Christentum und Europa. Группа авторов

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Christentum und Europa - Группа авторов Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)

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      Damit stehen wir bei dem Ereignis, dem das zweite Referat galt, der Reformation. Einem Ereignis, das, wie Kollege Kaufmann breit belegt, ganz und gar in den Raum der lateineuropäischen Christenheit gehört und so, wie es geschah, auch nur hier geschehen konnte. Die Reformation setzt somit jene eigenständige Entwicklung des westlichen Euromediterraneums voraus, die seit dem nachkonstantinischen Altertum vor sich ging: die Ausbildung des durch das Lateinische als gemeinsame liturgische, juristische und theologische Sprache und durch das Papsttum, nach und nach noch durch eine Fülle weiterer Strukturen verbundenen kirchlichen Raumes West- und Mitteleuropas. Die Reformation setzt ferner das Kollektivchristentum voraus, das ebenfalls in nachkonstantinischer Zeit, allerdings gesamtchristlich, zum Normalfall geworden war. Sie setzte die in der lateinischen Tradition immer wieder hervorgehobene Differenzierung zwischen politischer und geistlicher Welt voraus – Luther und Calvin gaben ihr in der Zwei-Regimenten-Lehre eine kritische theologische Vertiefung –, auch wenn sie dort, wo der Protestantismus zur Mehrheitskonfession wurde und die Regierung sich auf seine Seite schlug, faktisch meist unterlaufen wurde. Und sie führte jene hochentwickelte Universitäts- und Argumentationskultur fort, die das lateinische Mittelalter ausgebildet hatte, nun zugunsten ihrer eigenen theologischen Einsichten fruchtbar und dank Buchdrucks, Muttersprachlichkeit und Bildungsförderung weiten Kreisen zugänglich gemacht.

       11.

      Auf der anderen Seite wandte sich die Reformation an wichtigen Punkten gegen lateineuropäische Erbschaften. Mit ihrem Verständnis des Glaubens als Inbegriff des Gottesverhältnisses machten sie das Christsein wieder zu einem wesenhaft persönlichen, individuellen Lebensvollzug: Als Glaubender ist der Christ ein Einzelner, die Kirche die Gemeinschaft aller glaubenden Einzelnen. Freilich verfochten sie diese Sicht, von einigen radikal-reformatorischen Gruppen abgesehen, im Rahmen des vorhandenen Kollektivchristentums, das in ihren Augen das Reservoir für die Verwirklichung wahren Christseins darstellte. Das aber nicht nach Art der spätantiken und mittelalterlichen Kirchen, die innerhalb des Kollektivs dezidiert individuelles Christsein als besondere Möglichkeit einer geistlichen Elite, der Mönche und Nonnen, verstanden, sondern als die Verwirklichung des Christseins an sich – mit der von Luther immer wieder angesprochenen Konsequenz, dass ein Christ in der Masse der Kirchenglieder doch »ein seltener Vogel« sei. Diese »Reindividualisierung« sah man als Konsequenz der neutestamentlichen, namentlich paulinischen Botschaft. Dann und wann wurde, etwa von Melanchthon, auch darauf hingewiesen, dass die Reformation damit zu dem Muster zurückkehre, das in der vorkonstantinischen Kirche gegolten habe. Der Pietismus machte aus diesem historischen Argument eine programmatische Waffe der Kirchenkritik – worin ihm die Aufklärung gerne folgte.

       12.

      Ebenso gegen eine lateineuropäische Erbschaft wandte sich die Reformation aller Strömungen, wie Kaufmann ausgeführt hat, mit der programmatischen Hinwendung zur Vielfalt der Volkssprachen, auf der Ebene der Gemeinden praktisch durchweg, in der Theologie neben dem Lateinischen. Auch darin sah man eine Konsequenz des Evangeliums, das auf Glauben ziele und damit verstehendes Hören voraussetze. Auf eine frühere Epoche der lateineuropäischen Kirche konnte man hierfür nicht hinweisen. Es waren vielmehr die – nachkonstantinischen – Kirchen des Ostens, in denen man historische und zeitgenössische Beispiele gegen die Monolingualität und für den Gebrauch der Volkssprachen hatte. Freilich konnte dieser Weg nun dank des Buchdrucks mit weit größerer Effizienz und für eine weit größere Zahl von Sprachen – innerhalb Europas, in der Mission dann auf allen Kontinenten der Welt – gegangen werden, mit den vielen sprach- und bildungsgeschichtlichen Folgen für die evangelischen Gebiete des Kontinents, die Kaufmann andeutet.

       13.

      Kaufmann zeigt, in welchem Maß die Reformation auf die Gegebenheiten Lateineuropas aufbaute, ja, sie z. T. erstmals wirklich effektiv nutzte, so eben den Buchdruck. Er zeigt ferner, in welchen Punkten diese Gegebenheiten durch die Reformation beendet oder verändert wurden. Die pejorative Rede von »Beschädigung« und »Zerstörung« scheint mir in diesem Zusammenhang allerdings wenig hilfreich. Nicht allein, weil etliche der von der Reformation heraufgeführten Veränderungen Errungenschaften darstellten, die früher oder später von allen Seiten übernommen wurden. Sondern auch, weil manche dieser Veränderungen an bereits im spätmittelalterlichen Lateineuropa gegebene Entwicklungen anknüpften, das so geschlossen, wie es das Wort »Lateineuropa«, suggeriert, denn doch nicht war – siehe die nationalen Bestrebungen und die unterschiedlichen Katholizismen der Zeit. Und namentlich die oft und auch von Kaufmann angeführten nachreformatorischen »Religionskriege« in Europa sollten die blutigen und teils lange währenden Kriege nicht übersehen lassen, die vor der Reformation geführt wurden, etwa zwischen England und Frankreich, oder, sie begünstigend, gleichzeitig mit der Reformation, allesamt von nicht- oder antievangelischen Mächten, etwa Habsburg, Frankreich oder dem Papst, betrieben. Aufs Ganze gesehen würde man hinsichtlich der Veränderungen durch Reformation und Gegenreformation wohl besser von einem Prozess innereuropäischer Auffächerung oder Pluralisierung sprechen. Wichtige unterschiedliche Züge des pluralen, evangelische und römisch-katholische Binnenräume umfassenden Europas sind bei Kaufmann genannt.

       14.

      Es sind Züge des ehemaligen und weiterhin erkennbaren lateinischen Europas. Denn bei allen Unterschieden, Spannungen und Gegensätzen gab es hier aufgrund der langen gemeinsamen Geschichte sich durchhaltende gemeinsame Prägungen. Sie zeigten sich in der Beibehaltung vorevangelischer Güter, etwa im Universitätswesen, partiell auch im Recht. Sie erleichterten die transkonfessionelle Befruchtung, nicht zuletzt die Übernahme vieler evangelischer »Neuerungen« vor allem im Bereich von Sprache und Bildungswesen, langfristig auch im Gottesdienst auf römisch-katholischer Seite. Und sie machten es auf Dauer möglich, auch mit dem religiösen Gegensatz, ohne ihn zu negieren, in friedlicher, gleichberechtigter Koexistenz umzugehen. Denn diese Errungenschaft, die Herausbildung politischer Gemeinwesen ohne »einheitliche oder dominierende Religion«, so Kaufmann, war ja nicht nur das Ergebnis leidvoller Kriegserfahrungen. Sondern es bedurfte dazu auch einer unter den Christen selbst gewachsenen Überzeugung: der Überzeugung, dass auch dem, was man für religiösen Irrtum hält, nicht mit staatlicher Gewalt begegnet werden dürfe. Diese Überzeugung, die nicht identisch ist mit einer Toleranz auf der Basis angenommener Gleich-Gültigkeit unterschiedlicher Religionen und Konfessionen, die allein aber am Ende ein friedvolles multiweltanschauliches Miteinander ermöglicht, wurde in der Reformation vorgebracht und war einer der Gründe ihrer amtskirchlichen Verurteilung – sie wurde freilich von ihren Verfechtern selbst schließlich nur sehr eingeschränkt praktiziert. Dass sie sich nach vielen Irrungen und Wirrungen schließlich, und das gesamtlateineuropäisch, Geltung verschaffte, hat etwas mit der Sicht des Verhältnisses von Kirche und Staat zu tun, die zur DNA dieses Raumes gehört.

       15.

      Sie gehörte zur DNA dieses Raumes. Zu der der östlichen und südöstlichen Länder Europas, die von Byzanz her geprägt waren und, zu einem Großteil jahrhundertelang unter andersreligiöser Herrschaft lebend, im unbedingten, »stillestehenden«4 Festhalten an der byzantinischen Tradition die Garantie für das Überleben ihrer Identität sahen, gehörte sie nicht. Ebenso wenig dazu gehörten andere lateineuropäische Errungenschaften wie das mittelalterliche Universitätswesen mit seiner Wissenschaftskultur und dann die neuen Herausforderungen durch die Reformation. Für die balkanorthodoxen Kirchen mit der bedingten Ausnahme der rumänischen ist die Abgrenzung vom europäischen Westen Teil ihrer Selbstdefinition. In dem größten und von Fremdherrschaft freien orthodoxen Land, dem russischen Zarenreich, gab es seit Peter dem Großen Ansätze, als fortschrittlich betrachtete westmitteleuropäische Errungenschaften, nicht zuletzt im Erziehungswesen, zu übernehmen. Russische Theologie und Philosophie des 19. Jahrhunderts standen in lebendiger Diskussion »auf

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