Christentum und Europa. Группа авторов

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Christentum und Europa - Группа авторов Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)

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Theologe Erich Zenger gewesen ist, der – soweit ich informiert bin – weder verheiratet noch geschieden war, sollte uns nicht wundern.10

      Der Islam hat dagegen seine noch spätere Offenbarung damit gerechtfertigt, dass er behauptet hat, die Schriftgrundlagen des Judentums und des Christentums seien korrumpiert, so dass nur die neue Botschaft des Korans anzuerkennen sei.11 Obwohl das Judentum und der Islam, jeder in seiner heiligen Sprache Hebräisch bzw. Arabisch, verwandte Begriffe für ihre heiligen Schriften gebrauchen, nämlich Mikra und Koran, was beides »das Vorgelesene« bedeutet, haben nur das Judentum und das Christentum einen gemeinsamen Text, den beide Religionsgemeinschaften als Bibel bezeichnen. Das gilt, auch wenn sie sich nicht einig sind, wie dieses Wort zu deuten ist und welche Bücher dazugehören. Das Ergebnis ist, dass Juden und Christen unterschiedliche Vorstellungen haben, wenn sie über die Bibel sprechen. Der Begriff »Bibel« ist insofern nicht eindeutig. Was Judentum und Christentum in oberflächlicher Weise verbindet, ist dasselbe, was die zwei Schwesterreligionen auch trennt.

      Als geborener Zyniker darf ich mir vielleicht die Beobachtung erlauben, dass das, was Judentum und Christentum bei der Bibel eigentlich verbindet, der Umstand ist, dass beide Religionen die Bibel – egal wie wir ihren Umfang definieren – als Quelle von Zitaten verwenden, die aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen werden, um vorgegebene theologische Positionen zu begründen. Die Positionen mögen nicht übereinstimmen, aber die Hermeneutik ähnelt sich.

      Ein analoges Problem der Definition begegnet uns, wenn wir über Europa sprechen. Denn was ist Europa, und wie definieren wir es?12 Wie wir alle wissen, leitet Europa seinen Namen von dem Mythos ab, wonach der Götterkönig Zeus in der Gestalt eines Stiers Europa, die Tochter des Königs Agenor von Tyros, entführt haben soll. So kam die Landmasse westlich von Asien und nördlich von Afrika zu dem Namen Europa, auch wenn deren Grenzen lange Zeit nicht eindeutig zu bestimmen waren. Heute verstehen wir unter Europa den westlichen Teil eines Megakontinents, dessen Hauptteil in Asien liegt. Die Grenze zwischen den beiden Erdteilen wird üblicherweise mit den Gebirgsketten des Ural und des Kaukasus gleichgesetzt. Aber was zu Europa gerechnet wird, hat sich im Laufe der Jahrhunderte mehrmals geändert. In der Antike hat man Europa vor allem in dem sozusagen »zivilisierten« griechisch-römisch-christlichen Teil des Kontinents gesehen. Dabei wurde Europa eher als kultureller bzw. religiöser Bereich statt als rein geographischer Begriff verstanden. Doch die Grenzen dieses Bereichs änderten sich, als der Einfluss der griechischen Staaten, des Römischen Reiches und der westlichen bzw. römisch-katholischen Kirche sich ausdehnte. Es ist üblich, Europa mit dem Einflussbereich des Christentums gleichzusetzen, aber auch der Islam hat zu verschiedenen Zeiten auf der Iberischen Halbinsel, im Südosten Europas und in den Balkanländern Fuß gefasst. Während die Bibel die Grundschrift des Christentums und der christlichen Welt darstellt, kann man dasselbe nicht für den Islam behaupten. Andererseits liegt in der modernen Welt der Schwerpunkt des Christentums nicht mehr in seiner europäischen Heimat, sondern in der südlichen Hälfte Afrikas und in Südamerika. Die Verbindung Europas mit der Bibel – oder umgekehrt der Bibel mit Europa – ist in unseren Tagen nicht mehr gültig.13 Aber war sie es je?

      Kehren wir nochmals zur Ausgangsfrage zurück: Ist die Bibel ein europäisches Buch? Im Falle der hebräischen Bibel bzw. des Alten Testaments ist dies, wörtlich genommen, schwer zu behaupten. Zwar gibt es ein paar Bücher des Tanachs, die in hellenistischer Zeit oder unter Einfluss des hellenistischen Gedankenguts verfasst wurden – man denke zum Beispiel an Hiob und Daniel.14 Aber die überwiegende Mehrzahl der Bücher ist ein Erzeugnis des Alten Vorderen Orients und spiegelt dessen facettenreiche Kultur von der Eisenzeit bis in die persische Epoche wider, die mit der Eroberung Alexanders des Großen im späten 4. Jahrhundert vor der Zeitrechnung zu Ende ging.

      Als eindeutiges Beispiel für diese Behauptung kann man auf die ersten Kapitel der Genesis verweisen, die nur vor dem Hintergrund einer Begegnung mit der Literatur des Alten Vorderen Orients verständlich sind. Zwar kann man die Erzählungen der Genesis und anderer biblischer Bücher auch einfach als Geschichten genießen, ohne die altorientalische Literatur zu kennen, und man kann sie sogar theologisch auslegen. Aber erst seit der Entdeckung der altorientalischen Texte und seit der Entschlüsselung der Sprachen aus der weiteren Umwelt der Bibel kennen wir den ursprünglichen Kontext, in dem die Erzählungen und religiösen Aussagen des biblischen Textes zu verstehen sind. Die ersten Kapitel der Genesis sind mit Anspielungen und Reaktionen auf Traditionen durchdrungen, die hauptsächlich aus Mesopotamien bekannt sind. Einflüsse des babylonischen Schöpfungs-Mythos Enuma Elisch, des Gilgamesch-Epos, der Atrachasis-Erzählung und vieler anderer erlauben uns Einsichten in den biblischen Text, die zuvor unvorstellbar waren.

      Unter anderem wissen wir jetzt, dass das vorherrschende – aber nicht einzige – Weltbild der Hebräischen Bibel mehr oder weniger dem der mesopotamischen Kultur geglichen hat; denn beide stellten sich eine Welt vor, die in einer Luftblase inmitten des chaotischen Urwassers verankert ist. Nur die göttliche Hilfe bewahrt die Welt davor, in diesem Wasser unterzugehen. – Nebenbei bemerkt, da die Existenz des Wassers der Schöpfung der Welt vorausgeht, kann man kaum mehr von einer ausschließlichen und reinen creatio ex nihilo sprechen.15 – Etwas anderes, das unsere Luftblasenwelt vor der Zerstörung schützt, sind die Berge bzw. die Säulen am Ende der Welt, die die Welt verankern und stabilisieren. Die biblische »Feste«, der wir in Genesis 1,6–8 zuerst begegnen, ist die harte Schale, die die Welt vor dem zerstörerischen Wasser abschirmt. Sonne, Mond und Sterne sind Lichter im Himmel, die sich vor dem Hintergrund der Himmelsschale bewegen. Das Bild, das wir so gewinnen, ist uns als Erben der europäischen Kultur fremd. Obwohl wir ein ähnliches Bild bei den Vorsokratikern in Kleinasien finden, ist diese Vorstellung dem Abendland seit dem Aufkommen der Sokratiker unbekannt geblieben. Seither haben andere Weltvorstellungen das europäische Gedankengut beeinflusst. Dies ist nur ein kleines Beispiel, um zu zeigen, dass die Hebräische Bibel zumindest in ihrem Ursprung kein europäisches Buch gewesen ist, obwohl sie von der europäischen bzw. christlichen Welt zu einem solchen gemacht wurde in einem Vorgang, den wir heute vielleicht als kulturelle und religiöse Vereinnahmung bezeichnen würden.

      Analoges kann man vom Neuen Testament nicht behaupten. Obwohl die Mehrzahl der Autoren des Neuen Testaments Juden waren, die im Nahen Osten gelebt haben, war dieser Erdteil zu jener Zeit dem Römischen Reich eingegliedert, auch wenn diese Tatsache andere Juden wiederum zu dem vergeblichen Versuch geführt hat, sich mittels zweier Aufstände 66–70/73 und 132–135 u. Z. von der Oberherrschaft Roms zu befreien. Als literarisches und theologisches Werk, das versucht, die Welt der orientalischen Antike mit der Welt der hellenistisch-römischen Kultur in Einklang zu bringen, kann das Neue Testament als europäisches Buch betrachtet werden. Heutzutage zählt der Nahe Osten nicht mehr zu Europa, aber zu der Zeit, als das Neue Testament verfasst wurde, gehörte er zu dem Kulturkreis, aus dem die europäische Kultur hervorging.

      Da das Christentum bis in die Moderne maßgebend für die europäische Kultur gewesen ist, könnte man behaupten, dass die Grundschrift des Christentums, nämlich das Neue Testament, das europäische Buch schlechthin ist. Weil aber Marcion, der die Hebräische Bibel aus seiner Heiligen Schrift ausscheiden wollte, zum christlichen Häretiker erklärt wurde, hat die Alte Kirche entschieden, auch das sogenannte Alte Testament in griechischer Sprache in ihre Heilige Schrift aufzunehmen. Dies hat dazu geführt, dass der Kontext und die ursprüngliche Bedeutung des Tanachs in der christlichen Kirche gewollt oder ungewollt verloren gingen und der Text nun christologisiert und europäisiert wurde.

      Um nur ein Beispiel dieses Vorgangs zu geben: Wann immer der Text es scheinbar erlaubt – sei es mit einem Plural oder sei es mit der Erwähnung der Zahl drei –, wird die christliche Trinität in den vorchristlichen Tanach hineingelesen. So lesen wir gemäß der Lutherbibel 1984 in Genesis 1,26, dass Gott spricht: »Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei.« Ist dieses »uns« ein pluralis maiestatis oder – wahrscheinlicher – eine Rede an das Himmlische Heer, mit dem Gott sich umgibt? Nach der christologischen Auslegung ist es Gott der Vater, der in diesem Fall Gott den Sohn und den Heiligen Geist anspricht.16 Eine ähnliche Auslegung finden wir in Genesis 18, wo Abraham und Sara von drei himmlischen

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