Christentum und Europa. Группа авторов

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Christentum und Europa - Группа авторов страница 19

Christentum und Europa - Группа авторов Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)

Скачать книгу

ihretwegen expandierte das Druckwesen, ihretwegen entstand eine militärische Bedrohung des habsburgischen Kaisers; die sich der Reformation anschließenden Fürsten nutzten dies, um sich ihre Waffenhilfe für das Reichsoberhaupt gegen religionspolitische Zugeständnisse ›abkaufen‹ zu lassen.13

      Hinsichtlich seiner politischen Binnenstruktur war das lateinische Europa um 1500 vielfältig. Im Westen – in Spanien, Portugal, Frankreich, England – hatten sich dynastisch geprägte monarchische Herrschaftsformen herausgebildet, die Merkmale staatlicher Verdichtung aufwiesen: einheitliche Verwaltungs- und Besteuerungssysteme, eine Machtkonzentration in der Hand der Könige, eine herrschaftsstrategische Einbindung des Adels, weitgehende Besetzungsrechte der Krone in Bezug auf höhere kirchliche Ämter und die Ausformung nationaler Kirchentümer und Katholizismen. In Mittel- und Mittelosteuropa – im Heiligen Römischen Deutscher Nation, Polen-Litauen, Böhmen und Ungarn – war die höchste Herrscherwürde, das Königs- bzw. Kaisertum, an Wahlakte gebunden, die bestimmte Adelsgruppen durchführten. In Nordeuropa löste sich die seit dem späten 14. Jahrhundert unter dänischer Führung bestehende Kalmarer Union auf; das seine Unabhängigkeit erstrebende Schweden (mit Finnland) einerseits, Dänemark (mit Norwegen und Island) andererseits entwickelten sich zu erblichen Monarchien. Im Laufe des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts entstand durch die Heiratspolitik der seit 1452 die Kaiser stellenden Dynastie der Habsburger ein Länderkomplex, der neben den österreichischen und südwestdeutschen Erblanden nach und nach auch Burgund und die Niederlande, das spanische Erbe unter Einschluss des außereuropäischen Kolonialbesitzes, Teile Nord- und Süditaliens (Mailand, Neapel, Sizilien), Böhmen und Ungarn umfasste.

      Eine kulturelle Besonderheit, die Lateineuropa seit dem 15. Jahrhundert von der ostkirchlichen Orthodoxie einerseits, der islamischen Welt andererseits grundlegend zu unterscheiden begann, war kommunikationstechnologischer Natur: Der Buchdruck mit beweglichen Metalllettern.14 Um 1450 war es dem gelehrten Mainzer Handwerker Johannes Gutenberg gelungen, ein Verfahren der mechanischen Reproduktion von Texten zu entwickeln. Mittels des ebenso genialen wie einfachen Gedankens, Texte in ihre kleinsten Einheiten, die 26 Buchstaben des lateinischen Alphabets, zu zerlegen und durch ein Gußverfahren, dem Kern von Gutenbergs Erfindung, einzelne Typen aus beständigem metallischen Material herzustellen, war es gelungen, Schriftstücke in beliebig großen Mengen zu reproduzieren. Dabei nutzte Gutenberg eine Kombination unterschiedlicher technischer Instrumente und Innovationen. Als Bedruckmaterial kam neben dem teuren Pergament zusehends das günstigere Papier zur Anwendung; seit dem späten 14. Jahrhundert gab es Papiermühlen auch in Deutschland. Von diesen und aus dem Weinbau waren Pressen bekannt; wegen der gleichmäßigen Kraftübertragung waren sie beim Drucken unerlässlich.

      Texte, die bisher von professionellen Schreibern in langen Zeiträumen abgeschrieben werden mussten, konnten nun ungleich schneller und kostengünstiger verbreitet werden. Die mittelbaren gesellschaftlichen und kulturellen Folgen des Buchdrucks begannen sich erst allmählich abzuzeichnen; für die Reformation aber waren sie zentral.15 Nach den ersten typographischen Anfängen Gutenbergs hatte sich die neue Technologie rasant verbreitet. Um 1500 existierten in Lateineuropa in ca. 150 Städten etwa 1.000 Druckereien. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits ca. 30.000 unterschiedliche Titel produziert worden; die Gesamtzahl der gedruckten Bücher ging in die Millionen. Für die Bildungseinrichtungen der Zeit, vor allem die Lateinschulen und Universitäten, bedeutete die neue Technologie einen wichtigen Innovationsfaktor; nun konnten die Lernenden bestimmte Lehrbücher erwerben und stetig mit ihnen arbeiten. Auch die Gelehrten erlebten neue und ungeahnte Möglichkeiten, ihre eigenen Ideen und Texte weit über den Wahrnehmungshorizont des Hörsaales und der Handschrift hinaus zu verbreiten und den Austausch innerhalb der europäischen Gelehrtenrepublik zu fördern.

      Die seit dem 13. Jahrhundert zunächst in den urbanen Zentren der Apenninhalbinsel entstandene kulturelle Bewegung des Humanismus, die sich derjenigen Künste und Wissenschaften besonders annahm, in denen es um das ›Humanum‹, das Menschsein des Menschen, ging, machte sich die Möglichkeiten der Druckpresse zügig zunutze. Über weite geographische Distanzen, quer durch Europa, ließen sie einander an ihren textlichen Entdeckungen und eigenen literarischen Elaboraten teilhaben. Häufig waren die Humanisten, die über dichte Korrespondentennetzwerke verfügten, früher über neue Entwicklungen auf politischem oder kulturellem Gebiet informiert als ihre Zeitgenossen. Sie waren auch die Ersten, die Informationen über Luther weitergaben und seine Texte nachdruckten.16

      Angesichts vielfältiger Ängste und Bedrohungen durch Natur- und Hungerkatastrophen, Pestepidemien oder den türkischen ›Erbfeind‹ aus dem Osten, die eine Hochkonjunktur apokalyptischer Motive auch in der zeitgenössischen Kunst mit sich brachten,17 war die Kirche die weithin unangefochtene Instanz der Heilssicherung und -vergegenwärtigung – überall in Europa. Viele Menschen wandten sich mit ihren Sorgen, Nöten und Bedürfnissen an das Gnadeninstitut; sie bedienten sich der Instrumente und Praktiken, die es anzubieten hatte: der Sakramente und Wallfahrten, der Messstiftungen, die das unblutige Opfer Christi zugunsten bestimmter Stifter wiederholten, der Heiltumsschauen, also besonderer religiöser ›Events‹, bei denen ablassträchtige Reliquien gezeigt wurden, der Bruderschaften – Korporationen aus Geistlichen und Laien, die zugunsten ihrer verstorbenen Mitglieder beteten und das Totengedenken ermöglichten, auch der vielfältigen religiösen Lebensformen im Kloster oder in der Welt. All die genannten Institutionen und Praktiken boomten; niemals zuvor waren so viele Kirchengebäude errichtet worden wie zu Beginn des 16. Jahrhunderts, und zwar im gesamten lateineuropäischen Raum. Dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem individuellen religiösen Engagement – etwa durch die Menge der Gebete, die Höhe der Spenden, die Strapazen einer Wallfahrt etc. –18 und dem Ausmaß der Heilseffekte, eine Korrespondenz von religiöser Leistung und geistlichem Lohn also, bestand, war im Ganzen selbstverständlich und integrierte die lateineuropäische religiöse Mentalität. Dass die Infragestellung dieses Systems religiöser Leistungsfrömmigkeit, wie sie dann Luther und die anderen Reformatoren ausarbeiteten, gleichfalls überall in Lateineuropa nachvollziehbar war, versteht sich von selbst.

      In Bezug auf die Entstehung reformatorischer Bewegungen in Lateineuropa lassen sich einige strukturelle Gemeinsamkeiten aufweisen. Für die Verbreitung reformatorischen Gedankenguts war – von wenigen Ausnahmen abgesehen –19 in der Regel der Buchdruck zentral. In den Niederlanden, Paris oder Dänemark wurden reformatorische Druckschriften rasch nachgedruckt; auch die Übertragung deutscher Texte in andere Volkssprachen ging rasch vonstatten; Antwerpen entwickelte sich rasch zu einem internationalen Druckzentrum, in dem französische, spanische, dänische und englische Reformationsliteratur hergestellt wurde. In zahlreichen europäischen Ländern – den Niederlanden, England, den baltischen und den nordeuropäischen Ländern, in Böhmen, Mähren und Nordfrankreich – gab es durchaus stattliche Ansiedlungen deutschsprachiger Kaufleute und Handwerker; vielfach waren diese ›Auslandsdeutschen‹ auch die Ersten, die reformatorisches Gedankengut und Schrifttum aufnahmen und verbreiteten. Neben den Kaufleuten sind deutsche Studenten – vor allem in Richtung Italien und Frankreich – als mobile Tradenten reformatorischer Überzeugungen zu identifizieren. Die transnationalen Organisationsstrukturen der Kirche und der Orden trugen das Ihre dazu bei, dass die Kunde von dem ketzerischen Bettelmönch aus Wittenberg weit herumkam. Auch Luthers eigener Orden, die Augustinereremiten, war ungemein zügig – und vielfach mit überwältigender Zustimmung – in die Ausbreitungsprozesse der reformatorischen Botschaft involviert. Die überkommenen Strukturen, die Lateineuropa im Mittelalter ausgebildet hatte, bildeten also zentral wichtige Voraussetzungen für die europäische Resonanz der Reformation; insofern wäre die Reformation ohne dieses Europa nicht möglich gewesen.

       3.

      Die Reformation ließ Lateineuropa nicht unverändert, im Gegenteil. Im Zeitalter der Reformation erhielt Lateineuropa ein neues Gesicht. Nicht mehr die Einheit der Christianitas mit dem Papst als sichtbarem Haupt, der in der alten Kapitale des Imperiums, Rom, residierte, sondern eine Vielzahl einzelner Länder prägten fortan den Geschichts- und Kulturraum.20 Dieses Europa der Nationen ist nicht durch die Reformation entstanden,

Скачать книгу