Christentum und Europa. Группа авторов

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Christentum und Europa - Группа авторов Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)

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libertas religionis, Religionsfreiheit, ist zum ersten Mal 197 im Apologeticum bezeugt; es findet sich, soweit ich sehe, auch kein früheres Äquivalent im Griechischen. Der Gedanke, niemand dürfe in religiösen Dingen einem Zwang unterliegen, war indes nicht neu – namentlich stoische Denker hatten ihn schon geäußert. Tertullian aber formuliert ihn als ein persönliches Recht. Vereinzelt wiederholten Christen diesen Gedanken, er taucht in der Mailänder Vereinbarung zwischen Konstantin dem Großen und Licinius auf und erscheint im 4. Jahrhundert dann bei heidnischen Autoren, die sich gegen christliche Unterdrückungsmaßnahmen verwahrten. Großes Gewicht hatte er jedoch nicht. Während der Spätantike geriet er vollends in den Hintergrund, wurde jedoch in der Moderne wiederentdeckt und entfaltete als Exaptation eine ganz andere nachhaltige Wirkung. Dort verbindet er sich mit einer politischen Haltung der Toleranz auf der Grundlage der Achtung vor dem anderen als freiem Vernunftwesen, die gerade nicht Tertullians Weltbild entspricht. Vielmehr insinuiert er, die Christen seien eigentlich überlegen, was ihre Unterdrückung um so unverständlicher erscheinen lässt.

      Die Betonung eines Rechtes auf Religionsfreiheit erlaubte es, politische und religiöse Ordnung getrennt zu denken, Ansätze zur Ausdifferenzierung eines religiösen Systems zuzulassen. Tatsächlich entwickelten sich entsprechende Ansätze, begünstigt dadurch, dass religiöse Funktionsträger bei den Christen ohnehin keine politischen Ämter besaßen, da die christlichen Gemeinden unabhängig von der politischen Organisation bestanden. Um nicht missverstanden zu werden: Die Christianisierung des Römischen Reiches bedeutete nicht die Trennung von Religion und Staat – beides sollte bald während der Spätantike wieder sehr eng zusammenkommen. Aber sie zeigte: Beides konnte getrennt gedacht werden und teils auch funktionieren, wie dies in späteren Epochen geschehen sollte.

       3.2 Wahrheit und Universalitätsanspruch

      Die exkludierende religiöse Entscheidung der Christen gründete sich auf der Auffassung, man besitze die alleinige Wahrheit, die für sämtliche Menschen heilsnotwendig sei. Wahrheit war keine Sache der Erkenntnis der Elite, sondern allen Menschen zugänglich, so dass es Christen leicht fiel, den Begriff der Philosophie im Sinne eines begründbaren Strebens nach dem guten Leben für sich in Anspruch zu nehmen. Die Exklusivität des Inhalts verband sich mit einem universalen, insofern sozial höchst inklusiven Anspruch: Ob man Grieche war oder Jude, Mann oder Frau, Freier oder Sklave, all das sollte vor Christus keinen Unterschied machen. Jegliche soziale Differenz sollte im religiösen Kontext verschwinden. Die soziale Ordnung war, so gesehen, transzendierbar. Denn die Entscheidung für eine bestimmte religiöse Lehre verlangte man jedem Individuum ab; ein spezielles, seit den Anfängen bezeugtes Ritual, die Taufe, machte diese für die Gemeinde sichtbar.

      Wenn hier jedes Individuum unabhängig vom sozialen Status als vor Gott gleich gedacht und insofern im Prinzip aufgewertet wurde, so ist dies erneut eine modernitätsaffine Vorstellung. Daraus resultierte bei frühen Christen nicht die Abkehr von der Sklaverei; die Überlegungen stellten aber Argumente bereit, die späterhin für die Abschaffung der Sklaverei nutzbar gemacht werden konnten. Folgenschwer war ebenso die Haltung von Christen, Wohltätigkeit grundsätzlich nicht allein einer bestimmten Gruppe, etwa den eigenen Bürgern, zukommen zu lassen, sondern den Bedürftigen gleich welcher Herkunft.

      Der Wille zur Bekehrung der anderen, der praktische Ausdruck eines universalen Wahrheitsanspruchs, ist unter Christen früh bezeugt; der hochstrittige Schluss des Matthäusevangeliums legt dem auferstandenen Christus den sogenannten Missionsbefehl in den Mund (28,18–20).20 Nun versuchten andere religiöse Gemeinschaften, die nicht Teil der Kulte von Polis und res publica waren, gleichfalls neue Anhänger zu gewinnen. Selbst Juden hatten trotz der ethnizistischen Grundlagen ihrer Religion versucht, sich Proselyten zu öffnen, und mit dem Institut der theosebeis eine Möglichkeit geschaffen, die Nähe zur jüdischen Religion kenntlich zu machen, ohne sich mit ihr vollständig zu identifizieren.

      Christen gingen noch weiter, denn sie definierten die Bekehrung als eine zentrale Aufgabe, weil ihr Glaube ja für das Heil aller Menschen notwendig war. Die Bekehrung des Einzelnen hatte Konsequenzen, die sich seiner Kontrolle entzogen, denn sie war mit dem Eingeständnis der Sündhaftigkeit des Menschen verbunden und der Erlösungsbedürftigkeit durch Christus; insofern bedeutete das einen Autonomieverlust. Manche Christen suchten weiterhin einen individuellen Weg, andere hofften auf spezifische Formen der Erkenntnis, etwa innerhalb des gnostischen Spektrums. Doch in den meisten Fällen gelangten die Bekehrten in eine Gemeinschaft, was sich eben in der Taufe ausdrückte, die nach verschiedenen Zeugnissen in ein Herrenmahl überging. Das bedeutete gemeinschaftliche Unterstützung, zugleich die Kontrolle von Verhalten mit der Gefahr eines Ausschlusses. Als ein sehr wirksames Instrument erwies sich hierbei das Bußverfahren mit öffentlichem Sündenbekenntnis, das sich sehr früh entwickelte. Der Einzelne gestand seine Sünden und sah sich den Sanktionen der Gemeinde oder eines Amtsträgers ausgesetzt, damit er auf den Weg der Wahrheit zurückkehren konnte. In immer mehr Gemeinden gelangte das Bußverfahren in den Verantwortungsbereich von Bischöfen, die dadurch erheblich an Autorität gewannen.

      Religiöse Freiheit und die Kontrolle des religiösen Lebens sind in der christlichen Tradition demnach miteinander verwoben, nicht einfach im banalen Sinne einer Unterdrückung des anderen, sondern durchaus in fürsorglicher Absicht. Der Schritt zum Zwang im besten Interesse des anderen war dann nicht mehr weit, wie es etwa erkennbar ist in der Entwicklung der Haltung Augustins im Donatismusstreit, bei dem das in berüchtigter Weise wirkungsmächtige Wort des cogite/compelle intrare nach Lk 14,23 fiel.21

      Diese Verbindung von Fürsorge und Macht über Einzelne, die sich etwa bei Augustinus zeigt, hat Michel Foucault (1926–1984) mit dem Begriff der Pastoralmacht (pouvoir pastoral) belegt, einer Macht, die sich nicht über ein Territorium erstreckt, sondern über mobile Menschen, denen sie sich wohlwollend zuwendet und die nach der inneren Wahrheit in den Individuen sucht.22 Foucault bezieht sich bei seiner Entwicklung des Begriffs auf die Beichte, die das Individuum dazu bringt, ohne alle Beschönigung seine Sünden zu bekennen. Für ihn wurde dann die Pastoralmacht in ihrer späteren Form ein Charakteristikum vieler moderner Gesellschaften; die Rituale der Kritik und Selbstkritik in kommunistischen Systemen wurden ebenfalls darauf zurückgeführt.23 Die Macht des wissenden Seelsorgers, der das Beste für das Individuum will und es zugleich einschränkt, beruht darauf, dass eine universale Botschaft, eine Wahrheit für alle besteht, die von existenzieller Bedeutung für den Einzelnen ist und die ihm daher nahegebracht werden muss, notfalls, so konnte man weiterdenken, mit Druck.

      Der Wahrheitsanspruch der Christen bezog sich nicht nur auf Individuen, die zu gewinnen, sondern auch auf Religionen, die zu bekämpfen waren. Antipaganismus und Antijudaismus ergaben sich aus dem Exklusivitätsanspruch von Christen. Der Antijudaismus entstand in einem langsamen, keineswegs linearen Prozess der Lösung von Christen aus ihren jüdischen Gruppen; Argumente jüdischer Selbstkritik konnten Christen leicht in Argumente gegen Juden insgesamt wenden. Das galt etwa für Kritik an Zuständen im Tempelkult, die laut den Evangelisten der jüdische Rabbi Jesus geäußert hatte.24 Wer vom Antijudaismus spricht, muss über sein Verhältnis zum modernen Antisemitismus nachdenken – doch darüber ist von Kompetenteren schon viel gesagt worden, so dass ich mich zurückhalte.25

      Keine offenkundige Gegenwartsbedeutung hat der Antipaganismus, da die Auslöschung der kultischen Traditionen, die Christen als heidnisch definierten, vollständig war; hier ging es nicht um die Beseitigung anstößiger Praktiken aus einem bestimmten Raum, sondern um deren vollständige Eliminierung – eine Denkweise, die dann wieder affin zu den schlimmsten Entwicklungen der Moderne wirkt, allerdings mit einem wesentlichen Unterschied: Die Menschen sollten bekehrt und nicht umgebracht werden. Rückgriffe auf nicht-christliche religiöse Konzepte spielten in verschiedenen Phasen der europäischen Geschichte und auf sehr unterschiedlichen Niveaustufen eine Rolle, aber eine Kontinuitätslinie einer heidnischen Praxis bestand nicht.

      Ferner sollte man bedenken: Ein Heidentum gab es zunächst nur aus jüdischchristlicher

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