Gesammelte Werke. Heinrich Mann

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Gesammelte Werke - Heinrich Mann

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behauptet wurde?“ Während Jadassohn es ihm gab, trat der Bruder des Herrn Buck herbei, lang und elegant, lächelte unbedeutend und bot dem Herrn Major für alles eine befriedigende Erklärung an. Aber der Major bedauerte; für eine solche Äußerung gebe es einfach keine Erklärung; und seine Miene ward von erschreckender Düsterkeit. Trotzdem sah er noch mit Bedauern nach seinem alten Stammtisch hinüber. Da, im entscheidenden Moment, hob Diederich die Sektflasche aus dem Kübel. Der Major bemerkte es und folgte seinem Pflichtgefühl. Jadassohn stellte vor: „Herr Fabrikbesitzer Doktor Heßling.“

      Diederichs Rechte und die des Majors drückten einander mit Aufbietung aller Kraft. Fest und bieder blickten die Herren sich ins Auge. „Herr Doktor,“ sagte der Major, „Sie haben sich als deutscher Mann bewährt.“ Man scharrte mit den Füßen, rückte die Stühle zurecht, präsentierte voreinander die Gläser, und dann durfte man trinken. Diederich bestellte sofort eine neue Flasche. Der Major leerte sein Glas, sooft es ihm vollgeschenkt wurde, und zwischen den Zügen versicherte er, auch er stehe, was deutsche Treue betreffe, seinen Mann. „Wenn mein König mich nun auch schon aus seinem aktiven Dienst entlassen hat –“

      „Der Herr Major“, erklärte Jadassohn, „war zuletzt beim hiesigen Bezirkskommando.“

      „– ich habe noch das alte Soldatenherz –“ er klopfte mit den Fingern darauf – „und unpatriotische Tendenzen werde ich stets bekämpfen. Mit Feuer und Schwert!“ schrie er und ließ die Faust auf den Tisch fallen. Im selben Augenblick zog hinter seinem Rücken der Warenhausbesitzer Cohn tief den Hut und entfernte sich eilig. Der Bruder des Herrn Buck suchte zuerst noch die Toilette auf, damit sein Verschwinden einen weniger fluchtartigen Charakter trage. „Aha!“ sagte Jadassohn um so lauter. „Herr Major, der Feind ist aufgerieben.“ Pastor Zillich war noch immer beunruhigt.

      „Heuteufel ist dageblieben. Ich traue ihm nicht.“

      Aber Diederich, der die dritte Flasche bestellte, sah sich höhnisch nach Lauer und Doktor Heuteufel um, die vereinsamt dasaßen und beschämt ihre Biergläser anstarrten.

      „Wir haben die Macht“, sagte er, „und die Herren dort drüben sind sich dessen bewußt. Sie revoltieren schon gar nicht mehr, weil der Posten geschossen hat. Sie machen Gesichter, als hätten sie Angst, daß sie nun selbst bald drankommen. Und sie kommen auch dran!“ Diederich erklärte, daß er wegen der vorhin gefallenen Äußerungen eine Anzeige gegen den Herrn Lauer bei der Staatsanwaltschaft erstatten werde. „Und ich werde dafür sorgen,“ versicherte Jadassohn, „daß die Anklage erhoben wird. Ich persönlich werde sie in der Hauptverhandlung vertreten. Die Herren wissen, daß ich als Zeuge nicht in Betracht komme, da ich den Vorgängen selbst nicht beigewohnt habe.“

      „Wir werden hier den Sumpf mal trocken legen“, sagte Diederich, und er fing von dem Kriegerverein an, auf den die treudeutsch und kaiserlich gesinnten Männer sich vor allem stützen müßten. Der Major nahm eine Amtsmiene [pg 159]an. Jawohl, er war im Vorstand des Kriegervereins. Man diente seinem König immer noch, so gut man konnte. Er war auch bereit, Diederich zur Aufnahme vorzuschlagen, damit die nationalen Elemente eine Kräftigung erführen. Denn bis jetzt, das durfte man sich nicht verhehlen, überwogen auch dort die leidigen Demokraten. Man nahm, nach der Meinung des Majors, behördlicherseits zu viel Rücksicht auf die in Netzig gegebenen Verhältnisse. Er selbst würde, wenn er zum Bezirkskommandanten ernannt worden wäre, den Herren Reserveoffizieren bei den Wahlen auf die Finger gesehen haben, dafür garantierte er. „Aber da mein König mir die Möglichkeit leider genommen hat –“ Diederich schenkte, um ihn zu trösten, frisch ein. Während der Major trank, beugte Jadassohn sich zu Diederich und raunte: „Glauben Sie ihm kein Wort! Er ist ein schlapper Hund und kriecht vor dem alten Buck. Wir müssen ihm imponieren.“

      Diederich tat dies sofort. „Ich habe nämlich mit dem Herrn Regierungspräsidenten von Wulckow bereits formelle Verabredungen getroffen.“ Und da der Major die Augen aufriß:

      „Nächstes Jahr, Herr Major, sind die Reichstagswahlen. Da werden wir Gutgesinnten schwere Arbeit haben. Der Kampf beginnt schon.“

      „Los!“ sagte der Major ingrimmig. „Prost!“

      „Prost!“ sagte Diederich. „Aber, meine Herren, mögen die subversiven Tendenzen im Lande noch so stark sein, wir sind stärker, denn wir haben einen Agitator, den die Gegner nicht haben, und das ist Seine Majestät.“

      „Bravo!“

      „Seine Majestät hat für alle Teile seines Staates, also auch für Netzig, die Forderung aufgestellt, daß die Bürger [pg 160]endlich aus dem Schlummer erwachen mögen! Und das wollen wir auch!“

      Jadassohn, der Major und Pastor Zillich bekundeten ihre Wachheit, indem sie auf den Tisch schlugen, Beifall riefen und einander zutranken. Der Major schrie: „Zu uns Offizieren hat Seine Majestät gesagt: Dies sind die Herren, auf die ich mich verlassen kann!“

      „Und zu uns“, schrie Pastor Zillich, „hat er gesagt, wenn die Kirche der Fürsten bedürfen wird –“.

      Man durfte allen Zwang ablegen, denn der Keller hatte sich längst geleert, Lauer und Heuteufel waren ungesehen entkommen, und in den hinteren Bogengewölben brannte schon kein Gas mehr.

      „Er hat auch gesagt –“ Diederich blies die Backen feuerrot auf, der Schnurrbart stieß ihm in die Augen, aber dennoch blitzte er fürchterlich. „Wir stehen im Zeichen des Verkehrs! Und so ist es auch! Unter seiner erhabenen Führung sind wir fest entschlossen, Geschäfte zu machen!“

      „Und Karriere!“ krähte Jadassohn. „Seine Majestät hat gesagt, jeder, der ihm behilflich sein will, ist ihm willkommen. Will das jemand vielleicht auf mich nicht mitbeziehen?“ fragte Jadassohn herausfordernd, mit blutig leuchtenden Ohren. Der Major brüllte wieder:

      „Und mein König kann sich totsicher auf mich verlassen. Er hat mich zu früh weggeschickt, als ehrlicher deutscher Mann sage ich es ihm laut ins Gesicht. Er wird mich noch mal bitter nötig haben, wenn es losgeht. Ich denke nicht daran, den Rest meines Lebens bloß noch mit Knallbonbons zu schießen auf Vereinsbällen. Ich war bei Sedan!“

      „Herrjemersch, und ich doch ooch!“ ertönte es von dünner Schreistimme aus unsichtbaren Tiefen, und den Schatten der Gewölbe entstieg ein kleiner Greis mit flattern[pg 161]den weißen Haaren. Er schwankte herbei, seine Brillengläser funkelten, seine Backen glühten, und er schrie: „Der Herr Major Kunze! Nu da! Alter Kriegskamerad, bei Ihnen geht’s ja zu wie dunnemals in Frankreich. Ich sag’ es aber immer: gut gelebt und lieber ä paar Jahre länger!“ Der Major stellte ihn vor. „Herr Gymnasialprofessor Kühnchen.“ Wie es kam, daß er dort hinten im Dunkeln vergessen worden sei, darüber äußerte der kleine Greis die lebhaftesten Vermutungen. Früher hatte er sich in einer Gesellschaft befunden. „Nu muß ich wohl ä bißchen eingeschlummert sein, und da sein die verdammten Lumichs mir ausgerückt.“ Der Schlaf hatte ihm vom Feuer der genossenen Getränke noch nichts genommen, er erinnerte, prahlerisch kreischend, den Major an ihre gemeinsamen Taten im eisernen Jahr. „Die Franktiröhrs!“ schrie er, und aus seinem faltigen, zahnlosen Munde rann Feuchtigkeit. „Das war Sie eene Bande! Wie die Herren mich da sähn, hab’ ich doch noch immer een’ steifen Finger, da hat mich ä Franktiröhr draufgebissen. Bloß weil ich ihm mit meim Säbel ä kleenes bißchen die Kehle abschneiden wollte. So eene Gemeinheit von dem Kerl!“ Er zeigte den Finger am Tisch umher und erregte Ausrufe der Bewunderung. Diederichs begeisterte Gefühle freilich mischten sich mit Schrecken, er mußte sich in die Lage des Franktiröhrs denken: der kleine leidenschaftliche Greis kniete auf seiner Brust und setzte ihm die Klinge an den Hals. Er war genötigt, einen Augenblick hinauszugehen.

      Wie er zurückkehrte, gaben der Major und Professor Kühnchen, einander überschreiend, den Bericht eines wilden Kampfes. Man verstand keinen. Aber Kühnchen

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