Christentum und Europa. Группа авторов

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Christentum und Europa - Группа авторов Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)

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getragen, das in seinem Urteil keine generelle Gestattung religiös motivierter Bekleidungsformen im öffentlichen Dienst vorsieht. Damit besagt das Urteil nicht, dass das Tragen eines Kopftuches generell erlaubt wäre, es verbietet das Tragen aber auch nicht. Im Urteil wird ausgeführt, dass jene Bekleidung zu wählen ist, die auf substantielle oder auch nur potentielle Konfliktlagen in der Schule Rücksicht nimmt. Wenn Unfrieden droht oder eine Kopftuch tragende Lehrerin das Neutralitätsgebot verletzt, dann ist das Tragen eines Kopftuches nicht erlaubt, sonst schon. Zu entscheiden hat das die lokale Schulverwaltung.

      Das ist ein unbefriedigendes Urteil, denn die Definition eines drohenden Unfriedens ist ausgesprochen unscharf. Unfrieden kann Unterschiedliches bedeuten und auch unterschiedliche Ursachen haben. Unfrieden kann aktiv durch schulinterne Umstände herbeigeführt werden, Unfrieden kann aber auch von außen in die Schule hineingetragen werden. Unfrieden kann vom Verhalten Dritter abhängig sein, die ihre Vorstellung vom »korrekten Erscheinungsbild« einer Lehrerin durchsetzen wollen, und jedes Mal verlangt das Gesetz eine Entscheidung von den für einen Schulstandort Verantwortlichen, was eine unglaublich schwierige Situation darstellt.

      Es sollte wohl selbstverständlich sein, dass Lehrerinnen im nicht bekenntnisorientierten Unterricht auch aus Respekt dem säkularen Staat gegenüber in öffentlichen Schulen auf das demonstrative Tragen religiöser Symboliken verzichten, und dazu zählt auch das Kopftuch. Das religiös-weltanschaulich neutrale Auftreten und Verhalten der Repräsentanten des öffentlichen Dienstes ist ein hohes Gut des säkularen Staates und er kann zu Recht auf dessen Einhaltung pochen.

       4. Die politischen Kernbotschaften

      Was kann man aus der dargestellten demographischen Entwicklung und den Beispielen von Normkonflikten folgern? Vier Punkte erscheinen als Kernbotschaft zentral.

       4.1 Österreich – multireligiös

      Österreich wurde und wird säkularer und gleichzeitig auch multireligiöser. Die Bindungskraft der christlichen Kirchen, insbesondere der römisch-katholischen, ist zurückgegangen, der Anteil an Gläubigen und sich dazu auch Bekennenden geht zurück. Zugleich steigt der Anteil derjenigen, die religiös im Sinne eines »believing without belonging« sind. Menschen legen sich ihre Religiosität individuell zurecht, verzichten aber gleichzeitig auf eine institutionelle Bindung an eine Religionsgemeinschaft. Schließlich verbreitert sich durch Zuwanderung das Spektrum der christlichen Religionen (Orthodoxie) und der früher in Österreich kaum vertretenen Religionen (wie etwa der Islam) und verstärken damit die religiöse Pluralität.

       4.2 Österreich – religionsfreundlich und religionsneutral

      Österreich ist ein religionsfreundliches und religionsneutrales Land, und beides hat sich bewährt. Es ist religionsfreundlich, weil es grundsätzlich allen Religionsgemeinschaften die gleichen Möglichkeiten einräumt, sich im öffentlichen und auch im staatlichen Raum zu entfalten. Die öffentliche Hand finanziert den bekenntnisorientierten Religionsunterricht, die Theologieausbildung an staatlichen Universitäten und gewährt Mitspracherechte in zahlreichen öffentlichen Entscheidungsprozessen.

      Weil Österreich auch ein religionsneutrales Land ist, kann diese Entfaltungsmöglichkeit in Zukunft nicht auf die christlichen Religionen oder sogar nur auf die römisch-katholische Kirche beschränkt bleiben. »Alle Rechte für alle Religionen« oder »keine Rechte für irgendeine« ist alternativlos, und weil Österreich den Religionen Rechte einräumt, müssen diese auf alle erweitert werden (»parity claims«). Ein islamischer Religionsunterricht in den Schulen und eine islamische Theologieausbildung an der Universität sind daher konsequente und folgerichtige Entwicklungen.

       4.3 Grenzen der Anerkennung von religiös verankerter Verschiedenheit

      Die Anerkennung von religiös verankerter Verschiedenheit hat aber auch ihre Grenzen. Und diese Grenzen sind durch die Normen der Verfassung und unseres Rechtssystems vorgegeben. Die Gewährung religiös motivierter Ausnahmeregelungen (»exceptions claims«) von diesen Normen ist kritisch zu prüfen, insbesondere dann, wenn die theologische Relevanz fraglich ist. Nicht alles, was religiös-theologisch aus der Sicht der Repräsentanten der Glaubensgemeinschaften wünschenswert erscheint, ist gleichzeitig auch gesamtgesellschaftlich akzeptabel.

      Die Befreiung vom Schulunterricht aus mäßig überzeugenden, religiösen Gründen, die Kontrolle des religiös-konformen Verhaltens bei Arbeitnehmern kirchlicher Einrichtungen auch in der Freizeit oder die Abweichung vom Neutralitätsgebot im öffentlichen Dienst – sprich Kopftuch tragende Lehrerin – zählen dazu. Eine verstärkte gesellschaftliche Diskussion über Normkonflikte und deren mögliche rechtliche Lösungen ist noch zu führen, der österreichspezifische Bauplan einer multireligiösen Einwanderungsgesellschaft ist noch nicht abgeschlossen.

       4.4 Religionsgemeinschaften: besondere Verantwortung

      Für viele Menschen gibt ihre Religion Antworten auf letzte Fragen und hilft bei der Bewältigung der Ungewissheit von Gegenwart und Zukunft. Sie gibt darüber hinaus gerade Zugewanderten Halt und Orientierung und ist damit für Integration wichtig. Aber Religionen sollten die Menschen nicht immer wieder in Gewissenskonflikte bei der Bewältigung des Alltags stürzen. Es sollte möglich sein, dass ein muslimischer Lagerarbeiter eine Bierkiste einräumt, ohne in Gewissensnöte zu geraten, weil er mit Alkohol hantiert. Es sollte möglich sein, dass ein muslimisches Mädchen am Schwimmunterricht im Badeanzug teilnehmen kann. Es sollte klar sein, dass eine Lehrerin religiös-weltanschaulich neutral den Schülerinnen und Schülern gegenübertritt und es müsste gestattet sein, dass ein Mitarbeiter eines katholischen Krankenhauses eine zweite Ehe eingeht.

      Religionsgemeinschaften tragen eine besondere Verantwortung, denn sie deuten und interpretieren jene Glaubensinhalte, die es den Gläubigen ermöglichen sollten, sich in einer religiös pluralen und säkularen Gesellschaft zurechtzufinden, ohne immer wieder in Glaubenskonflikte zu geraten. Das gilt insbesondere für die muslimischen Glaubensgemeinschaften. Die mitgebrachten religiösen Vorstellungen aus ihren Herkunftsstaaten können nicht eins zu eins übertragen werden, ein Zugehen auf die Aufnahmegesellschaft und gewisse Pragmatik ist einzufordern und sollte immer auch möglich sein, denn der Mensch und sein Wohlergehen sollen im Mittelpunkt stehen. Dass es in dem Bereich einen Nachholbedarf gibt, steht für den Autor dieser Zeilen außer Frage. Und man muss pragmatisch sein, denn eines ist klar: Gläubige und Nichtgläubige, Christen, Muslime, Juden und alle anderen Anhänger von Glaubensgemeinschaften müssen in einer pluralistischen und säkularen Gesellschaft zueinander finden und ihren Glauben in toleranter Weise praktizieren. Wenn sie das nicht tun, werden sie in fragwürdige Konflikte hineingezogen, bei denen keiner gewinnt, aber alle verlieren.

ÖFFENTLICHER ABENDVORTRAG

       Ist die Bibel ein europäisches Buch?

       Eine Außenseiterperspektive 1

       Carl Stephan Ehrlich

      Ich muss zugeben, dass ich etwas verblüfft war, als ich die Einladung zu dieser Tagung erhielt; denn ich bin weder Europäer noch evangelisch, nicht einmal Christ. Doch als man mir zusicherte, dass man mich genau deswegen einladen wolle, nämlich damit ich eine Außenseiterperspektive zur Geltung bringe, habe ich sofort zugesagt. Aber bin ich, obwohl ich Jude und Amerikaner bzw. Kanadier

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