinität auf der einen Seite und sprachlicher Vielfalt auf der anderen hat Folgen für die weitere Geschichte Europas bis in die Gegenwart.

      Als letztes Beispiel das, was Leppin die »Reflexivität« des Glaubens nennt – auch hier eine nachkonstantinische Trennung der Wege nach früherer Gemeinsamkeit. Jene »Reflexivität« war, wie gesagt, von Anfang an ein gesamtchristliches Phänomen, auch wenn sie bei Theologen des Ostens ein intellektuelles Niveau aufwies, wie es der Westen, von der Ausnahmegestalt Augustin abgesehen, im ersten Jahrtausend nie erreichte. Doch der Kollaps der westlichen Reichshälfte und ihr kultureller Verfall in der Spätantike ließ hier die Reflexionskraft immer schwächer werden. Gerade darin aber lag die Basis für eine bis in die Gegenwart unterschiedliche intellektuelle Geschichte in West- und Osteuropa: Während Ostrom, in kontinuierlichem Besitz der alten kulturellen Güter, schließlich sein Ideal in der rituellen und theologischen Repetition sah, wurde für den durch Verfall und Verbindung mit den Germanen barbarisch gewordenen Westen die frische Begegnung mit den Gütern der Antike, vor allem den philosophischen Gütern, im Mittelalter zum Ausgangspunkt einer Geschichte einzigartiger geistiger Lebendigkeit. Einer Lebendigkeit, die Offenheit für Neues und kreative Argumentation, vielfältige Konflikte und die Suche nach Konfliktlösungen umfasste. »Euer Verstand steht nicht still«, hielt im 16. Jahrhundert der ökumenische Patriarch Jeremias II. westlichen Theologen vor.3 Die Bemerkung war kritisch gemeint. Sie markiert eine Differenz, die bis heute den orthodox geprägten Osten Europas und die Erben Lateineuropas in der Mitte und im Westen, seien sie römisch-katholisch oder protestantisch geprägt, voneinander unterscheidet. Und auch sie hat eine Wurzel im nachkonstantinischen Altertum.

       9.

      Das mein Plädoyer für die Einbeziehung der nachkonstantinischen Antike zusammenfassende und weiterführende Fazit lautet: Nur wenn auch diese Teilepoche betrachtet wird, ergibt sich ein adäquates Bild der Verbindung von Christentum und antiker Welt. Und nur dann lässt sich deren Wirkung in der weiteren Geschichte und der Gegenwart Europas erfassen. Die Beschränkung auf vorkonstantinische Erbschaften lässt nicht nur außer Acht, dass manche von diesen schnell unwirksam wurden und in der darauf folgenden Geschichte keine Rolle mehr spielten. Sie lenkt auch den Blick einseitig auf europäische Gemeinsamkeiten. So aber wird ausgeblendet, dass beides, was Europa ausmacht, die Gemeinsamkeit ebenso wie die Pluralität, d. h. die Vielfalt und Gegensätzlichkeit regionaler, nationaler und transnationaler Prägungen, bereits in der Antike verwurzelt ist. Oder umgekehrt gesagt, dass ganz Europa von der antiken christlich-hellenistischen Synthese herkam, sie aber in unterschiedlichen Weisen weiterentwickelte.

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