Christentum und Europa. Группа авторов

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Christentum und Europa - Группа авторов Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)

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für die Gegenwart geführte Auseinandersetzung um die periodologische Einordnung der Reformation ideologisch entschärft.3 Zum anderen hat die in Tübinger Tradition vorwiegend mit theologiegeschichtlichen Argumenten bestrittene neuere Debatte um Kontinuitäts- und Umbruchmotive der Reformation rechts-, mentalitäts-, politik- und kommunikationsgeschichtliche Aspekte notorisch ausgespart, sich auf Mystik und sogenannte Frömmigkeitstheologie konzentriert und damit Quellen in den Vordergrund gerückt, an denen Historiker in aller Regel wenig Interesse zeigen.4 Sodann hat die Skepsis gegenüber Epochendiskussionen – soweit ich sehe – weite Kreise der Historikerzunft erfasst. Insofern ist die auf Umbruchmomente im Kontext eines Epochenjahres 1517 fokussierte Diskussion eine »sehr deutsche«5, deren Partikularität sich insbesondere gegenüber der in der angloamerikanischen Forschung üblich gewordenen, inzwischen auch von evangelischen Kirchenhistorikern vertretenen Konzeption einer pluralen Reformation zeigt.6 Die Pluralisierung der Reformationen geht in aller Regel mit ihrer chronologischen Entgrenzung einher; angesichts einer von ca. 1400 bis 1650 reichenden Übergangsepoche aber macht die traditionelle Debatte über die Einordnung der Reformation zwischen Mittelalter und Neuzeit wenig Sinn.

      Ein m. E. mit guten historiographischen Gründen vertretbarer singularischer Gebrauch des Begriffs »Reformation«7, der weiterhin in der deutschen Forschung und der öffentlichen Erinnerungskultur dominiert, ist im globalen oder internationalen Horizont heute alles andere als selbstverständlich. Gleichwohl kann man m.E. historisch präzis beschreiben, dass erst infolge von Luthers öffentlichem Kampf gegen den Ablass jene Ereignissequenzen einsetzten, die zu Veränderungen der Kirchenwesen im Alten Reich und in Europa führten, die wir traditionell als »Reformation« zu bezeichnen pflegen. Dies sei zunächst an einigen Beispielen illustriert, die zeigen, dass Luther und die Wittenberger spätestens seit 1518 in einem europäischen Horizont wahrgenommen wurden.8

      Im Oktober 1518 erschien bei dem Basler Drucker Johannes Froben eine erste Sammelausgabe Lutherscher Schriften. In einem Brief vom Februar 1519 teilte er dem Wittenberger Augustinereremiten mit, dass dieser Druck bereits vergriffen war; in Hunderten von Exemplaren war er nach Frankreich, Spanien, Italien und England verkauft worden. Im Nachgang der Leipziger Disputation, im Spätsommer 1519, erhielt Luther Post aus Prag; Repräsentanten der böhmischen Hussiten suchten den Schulterschluss mit ihm. Ein Jahr später trat der englische König Heinrich VIII. gegen Luthers radikale Sakramentsschrift De captivitate Babylonica literarisch an und wurde dafür vom Papst mit der Goldenen Tugendrose und dem Ehrentitel eines »Verteidigers des Glaubens« (defensor pacis) geehrt. Im Mai 1521 wurde nahe der Londoner St.-Pauls-Kathedrale ein Tribunal über Luther und seine Anhänger ausgeführt; nach den Lehrverurteilungen durch die Universitäten Köln und Löwen folgte im Frühjahr 1521 die durch die ehrwürdigste Universität des Abendlandes, die Sorbonne in Paris. Im Sommer 1521 reiste der aus Zwickau vertriebene reformatorische Prediger Thomas Müntzer nach Prag, um einen Kontakt mit Repräsentanten der hussitischen Bewegung aufzubauen; bereits ein Jahr zuvor hatte Luthers Wittenberger Kollege Karlstadt ein kurzes reformatorisches Intermezzo in Kopenhagen eingelegt. Die späteren Exponenten reformatorischer Entwicklungen in Frankreich, England und Dänemark, François Lambert aus Avignon, William Tyndal und Heinrich Tausen studierten seit den frühen 1520er Jahren in Wittenberg. Der jüdische Gelehrte Eliezer Ha Levi in Jerusalem sah in einem Brief des Jahres 1525 die endzeitliche Erwartung eines Zerfalls der Christenheit und des Beginns der Erlösung Israels durch Luthers Auftreten bestätigt. Dass reformatorische Ideen durch Texte, Studenten, Kaufleute und Mönche, anknüpfend nicht zuletzt an deutschsprachige Bevölkerungsgruppen in ganz Europa, sehr rasch über das Reich hinaus verbreitet wurden, ist evident.

      Die folgenden Überlegungen zur Europäizität der Reformation haben eine doppelte Tendenz: Zum einen soll es darum gehen, inwiefern die Reformation in Europa wurzelte (2), zum anderen darum, inwiefern sie Europa veränderte (3). In dieser Form nehme ich also die Frage nach der makrohistorischen Einordnung der Reformation auf.

       2.

      Die europäische Resonanz auf Luther und die reformatorische Bewegung hing mit strukturellen Gegebenheiten des lateineuropäischen Geschichtsraumes zusammen.9 Darunter verstehe ich jenen Teil unseres heutigen Kontinents, der von der römischen Tradition bestimmt war, also West-, Nord-, Mittel- und Mittelosteuropa; seine Grenzen bildeten die von der Orthodoxie geprägten Länder und Landschaften – Griechenland, Serbien, Montenegro, Bulgarien, Rumänien, die Ukraine und Russland. Die Reformation war primär ein lateineuropäisches Ereignis; sie betraf die vom lateinischen Christentum geprägten Länder direkt oder indirekt und wirkte sich mittel- oder unmittelbar auch auf die außereuropäischen Gebiete aus, die unter deren Einfluss gerieten. Mit dem 16. Jahrhundert trat das lateinische Christentum in die Phase seiner bis heute anhaltenden globalen Ausbreitung ein.10

      Lateineuropa war von einigen prägenden kulturellen und religiösen Elementen bestimmt; dies war etwa der altrömische Grundsatz, dass eine einheitliche, das Gemeinwesen integrierende Religion unverzichtbar sei – die Religion als vinculum societatis, als Band der Gesellschaft; die lateinische Sprache in der gottesdienstlichen Liturgie und in der gelehrten Kommunikation, das kanonische Kirchenrecht, die großen Orden und Verbände des abendländischen Mönchtums, die transnationale, gesamteuropäische Organisationsstrukturen besaßen und – das Papsttum, dessen in Anspruch genommener Jurisdiktionsbereich alle zu Lateineuropa gehörenden Länder bildeten. Auch die seit dem 12. Jahrhundert als Institutionen gelehrter Bildung entstandenen Universitäten und der durch sie geprägte methodische Argumentationsstil, die sogenannte Scholastik und die ihr eigene Rationalität, markierten eine prägende Besonderheit der lateineuropäischen Welt. Bestimmte Praktiken des religiösen Lebens wie die bewaffneten Wallfahrten ins Heilige Land – also die Kreuzzüge –, das Bußsystem, das die Vergebung bestimmter Vergehen mit exakt tarifierten Kompensationsleistungen verband oder die strengen sexualethischen Keuschheitsstandards für Priester aller Weihestufen – also der allgemeine Pflichtzölibat – waren Besonderheiten des lateinischen Christentums. Für den Ablass, die außerordentliche Vergebung zeitlicher Sündenstrafen, die eigentlich im Fegefeuer – dem postmortalen Reinigungsort – abzubüßen waren, galt dies gleichfalls. Durch die Ablässe konnte man einen teilweisen ›Nachlass‹ dieser im Bußsakrament auferlegten Sündenstrafen oder – ein exklusives Recht der Päpste mittels der sogenannten Plenarablässe – ihre vollständige Tilgung erreichen.

      Auch in politischer Hinsicht war Lateineuropa durch prägende Gemeinsamkeiten bestimmt. Im 15. Jahrhundert fühlte man sich hier in wachsendem Maße durch das Osmanische Großreich bedroht.11 Im Jahre 1453 war Konstantinopel, das ehrwürdige Zentrum des oströmischen Reiches, den türkischen Anstürmen erlegen. In den kommenden Jahrzehnten rückten türkische Heere immer weiter nach Europa vor; seit 1460 stand die Peleponnes unter osmanischer Verwaltung; 1461 fiel mit Trapezunt am Schwarzen Meer ein letzter christlicher Vorposten in türkische Hände; 1475 nahmen die Osmanen die genuesische Handelsniederlassung auf der Krim in Besitz; 1516/7 schließlich gelang die Eroberung Ägyptens und Syriens; 1521 erfolgte der Vorstoß nach Belgrad; im Herbst 1529 belagerten sie Wien.12 Die türkische Expansion bildete ein wichtiges politisches Hintergrundsmotiv der Reformationsgeschichte. Die gewaltsame Beendigung einer ca. siebenhundertjährigen christlich-muslimischen Kopräsenz in Andalusien durch die Rückeroberung Granadas, die sogenannte Reconquista im Jahre 1492, war eine der ›Antworten‹ des lateinischen Westens auf die Vorstöße der Türken. Denn die Herrscher der Iberischen Halbinsel, die ›Katholischen Könige‹ Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon, erstrebten eine Rechristianisierung. Die Dominanz der Osmanen im Mittelmeerraum behinderte den Orienthandel; wegen entsprechender Abgabenpflichten verteuerte dies die begehrten Waren. Die fieberhafte Suche nach einem Seeweg nach Indien war eine der Folgen des türkischen Imperialismus. Dass Bartolomeo Diaz 1487 erstmals das Kap der Guten Hoffnung, die Südspitze Afrikas, umsegelte, Christoph Kolumbus 1492 Amerika entdeckte und Vasco da Gama 1498 von Lissabon aus definitiv den Seeweg nach Indien fand, waren indirekte Folgen der osmanischen Vormacht im Mittelmeer. Ob die Globalisierung Lateineuropas, die seit dem späten 15. Jahrhundert

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