Gesammelte Werke. Heinrich Mann

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Gesammelte Werke - Heinrich Mann

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Anfall stummer Raserei sah er alles niedergeworfen, zerstoben: die Herren des Staates, Heer, Beamtentum, alle Machtverbände und sie selbst, die Macht! Die Macht, die über uns hingeht und deren Hufe wir küssen! Gegen die wir nichts können, weil wir alle sie lieben! Die wir im Blut haben, weil wir die Unterwerfung darin haben! Ein Atom sind wir von ihr, ein verschwindendes Molekül von etwas, das sie ausgespuckt hat!... Von der Wand dort, hinter blauen Wolken, sah eisern hernieder ihr bleiches Gesicht, eisern, gesträubt, blitzend: Diederich aber, in wüster Selbstvergessenheit, hob die Faust.

      Da knurrte der Wulckowsche Hund, unter dem Präsidenten hervor aber kam ein donnerndes Geräusch, ein lang hinrollendes Geknatter – und Diederich erschrak tief. Er verstand nicht, was dies für ein Anfall gewesen war. Das Gebäude der Ordnung, wieder aufgerichtet in seiner Brust, zitterte nur noch leise. Der Herr Regierungspräsident hatte wichtige Staatsgeschäfte. Man wartete eben, bis er einen bemerkte; dann bekundete man gute Gesinnung und sorgte für gute Geschäfte ...

      „Na, Doktorchen?“ sagte Herr von Wulckow und drehte seinen Sessel herum. „Was ist mit Ihnen los? Sie werden ja der reine Staatsmann. Setzen Sie sich mal auf diesen Ehrenplatz.“

      „Ich darf mir schmeicheln“, stammelte Diederich. „Einiges habe ich schon erreicht für die nationale Sache.“

      Wulckow blies ihm einen mächtigen Rauchkegel ins [pg 355]Gesicht, dann kam er ihm ganz nahe mit seinen warmblütigen, zynischen Augen und ihrer Mongolenfalte. „Sie haben erstens erreicht, Doktorchen, daß Sie Stadtverordneter geworden sind. Wie, das wollen wir auf sich beruhen lassen. Jedenfalls konnten Sie es brauchen, denn Ihr Geschäft soll ja ’ne ziemlich faule Karre sein.“ Da Diederich zusammenzuckte, lachte Wulckow dröhnend. „Lassen Sie nur, Sie sind mein Mann. Was meinen Sie, das ich da geschrieben habe?“ Das große Blatt Papier verschwand unter der Pranke, die er darauf legte. „Da verlange ich vom Minister einen kleinen Piepmatz für einen gewissen Doktor Heßling, in Anerkennung seiner Verdienste um die gute Gesinnung in Netzig ... Für so nett haben Sie mich wohl gar nicht gehalten?“ setzte er hinzu, denn Diederich, mit einer Miene, geblendet und wie mit Blödheit geschlagen, machte von seinem Stuhl herab immerfort Verbeugungen. „Ich weiß tatsächlich nicht“, brachte er hervor. „Meine bescheidenen Verdienste –“

      „Aller Anfang ist schwer“, sagte Wulckow. „Es soll auch nur eine Aufmunterung sein. Ihre Haltung im Prozeß Lauer war nicht übel. Na und Ihr Kaiserhoch in der Kanalisationsdebatte hat die antimonarchische Presse ganz aus dem Häuschen gebracht. Schon an drei Orten im Lande ist deshalb Anklage wegen Majestätsbeleidigung erhoben. Da müssen wir uns Ihnen wohl erkenntlich zeigen.“

      Diederich rief aus: „Mein schönster Lohn ist es, daß der Lokal-Anzeiger meinen schlichtbürgerlichen Namen vor die Allerhöchsten Augen selbst gebracht hat!“

      „Na, nu nehmen Sie sich mal ’ne Zigarre“, schloß Wulckow; und Diederich begriff, daß jetzt die Geschäfte kamen. Schon inmitten der Hochgefühle waren ihm Zweifel aufgestiegen, ob Wulckows Gnade vor allem [pg 356]anderen nicht eine ganz besondere Ursache habe. Er sagte versuchsweise:

      „Für die Bahn nach Ratzenhausen wird die Stadt nun doch wohl den Beitrag bewilligen.“

      Wulckow streckte den Kopf vor. „Ihr Glück. Wir haben sonst ein billigeres Projekt, darauf wird Netzig überhaupt nicht berührt. Also sorgen Sie dafür, daß die Leute Vernunft annehmen. Unter der Bedingung dürft ihr dann dem Rittergut Quitzin euer Licht liefern.“

      „Das will der Magistrat auch nicht.“ Diederich bat mit den Händen um Nachsicht. „Die Stadt hat Schaden dabei, und Herr von Quitzin zahlt uns keine Steuern ... Aber jetzt bin ich Stadtverordneter, und als nationaler Mann –“

      „Das möchte ich mir ausbitten. Mein Vetter Herr von Quitzin baut sich sonst einfach ein Elektrizitätswerk, das hat er billig, was glauben Sie, zwei Minister kommen bei ihm zur Jagd – und dann unterbietet er euch hier in Netzig selbst.“

      Diederich richtete sich auf. „Ich bin entschlossen, Herr Präsident, allen Anfeindungen zum Trotz in Netzig das nationale Banner hochzuhalten.“ Hierauf, mit gedämpfter Stimme: „Einen Feind können wir übrigens loswerden: einen besonders schlimmen, jawohl, den alten Klüsing in Gausenfeld.“

      „Der?“ Wulckow feixte verächtlich. „Der frißt mir aus der Hand. Er liefert Papier für die Kreisblätter.“

      „Wissen Sie, ob er für schlechte Blätter nicht noch mehr liefert? Darüber, Herr Präsident verzeihen, bin ich doch wohl besser informiert.“

      „Die Netziger Zeitung ist jetzt in nationaler Beziehung zuverlässiger geworden.“

      „Und zwar –“ Diederich nickte gewichtig, „seit dem [pg 357]Tage, an dem der alte Klüsing mir, Herr Präsident, einen Teil der Papierlieferung hat anbieten lassen. Gausenfeld sei überlastet. Natürlich hatte er Angst, daß ich mich an einem nationalen Konkurrenzblatt beteilige. Und vielleicht hatte er auch Angst –“ eine bedeutsame Pause – „daß der Herr Präsident das Papier für die Kreisblätter lieber bei einem nationalen Werk bestellt.“

      „Also – Sie liefern jetzt für die Netziger Zeitung?“

      „Niemals, Herr Präsident, werde ich meine nationale Gesinnung so sehr verleugnen, daß ich an eine Zeitung liefere, solange noch freisinniges Geld drin ist.“

      „Na schön.“ Wulckow stemmte die Fäuste auf die Schenkel. „Jetzt brauchen Sie nichts mehr zu sagen. Sie wollen bei der Netziger Zeitung das Ganze. Die Kreisblätter wollen Sie auch. Wahrscheinlich auch die Papierlieferungen für die Regierung. Sonst noch was?“

      Und Diederich, sachlich:

      „Herr Präsident, ich bin nicht wie Klüsing, mit dem Umsturz mach’ ich keine Geschäfte. Wenn Sie, Herr Präsident, auch als Vorstand der Bibelgesellschaft mein Unternehmen stützen wollten, ich darf sagen, die nationale Sache würde nur gewinnen.“

      „Na schön“, wiederholte Wulckow und zwinkerte. Diederich spielte seinen Trumpf aus.

      „Herr Präsident! Unter Klüsing ist Gausenfeld eine Brutstätte des Umsturzes. Bei seinen achthundert Arbeitern ist nicht einer dabei, der anders wählt als sozialdemokratisch.“

      „Na und bei Ihnen?“

      Diederich schlug sich auf die Brust. „Gott ist mein Zeuge, daß ich lieber noch heute die Bude zumache und mit den Meinen ins Elend hinausziehe, als daß ich einen [pg 358]einzigen Mann bei mir dulde, von dem ich weiß, er ist nicht kaisertreu.“

      „Sehr brauchbare Gesinnung“, sagte Wulckow. Diederich sah ihn mit blauen Augen an. „Ich nehme nur gediente Leute, vierzig haben den Krieg mitgemacht. Jugendliche beschäftige ich gar nicht mehr, seit der Geschichte mit dem Arbeiter, den der Wachtposten auf dem Felde der Ehre, wie Seine Majestät festzustellen geruhten, niedergestreckt hat, nachdem der Kerl mit seiner Braut hinter meinen Lumpen –“

      Wulckow winkte ab. „Ihre Sorge, Doktorchen!“

      Diederich ließ sich seinen Entwurf nicht verderben. „Unter meinen Lumpen darf kein Umsturz vorkommen. Mit Ihren Lumpen, ich meine in der Politik, ist es anders. Da können wir den Umsturz brauchen, damit aus den freisinnigen Lumpen weißes, kaisertreues Papier wird.“ Und er machte eine tief bedeutungsvolle Miene. Wulckow schien nicht verblüfft, er schmunzelte furchtbar.

      „Doktorchen, ich bin auch nicht von gestern. Legen Sie los, was haben Sie mit Ihrem Maschinenmeister ausgeknobelt?“

      Da er Diederich wanken sah, fuhr

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