Kirchliche Zeitgeschichte_evangelisch. Группа авторов

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Kirchliche Zeitgeschichte_evangelisch - Группа авторов Christentum und Zeitgeschichte (CuZ)

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in den Status einer privaten Vereinigung. Die am 11. August 1919 verabschiedete Weimarer Reichsverfassung (WRV) fiel zur Erleichterung auf evangelischer Seite deutlich moderater aus. Einerseits hieß es zwar, dass fortan »keine Staatskirche« bestünde, die Kirchen behielten aber den Rang einer Religionsgemeinschaft (WRV §137) [Greschat/Krumwiede, 22–24]. Zudem wurde ihnen der Status öffentlich-rechtlicher Körperschaften zugesprochen, wodurch sie befugt waren, ihre Angelegenheiten selbstständig zu verwalten. Die Verfassung beließ den Kirchen die zentralen Privilegien: das Recht der Steuererhebung, den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an den allgemeinbildenden Schulen sowie das Existenz recht der Theologischen Fakultäten an den staatlichen Universitäten. Der liberale Kirchenrechtler Hans von Soden urteilte, die Staatskirche sei nicht verschwunden, sondern nur unsichtbar geworden [Besier, Kirche, 4]. Gleichwohl änderte das nichts an der grundsätzlich distanzierten Einstellung des Mehrheitsprotestantismus gegenüber der Republik. Nur die kleine Gruppe an Einfluss verlierender Liberaler um Ernst Troeltsch, Otto Baumgarten und Adolf von Harnack haben – ähnlich wie unter anderen ideologischen Voraussetzungen ansatzweise die Religiösen Sozialisten – die demokratische Staatsform mit ihren neuzeitlichen Politikkategorien Parlamentarismus und Verfassung, Gewaltenteilung und Menschenrechte schätzen und fördern können.

      Ungeachtet der moderaten verfassungsrechtlichen Umformung von einer Staats- zur Volkskirche blieben weite Teile des Protestantismus auch weiterhin auf Distanz zum Weimarer Staat. Das demokratische System galt hier als Produkt liberaler Traditionen der westeuropäisch-atlantischen Gesellschaften und wurde aus einem »deutschen« Selbstverständnis heraus ab gelehnt. Die Vorbehalte gegenüber dem Weimarer Staat machten sich vordergründig explizit an dem ungeliebten Friedensvertrag von Versailles (1919) fest. Er galt als ein vom »Westen« auferlegter »Schandfrieden« und blieb ein Spaltpilz deutscher Politik. Darüber hinaus war die protestantische Neigung zum Nationalismus ein weiterer Faktor, der die Vorbehalte gegenüber der Demokratie stärkte. Seit dem 19. Jahrhundert hatte man die um sich greifende Säkularisierung mit der Nation als Projektionsfläche religiöser Werte kompensiert und diese in der Nationalisierung neu erfahrbar gemacht. Den demokratisch verfassten Staat begriff man als Fehlgeburt aus Kriegsniederlage und Revolution. »National« avancierte zum Kampfbegriff gegen eine demokratieaffine Haltung sowie gegen eine Westorientierung mit liberalen und individualistischen Werten, die man als »politisch« beschrieb. Leitbegriffe wie »politisch« und »national« formatierten Weltbilder, aus denen sich die Handlungsmuster der Zukunft entwickeln ließen [Doering-Manteuffel, 185]. In der national verengten Wahrnehmungsperspektive galt der mit dem Weimarer Staat einhergehende gesellschaftliche und wirtschaftliche Modernisierungsschub als bedrohlich.

      Das kirchliche Milieu bot ein Spiegelbild dieser antirepublikanischen Einstellungen. Der 1919 gegründete Evangelische Kirchentag präsentierte sich mit nationalem Pathos in Distanz zum Weimarer Staat. Innerhalb der mehrheitlich deutschnational geprägten Pfarrerschaft stießen Töne dieser Art auf offene Ohren. 80% der Pastoren und evangelischen Pfarrer zählten nach den Erfahrungen mit der Revolution zum rechten Spektrum. Man hat weiten Teilen der evangelischen Pfarrerschaft vor 1933 eine tiefgreifende Demokratieunfähigkeit bescheinigen müssen [Nowak, Kirche, 210–215 u. ö.].

      Die neu verfasste Weimarer Gesellschaft bot der evangelischen Kirche Reibungsflächen und forderte sie gleich in mehrfacher Hinsicht heraus. Auch wenn die WRV den Kirchen weiterhin weitgehende Freiheiten beließ, so blieb die verfassungsrechtlich religionsneutrale Gesellschaft für den Protestantismus mit Fremdheitserfahrungen behaftet; zutiefst irritiert kritisierten viele den Weimarer Staat und nicht wenige suchten nach scheinbar politikfreien Nischen. Das galt auch für das von Otto Dibelius ausgerufene »Jahrhundert der Kirche«, es bot das Modell einer kirchlichen Gegenwelt, es konterkarierte den vermeintlich religionslosen Weimarer Staat mit seinen modernen Zügen, gleichzeitig war es aber an ihn und seine säkulare Präsentation gebunden, um die Kirche als Wächterin der Sittlichkeit und als gemeinschaftsspendenden Erlebnisort zur vollen Entfaltung kommen zu lassen [Dibelius, Jahrhundert].

      Die Großstadtkultur der »Goldenen Zwanziger Jahre« mit seinen von konservativen Kreisen als aufreizend wahrgenommenen Musik- und Theateraufführungen sowie den aufkommenden Kinos, dem sich ändernden Geschlechterverhältnis, das in einer evangelischen Frauenbewegung – gestärkt durch das nunmehr erreichte Wahlrecht für Frauen – Konturen gewann, dem ausgreifenden Konsum- und Freizeit verhalten wurde mit vermeintlich identifizierten Pluralisierungstendenzen aus Angst vor scheinbar unbändigen Zentrifugalkräften im Protestantismus zu großen Teilen abgelehnt. Die primär maskulin bestimmten gesellschaftlichen Diskurse über Ehe, Sexualreform (Lösung des Konnex’ Sexualität – Ehe; Schwangerschaftsabbruch) und Bevölkerungspolitik (Verhütungsmittel) fanden vor allem in evangelischen Frauenverbänden einen tendenziell konservativen Reflex.

      Die von technischen Errungenschaften und neuen Produktionstechniken ausgehende Modernisierung konnte von einer jüngeren Generation von protestantischen Funktionsträgern der nachrückenden Generation, wie etwa den Generalsekretär der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung Hanns Lilje, gerade noch bejaht werden, deren Transformation auf andere Lebensbereiche wurde indes strikt abgelehnt. Harsch deutete man den diagnostizierten umfassenden gesellschaftlichen Rationalisierungsprozess als Grund für die Entlassung des Individuums in seine schlechthinnige Bindungslosigkeit ohne Gemeinschaftsbezug. So unterschiedlich denkende Theologen wie Reinhold Seeberg, Friedrich Brunstäd, Emanuel Hirsch oder selbst Paul Tillich konnten als Ursache für die krisenhaft wahrgenommene Gesellschaft sowie für die Marginalisierung der Religion über ein stimmend das 19. Jahrhundert und die dort entwickelte rationalistische Grundhaltung verantwortlich machen.

      Als Gegenmodell zur als dekadent wahrgenommenen Großstadtkultur entdeckten einzelne konservative evangelische Kreise den von den Modernisierungen scheinbar unberührt gebliebenen ländlichen Raum. Die Zivilisationskritik und romantisierende Naturverbundenheit verbanden sich zu einzelnen Initiativen, die einen christlichen Lebensstil im ländlichen Raum anstrebten, dabei nicht selten inspiriert von einem Mythos eines intakten Land- und Familienlebens.

       3. Protestantische Präsentationsformen: Kirche, Milieus und Gruppen

      Die institutionelle Herausforderung für die evangelische Kirche nach dem Ende des landesherrlichen Kirchenregiments bestand im zeitnahen Aufbau einer kirchlichen Selbstverwaltung. Eine offene Ausgangslage hat es dabei nicht wirklich gegeben. Die den Revolutionsimpuls aufnehmende und aus liberalen Kreisen sowie aus dem freien Protestantismus stammende Volkskirchenbewegung propagierte eine Trennung von Staat und Kirche und setzte auf das sogenannte allgemeine Priestertum aller Gläubigen sowie auf eine einheitliche Kirchenverfassung. Die Initiative blieb eine Episode der Revolutionszeit. Die beharrenden Kräfte in den konservativ-konfessionell agierenden kirchenleitenden Be hör den und Synoden beanspruchten schnell das Neuordnungsmonopol. Dort favorisierte man eine landeskirchlich organisierte Amtskirche. Der Kirchentag in Dresden 1919 erwies sich in diesem konservativen Sinn als zukunftsentscheidend.

      Für den 1922 in Wittenberg gegründeten »Deutschen Evangelischen Kirchenbund« (DEKB) blieb infolgedessen das landeskirchliche Territorialprinzip bestimmend. Die Bildung einer Reichskirche war zwar in Aufnahme vormaliger Bemühungen aus dem 19. Jahrhundert diskutiert worden, gleichwohl kam es jetzt noch nicht dazu, erst nach 1933 sollte das Thema unter neuen politischen Vorzeichen auf der Agenda stehen.

      Für die Weimarer Zeit indes wurden 28 evangelische Landeskirchen zu einer nur losen Konföderation zusammengeführt. Die Selbständigkeit in Verkündigung, Verfassung und Verwaltung sowie der Bekenntnisstand der Landeskirchen blieben unangetastet. Als Organe des DEKB fungierten der Kirchentag, der Kirchenbundesrat und als Exekutivorgan der Kirchenausschuss, dessen Präsidium jeweils der höchste Beamte (Jurist) der preußischen Kirche vorstand. Der innovative Beitrag in der Geschichte der evangelischen Kirche vollzog sich in dieser Phase nach 1918 auf Länderebene durch die Bildung von Landeskirchenämtern, die fortan administrativ und inhaltlich eigenständig geführt wurden. Wegweisend wurden die nunmehr abgeschlossenen Verträge zwischen einzelnen Landeskirchen und Ländervertretungen, die ein Vorbild

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