Christentum und Europa. Группа авторов

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Christentum und Europa - Группа авторов Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)

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Rausch und erfuhr, was ihm sein jüngster Sohn angetan hatte, 25sprach er: Verflucht sei Kanaan und sei seinen Brüdern ein Knecht aller Knechte! 26Und sprach weiter: Gelobt sei der HERR, der Gott Sems, und Kanaan sei sein Knecht! 27Gott breite Jafet aus und lasse ihn wohnen in den Zelten Sems und Kanaan sei sein Knecht!« – Genesis 9,22–27 (Lutherbibel 1984)

      Weil die drei Söhne Noahs als die Ahnherren der Bewohner der verschiedenen Erdteile betrachtet wurden und Ham als der Urvater der Afrikaner galt, hat man in einer rassistischen Auslegung in Ham bzw. Kanaan den Afrikaner gesehen und damit in diesem Text eine religiöse Begründung für die Versklavung von schwarzen Afrikanern gefunden. Obwohl die Kanaanäer – die vermeintlichen Nachkommen von Ham und seinem Sohn Kanaan – eigentlich in der Levante zuhause waren, diente dieser Text der Unterdrückung einer versklavten Bevölkerung von nicht-europäischem Ursprung.21

      Ein zweites Beispiel für eine eher rassistische Auslegung finden wir im Hohelied. Im ersten Kapitel sagt die Geliebte:

      5»Ich bin braun, aber gar lieblich,

      ihr Töchter Jerusalems,

      wie die Zelte Kedars,

      wie die Teppiche Salomos.

      6Seht mich nicht an, dass ich so braun bin;

      denn die Sonne hat mich so verbrannt.« – Hohelied 1,5–6 (Lutherbibel 1984)

      Dieser Text wurde nicht missbraucht, um die Unterdrückung von Menschen zu rechtfertigen. Dennoch ist die gewählte Übersetzung bezeichnend. Das Zitat aus der Zauberflöte hat schon angedeutet, dass Schwarzsein in der europäischen Kultur als etwas Schlechtes betrachtet wurde. Dies äußert sich auch in der Übersetzung: »Ich bin braun, aber gar lieblich«. Abgesehen davon, dass das Wort genau genommen mit »schwarz« bzw. »dunkel« und nicht mit »braun« zu übersetzen ist – obwohl ich verstehen kann, warum man sich in der deutschen Übersetzung für »braun« entschieden hat –, hat man sich interessanterweise entschieden, das hebräische Präfix waw mit »aber gar« zu übersetzen. Der hebräische Buchstabe waw kann als Präfix unterschiedlich übersetzt werden, üblicherweise als Kopula »und«. Gelegentlich ist aber auch die adversative Übersetzung »aber« möglich. Sich in diesem Fall für »aber« zu entscheiden, deutet auf eine europäische Perspektive hin, die dunkle Haut bestenfalls als etwas Unerwünschtes betrachtet und schlimmstenfalls als etwas Böses. Erfreulicherweise haben die Bearbeiter der neuen Lutherbibel sich für eine andere Übersetzung entschieden, nämlich: »Ich bin schwarz und (Hervorh. C. S. E.) gar lieblich«. Mit dieser kleinen Änderung hat man die automatische Verbindung von dunkler Hautfarbe und Hässlichkeit bzw. dem Bösen getrennt, um dem biblischen Text seine eigentliche Bedeutung zurückzugeben. Natürlich finden sich solche ideologisch bedingten und etwas peinlichen Übersetzungen nicht nur in der deutschen Tradition der Bibelübersetzung. Ich hätte mich genauso gut auf vergleichbare englische Übersetzungen stützen können. Aber sie sind beispielhaft für die europäische Übersetzungstradition insgesamt.22

      Aus einer kolonialen Perspektive könnte man behaupten, dass Europa überall zu finden ist, wo Europäer Kolonien gegründet haben. Wenn wir das britische Imperium zu Europa zählen, was in Anbetracht des Brexit nicht mehr unproblematisch ist, könnte man etwa auf das viktorianische Zeitalter verweisen, als es hieß, dass die Sonne im britischen Imperium nicht untergehe. Im neunzehnten Jahrhundert konnte es so aussehen, als ob es rund um den ganzen Erdkreis britische Kolonien gäbe. In Anbetracht dessen, dass auch andere europäische Mächte Kolonien gegründet und auf diese Weise die christliche Religion weltweit verbreitet haben, kann man die Frage stellen, ob große Teile der Welt inzwischen europäisch geworden sind. Die Antwort auf diese Frage hängt zum Teil davon ab, ob man Europa mit der christlichen Kultur gleichsetzt oder nicht. Wenn ja, dann könnte man behaupten, dass die eigentlichen Erben der europäischen Kultur heute nicht mehr im nachchristlichen Europa zu finden sind, sondern in Afrika, in Nordamerika, in Südamerika und in Asien. Es ist also sicher kein Zufall, dass der jetzige Papst aus Argentinien stammt; und ich bin sicher, dass der nächste oder übernächste aus Afrika stammen wird.

      Obwohl es seit eh und je Juden in Europa gab und sie besonders nach ihrer Emanzipation in öffentlicher Weise zur europäischen Kultur beitragen konnten, wurde ihr Beitrag vorher oftmals nicht anerkannt – und hernach in tragischer Weise verpönt. Jedoch ist die jüdische nicht eine europäische Kultur, oder – besser gesagt – nicht eine ausschließlich europäische Kultur, da die jüdische Gemeinschaft sich mehr oder weniger zwischen christlicher bzw. aschkenasischer Welt und islamischer bzw. sephardischer Welt aufgeteilt und zwischen zwei Welten gelebt hat. Nichtsdestoweniger spricht man in Nordamerika von einer gemeinsamen jüdisch-christlichen Kultur, die die Grundlage der amerikanischen Identität und Kultur bildet, obwohl dieser vielleicht zu optimistische Begriff von einigen auch angegriffen wird.23

      Auf jeden Fall scheinen die nicht-europäischen Erben der christlich-europäischen Kultur jetzt diejenigen zu sein, die heute die zentrale Bedeutung des biblischen Textes, der einst im Mittelpunkt der europäischen Kultur gestanden hat, weiterführen. Während der Einfluss der Kirchen in Europa abnimmt und, wie ich auf meinen Reisen durch Europa gesehen habe, mehr und mehr Kirchen geschlossen werden, ist es in Argentinien, Brasilien, Äthiopien, Nigeria, Südkorea und den Vereinigten Staaten anders: Hier blühen und gedeihen die Kirchen und die Bibel steht noch im Mittelpunkt von Kultur und Religion; in Europa leider nicht mehr so sehr.

      Abb. 4. Eine von vielen geschlossenen Kirchen in Neapel.

      Lange Zeit bildete die Bibel – wie auch immer man ihren Umfang definiert – die Grundlage der europäischen Identität. Dadurch wurde die Bibel, die größtenteils ein Erzeugnis des Alten Vorderen Orients ist, europäisiert. Aber der Anspruch des biblischen Textes selbst zusammen mit der Ausbreitung der christlichen Kultur haben die Bibel zu einem Welt-Buch gemacht. Falls die Bibel einmal ein europäisches oder ein europäisiertes Buch gewesen ist, ist sie es heute nicht mehr. Das Kind ist erwachsen geworden und wurde in die Welt hinausgeschickt.

I HAUPTVORTRÄGE

       Christentum und das antike Erbe des Euromediterraneums*

       Hartmut Leppin

       1. Europa?

      Jesus war ein Levantiner, Origenes ein Ägypter, und Augustinus kam aus Africa – was hat das antike Christentum also mit Europa zu schaffen? Ohne Zweifel ist ja die Rede von den »schöne[n], glänzende[n] Zeiten, wo Europa ein christliches Land war«,1 allzu einseitig. Immer gehörten andere Religionen zu Europa: Selbst während des Mittelalters, nach wie vor für viele der Inbegriff christlicher Zeiten, lebten und wirkten stets Juden, Muslime, selbst Agnostiker auf dem Kontinent Europa und praktizierten Menschen, die als Heiden tituliert wurden, hier ihre Kulte. Das hat die jüngere Forschung mit Nachdruck betont.2 Im öffentlichen Geschichtsbewusstsein und in vielen politischen Verlautbarungen gehören Christenheit und Europa gleichwohl eng zusammen; gerade größere, jüngere historische Meisterzählungen haben die Bedeutung des Christentums für die europäische Identität herausgestellt.3 Dieser Sammelband ist mit den beiden plakativen Begriffen »Christentum und Europa« überschrieben und suggeriert damit eine solche Verbindung, aber bestimmt nicht in der Absicht, es so affirmativ zu belassen.

      Europa als geisteswissenschaftliche Kategorie darf jedenfalls, darüber wird man leicht Konsens erreichen, nicht auf seine geographischen Ausmaße reduziert werden. Denn was intuitiv als europäisch empfunden wird, hat sich

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