Gesammelte Werke. Heinrich Mann
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„Ich gebe zu ... Als deutscher Mann, bei Damen ... Loyalste und korrekteste Weise ...“
Um halb zwei war er zurück und ließ sich aufseufzend zum Essen nieder. „Die Sache ist beigelegt.“
Der Nachmittag gehörte einer schwierigeren Aufgabe. Diederich ließ Napoleon Fischer hinauf in seine Privatwohnung kommen.
„Herr Fischer,“ sagte er und wies ihm einen Stuhl an, „ich empfange Sie hier und nicht in meinem Bureau, weil den Herrn Sötbier unsere Angelegenheiten nichts angehen. Es betrifft nämlich die Politik.“
Napoleon Fischer nickte, als habe er sich dies schon gedacht. Er schien an solche vertraulichen Unterredungen nunmehr gewöhnt, auf Diederichs ersten Wink griff er sogleich in die Zigarrenkiste; er schlug sogar das Bein über. Diederich war weit weniger sicher; er schnaufte – und dann entschloß er sich, ohne Umschweife, mit brutaler Ehrlichkeit auf sein Ziel loszugehen. Bismarck hatte es auch so gemacht.
„Ich will nämlich Stadtverordneter werden,“ erklärte er, „und dazu brauche ich Sie.“
Der Maschinenmeister warf ihm einen Blick von unten zu. „Ich Sie auch“, sagte er. „Denn ich will auch Stadtverordneter werden.“
„Nanu, na hören Sie mal! Ich war auf manches gefaßt ...“
„Sie hatten wohl schon wieder ein paar Doppelkronen in der Hand?“ – und der Proletarier fletschte die gelben Zähne. Er versteckte sein Grinsen gar nicht mehr. Diederich begriff, daß in Wahlsachen weniger leicht mit ihm zu reden sein werde als über eine geschundene Arbeiterin. [pg 345]„Nämlich, Herr Doktor,“ begann Napoleon, „den einen von den beiden Sitzen hat meine Partei bombensicher. Den anderen kriegen wahrscheinlich die Freisinnigen. Wenn Sie die ’rausschmeißen wollen, brauchen Sie uns.“
„So weit seh’ ich es ein“, sagte Diederich. „Ich habe zwar auch den alten Buck für mich. Aber seine Leute sind vielleicht nicht alle so vertrauensselig, daß sie mich wählen, wenn ich mich als Freisinniger aufstellen lasse. Sicherer ist es, ich vertrage mich auch mit Ihnen.“
„Und ich hab’ auch schon ’ne Ahnung, wieso Sie das machen können“, erklärte Napoleon. „Weil ich nämlich schon längst ’n Auge auf Herrn Doktor habe, ob er nun nicht bald in die politische Arena ’reinsteigt.“
Napoleon blies Ringe, so sehr war er auf der Höhe!
„Ihr Prozeß, Herr Doktor, und dann das mit dem Kriegerverein und so, das war alles ganz schön, als Reklame. Aber für einen Politiker heißt es doch immer: wie viele Stimmen krieg’ ich.“
Napoleon teilte aus dem Schatz seiner Erfahrungen mit! Als er vom „nationalen Rummel“ sprach, wollte Diederich protestieren; aber Napoleon fertigte ihn schnell ab.
„Was wollen Sie denn? Wir in unserer Partei haben gewissermaßen allerhand Achtung vor dem nationalen Rummel. Bessere Geschäfte sind allemal damit zu machen als mit dem Freisinn. Die bürgerliche Demokratie fährt bald in einer einzigen Droschke ab.“
„Und die vermöbeln wir ihr auch noch!“ rief Diederich. Die Bundesgenossen lachten vor Vergnügen. Diederich holte eine Flasche Bier.
„A–ber“, machte der Sozialdemokrat; und er rückte mit seiner Bedingung heraus: ein Gewerkschaftshaus, bei dessen Bau die Partei von der Stadt zu unterstützen war! [pg 346]... Diederich sprang vom Stuhl. „Und das erdreisten Sie sich von einem nationalen Mann zu verlangen?“
Der andere blieb gelassen und ironisch. „Wenn wir dem nationalen Mann nicht helfen, daß er gewählt wird, wo bleibt dann der nationale Mann?“ – Und Diederich mochte sich empören oder um Gnade flehen, er mußte auf ein Blatt Papier schreiben, daß er für das Gewerkschaftshaus nicht nur selbst stimmen, sondern auch die ihm nahestehenden Stadtverordneten bearbeiten werde. Darauf erklärte er barsch die Unterredung für beendet und nahm dem Maschinenmeister die Bierflasche aus der Hand. Aber Napoleon Fischer zwinkerte. Überhaupt dürfe der Herr Doktor froh sein, daß er mit ihm und nicht mit dem Parteibudiker Rille verhandele. Denn Rille, der für seine eigene Wahl agitiere, wäre zu dem Kompromiß nicht zu haben gewesen. Und in der Partei seien die Meinungen geteilt; Diederich habe also allen Grund, in der ihm nahestehenden Presse etwas für die Kandidatur Fischer zu tun. „Wenn fremde Leute, zum Beispiel Rille, sollten die Nase in Ihre Geschichten stecken, Herr Doktor, dafür werden Sie sich wohl bedanken. Bei uns beiden ist es was anderes. Wir haben schon mehr Dreck zusammen verscharrt.“
Damit ging er und überließ Diederich seinen Gefühlen. „Schon mehr Dreck zusammen verscharrt!“ dachte Diederich, und Angstschauer kreuzten sich in ihm mit Wallungen des Zorns. Das durfte der Hund ihm sagen, sein eigener Kuli, den er jeden Augenblick auf die Straße werfen konnte! Vielmehr, leider ging das nicht, denn es war wahr, sie hatten Dreck verscharrt. Der Holländer! Die geschundene Arbeiterin! Eine Vertraulichkeit zog die andere nach sich: jetzt waren Diederich und sein Prolet [pg 347]nicht nur im Betrieb aufeinander angewiesen, sondern auch politisch. Am liebsten hätte Diederich mit dem Parteibudiker Rille angebunden; aber dann war zu fürchten, daß Napoleon Fischer in seiner Rachsucht auspackte, was er wußte. Diederich sah sich genötigt, ihm auch noch gegen Rille zu helfen. „Aber“ – er schüttelte die Faust gegen die Zimmerdecke – „wir sprechen uns wieder. Und wenn es zehn Jahre dauert, die Abrechnung kommt!“
Hiernach oblag es ihm, dem alten Herrn Buck einen Besuch zu machen und sein biedermännisches und schöngeistiges Gerede mit Ergebenheit anzuhören. Dafür ward er Kandidat der freisinnigen Partei ... In der „Netziger Zeitung“, die in einem warmen Artikel Herrn Doktor Heßling als Mensch, Bürger und Politiker den Wählern empfahl, ward gleich darunter, wenn auch in kleinerem Druck, die Aufstellung des Arbeiters Fischer scharf beanstandet. Die sozialdemokratische Partei verfügte, man mußte es leider zugeben, über genug selbständige Gewerbetreibende, sie brauchte den bürgerlichen Stadtverordneten nicht den kollegialen Verkehr mit einem gewöhnlichen Arbeiter zuzumuten. Sollte insbesondere Herr Doktor Heßling im Schoße der städtischen Körperschaft seinem eigenen Maschinenmeister begegnen?
Dieser Ausfall des bürgerlichen Blattes stellte unter den Sozialdemokraten volle Einmütigkeit her; sogar Rille mußte sich für Napoleon erklären, – der mit Glanz durch das Ziel ging. Diederich bekam von der Partei, die ihn aufstellte, nur die Hälfte der Stimmen, aber ihn retteten die Genossen. Die beiden Gewählten wurden gemeinsam in die Versammlung eingeführt. Bürgermeister Doktor Scheffelweis beglückwünschte sie, mit dem Hinweis, daß einerseits der tätige Bürger, andererseits der empor[pg 348]strebende Arbeiter –. Und schon in der nächsten Sitzung griff Diederich in die Verhandlungen ein.
Zur Debatte stand die Kanalisation der Gäbbelchenstraße. Eine beträchtliche Anzahl jener alten Vorstadthäuser befand sich noch heute, am Ende des neunzehnten Jahrhunderts, im wenig rühmlichen Besitz von Abortgruben, deren Ausdünstungen zuzeiten die ganze Gegend überschwemmten. Bei seinem Besuch im „Grünen Engel“ hatte Diederich die Wahrnehmung gemacht. So wandte er sich denn mit Nachdruck gegen die finanztechnischen Bedenken des Magistratsvertreters. Eine Forderung der Kulturehre dürfe kleinlichen Rücksichten nicht weichen. „Deutschtum heißt Kultur!“ rief Diederich aus. „Meine Herren! Das hat kein Geringerer gesagt als Seine Majestät der Kaiser. Und bei anderer Gelegenheit hat Seine Majestät das Wort gesprochen: Die Schweinerei muß ein Ende nehmen. Wo nur immer großzügig vorgegangen wird, da leuchtet uns das erhabene Beispiel Seiner Majestät voran, und darum, meine Herren –“
„Hurra!“ rief eine Stimme links, und Diederich begegnete dem Grinsen Napoleon Fischers. Da reckte er sich auf, er blitzte.