Christentum und Europa. Группа авторов

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Christentum und Europa - Группа авторов Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)

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kommen könnte. Oder umgekehrt formuliert: Wenn der Staat einzelne Religionen bevorzugt, die Trennung von Staat und Kirche unscharf werden lässt, und die Religionsgemeinschaften den einzelnen Gläubigen durch religiöse Vorgaben in Konfliktsituationen treiben, dann haben alle Beteiligte ein Problem. Religionsgemeinschaften würden nämlich dann zum Konfliktverursacher werden, weil sie kulturelle, moralische und vielleicht sogar rechtliche Normaussagen tätigen, die im Widerspruch zu Normaussagen des Staates oder der Mehrheitsgesellschaft stehen können. Dann entstehen Brüche und Konflikte, und religiös motivierte Konflikte zeichnen sich immer durch ein Übermaß an Irrationalität aus, wie die Geschichte und die Gegenwart zeigen.

      Um diese allgemeine Antwort zu präzisieren, werden konkrete Beispiele nachgereicht, die der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration in seinem Jahresgutachten von 2016 aufgearbeitet hat.

       3.1 Glaubensloyalität versus Recht auf Wiederverheiratung

      Ein Beispiel betrifft den berühmten Fall eines Chefarztes eines katholischen Krankenhauses, der im Jahr 2000 dort seine Stelle angetreten hat. Die Grundordnung des Dienstvertrages schrieb ihm die Anerkennung und Beachtung der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre vor. Eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen kann – so der Arbeitsvertrag – nur bei schwerwiegenden Loyalitätsverstößen gerechtfertigt sein. Ein solcher lag aus Sicht der Krankenhausleitung vor, als der Chefarzt nach erfolgter Scheidung seine neue Lebensgefährtin heiratete. Die Krankenhausleitung kündigte den Arbeitsvertrag. Dagegen klagte der Chefarzt und bekam vom Arbeitsgericht als auch vom Landgericht Düsseldorf Recht, das Bundesverfassungsgericht hob diese Entscheidungen 2014 jedoch wieder auf, mit der Begründung, die Vorinstanzen hätten sich nicht so detailliert mit dem kirchlichen Arbeitsverhältnis auseinandersetzen dürfen. Die Sache wurde vom Bundesverfassungsgericht an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen, welches nun eine Überprüfung des Falles durch den EuGH fordert.

      Die Kündigung und die schwierige Urteilsfindung sind für einen Nichtjuristen schwer nachvollziehbar. Es ist einzusehen, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eines katholischen Krankenhauses keine offene oder verdeckte Agitation gegen die katholische Kirche unternehmen dürfen – weder in der Dienstzeit noch in der Freizeit. Man würde es auch als eine Verletzung der Loyalität gegenüber dem kirchlichen Arbeitgeber empfinden, wenn der Chefarzt am Wochenende von Haus zu Haus geht und für die Zeugen Jehovas Werbung betreibt. Aber die eheliche Legitimierung einer Partnerschaft als Grund für die Kündigung zu sehen, nur weil es die zweite Ehe ist und er damit gegen die dogmatische Norm der Unauflöslichkeit der Ehe verstoßen hat, geht als Begründung wohl zu weit, weil es mit der eigentlichen Aufgabe eines Chefarztes in keinerlei Beziehung steht. Das weltliche Recht auf Wiederverheiratung gerät mit dem kirchlichen Arbeitsrecht in Konflikt, in so einem Fall könnte man für Mäßigung plädieren.

       3.2 Kindeswohl versus elterliches Recht auf religiöse Prägung

      Eine andere Sache, die in den vergangenen Jahren viel Staub aufgewirbelt hat, ist die Frage, wie weit das Recht auf religiöse Prägung von Kindern gehen darf. 2011 sind bei einem beschnittenen Jungen zwei Tage nach dem Eingriff Nachblutungen aufgetreten, die in der Kindernotaufnahme eines Krankenhauses behandelt werden mussten; dadurch wurde die Staatsanwaltschaft auf den Fall aufmerksam. Das damit befasste Amtsgericht sprach den Arzt, der die Beschneidung durchgeführt hat, zunächst frei. Die Staatsanwaltschaft legte gegen dieses Urteil Berufung ein und bekam vom Landgericht in Köln Recht. Das Gericht beurteilte das Verhalten des Arztes als rechtswidrig, ohne ihn aber zu bestrafen. Es lag ein sogenannter Verbotsirrtum vor. Der Fall reflektiert eine klassische Normkollision: das Recht auf körperliche Unversehrtheit und ebenso die negative Religionsfreiheit des Kindes auf der einen Seite und das Recht auf religiöse Erziehung des Kindes durch die Eltern auf der anderen Seite.

      Das Kölner Urteil hat großes Aufsehen erregt. Jüdische und muslimische Gemeinden in Deutschland sahen dadurch die Grundlagen religiöser Lebensführung verletzt und wurden dabei von den christlichen Kirchen sowie von zahlreichen Verfassungs- und Kirchenrechtlern unterstützt. Begrüßt haben das Urteil neben humanistischen Gruppen vor allem Strafrechtler sowie der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte und die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie. Die Bundesregierung hat wohl zu Recht die Büchse der Pandora rasch geschlossen und im Eilverfahren die Beschneidungserlaubnisnorm erlassen, wonach die Einwilligung zu »einer medizinisch nicht erforderlichen Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes« (nicht weiblichen Kindes, sic!) als Teil der Personensorge anzusehen ist, wenn sie »nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt« wird und das »Kindswohl« dadurch nicht gefährdet ist. Das ist für die Gegenwart ein vernünftiger Zugang, denn es hat Rechtssicherheit geschaffen und ein Zeichen der religiösen Pluralität gesetzt. Dennoch sind die Religionsgemeinschaften aufgerufen, auch jahrhundertealte rituelle Praktiken zu überprüfen, zu hinterfragen und vielleicht zu modifizieren. Sie werden es wahrscheinlich nicht tun, aber es wäre notwendig, denn das Rechtsempfinden in so einem konfliktären Fall kann sich auch wieder ändern.

       3.3 Koedukativer Unterricht versus Geschlechtersegregation

      Eine andere Konfliktsituation wird erwähnt, die aus dem schulischen Bereich stammt. Sie betrifft die bekannte Abmeldung der Töchter muslimischer Eltern aus religiösen Gründen vom gemischtgeschlechtlichen Sport- bzw. Schwimmunterricht. Die Eltern berufen sich dabei auf die Bekleidungsvorschriften des Korans, die Religionsfreiheit und das Erziehungsrecht der Eltern. Ein konkreter Fall ging bis zum Bundesverwaltungsgericht, das 2013 entschied, dass es einer 11-jährigen muslimischen Schülerin zuzumuten sei, wenigstens im Burkini am koedukativen Schwimmunterricht teilzunehmen. Es begründete diese Entscheidung damit, dass das Grundrecht der Glaubensfreiheit grundsätzlich keinen Anspruch darauf vermittelt, im Rahmen der Schule nicht mit Verhaltensgewohnheiten Dritter konfrontiert zu werden, die außerhalb der Schule und außerhalb der religiösen Gemeinschaft verbreitet sind. Das Gericht entschied sich dagegen, die Schule als eine Art »Biotop« zu definieren, in dem Kinder von den »Zumutungen des Alltags« (hier konkret: vom Anblick gleichaltriger Schüler in Badebekleidung) verschont bleiben sollten.

      Toleranz und Respekt sollen – so der Tenor des Urteils – keine Einbahnstraßen sein und Pluralität heißt eben auch, Vielfalt in vielfältiger Richtung, auch in Richtung Mehrheitsgesellschaft, zu akzeptieren. Wer bei diesen und ähnlichen Konfliktsituationen auf der Strecke bleibt, sind die heranwachsenden Kinder, die zwischen den vermeintlich religiös motivierten Erziehungsansprüchen der Eltern und der sozialen Welt der Gleichaltrigen hin- und hergerissen werden. Ankommen in Deutschland oder Österreich heißt eben Grundsätzliches anzunehmen, und dazu zählt auch der koedukative Unterricht in den öffentlichen Schulen. Eltern sollten – so die Meinung des Autors –, unabhängig von ihrer religiösen Überzeugung, dem Kind eine Chance auf eine von der Mehrheitsgesellschaft als normal erachtete Entwicklung geben.5

       3.4 Neutralitätsgebot der öffentlichen Hand versus subjektives Religionsverständnis

      Im letzten hier vorgestellten Beispiel für Normkonflikte geht es um die Kopftuch tragende Lehrerin. Hinter dem damit verbundenen Konflikt steht abermals die Abwägung unterschiedlicher Rechtsgüter, und zwar um das Ausleben des subjektiv empfundenen Religionsverständnisses und das Neutralitätsgebot der öffentlichen Hand im Mittelpunkt. Theologisch ist das Tragen eines Kopftuches nicht zwingend und daher auch kein Bestandteil einer objektiven Religionsfreiheit, sondern eines subjektiv empfundenen Religionsverständnisses.

      Der Fall: Einer muslimischen Lehrerin und einer muslimischen Sozialpädagogin aus Nordrhein-Westfalen war es laut nordrhein-westfälischen Schulgesetzen untersagt, im Dienst ein Kopftuch

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