Gesammelte Werke. Heinrich Mann
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„Sie sehen,“ erwiderte der Alte, „der Gemeinsinn schlägt Brücken von jung und alt und sogar bis zu denen, die nicht mehr da sind.“
Er führte die Hand im Halbkreis über die Wände und über das Geschlecht von einst, das verblichen und heiter aus ihrer gemalten Tiefe trat. Er lächelte den jungen Mädchen in Reifröcken zu und zugleich auch einer seiner Nichten und Meta Harnisch, die vorübergingen. Als er das Gesicht dem alten Bürgermeister zuwendete, der zwischen Blumen und Kindern aus dem Stadttor schritt, bemerkte Diederich die große Ähnlichkeit der beiden. Der alte Buck wies auf den und jenen aus der gemalten Versammlung.
„Von dem da hab’ ich viel gehört. Diese Dame kannte ich noch. Sieht der Geistliche nicht aus wie Pastor Zillich? Nein, unter uns kann es keine ernstliche Entfremdung geben, wir sind einander seit langem verpflichtet zum guten Willen und gemeinsamen Fortschritt, schon durch jene da, die uns die ‚Harmonie‘ hinterließen.“
„Nette Harmonie“, dachte Diederich und sah umher, wie er fortgelange. Der Alte hatte sich, nach seiner Gewohnheit, einen Übergang gemacht von den Geschäften zum sentimentalen Schwatz. „Immer kommt der Literat heraus“, dachte Diederich.
Gerade gingen Guste Daimchen und Inge Tietz vorbei. Guste hatte sich eingehängt, und Inge prahlte mit dem, was sie hinter den Kulissen erlebt hatte. „Unsere Angst, [pg 322]als sie immer sagten: Tee, Kaffee, Kaffee, Tee.“ Guste behauptete: „Das nächste Mal schreibt Wolfgang ein viel schöneres Stück, und ich spiele mit.“ Da machte Inge sich los, sie bekam eine scheu ablehnende Miene. „So?“ sagte sie; und Gustes dickes Gesicht verlor plötzlich seinen harmlosen Eifer. „Warum etwa nicht?“ fragte sie, weinerlich empört. „Was hast du nun wieder?“
Diederich, der es ihr hätte sagen können, wandte sich schleunig zum alten Buck zurück. Der schwatzte weiter.
„Dieselben Freunde, damals wie jetzt; und auch die Feinde sind da. Schon recht verwischt, der eiserne Ritter, der Kinderschreck dort in seiner Nische am Tor. Don Antonio Manrique, grausamer Reitergeneral, der du im Dreißigjährigen Krieg unser armes Netzig gebrandschatzt hast: wenn nun nicht die Riekestraße nach dir hieße, wohin wäre dann selbst der letzte Klang von dir verweht?... Auch einer, dem unser Freisinn nicht gefiel und der uns zu vertilgen dachte.“
Plötzlich schüttelte den Alten ein stilles Kichern. Er nahm Diederich bei der Hand.
„Hat er nicht Ähnlichkeit mit unserem Herrn von Wulckow?“
Diederichs Miene ward hierauf noch korrekter, aber der Alte bemerkte es nicht, er war nun einmal aufgeräumt, ihm fiel noch etwas ein. Er winkte Diederich hinter eine Pflanzengruppe und zeigte ihm an der Wand zwei Figuren, einen jungen Schäfer, der sehnsüchtig die Arme öffnete, und jenseits eines Baches eine Schäferin, die sich anschickte, hinüberzuspringen. Der Alte wisperte: „Was meinen Sie, werden die beiden zueinander kommen? Das wissen nicht viele mehr. Ich weiß es noch.“ Er sah sich um, ob niemand ihn beachte, und plötzlich öff[pg 323]nete er eine kleine Tür, die man nie gefunden haben würde. Die Schäferin auf der Tür bewegte sich dem Liebenden entgegen. Noch ein wenig, und hinter der Tür im Dunkeln mußte sie ihm wohl in den Armen liegen ... Der Alte wies in das Zimmer, das er aufgedeckt hatte. „Es heißt das Liebeskabinett.“ Laternenschein von irgendeinem Hof fiel durch das Fenster ohne Vorhang; er beglänzte den Spiegel und das dünnbeinige Kanapee. Der Alte zog die dumpfe Luft ein, die nach wer weiß wie langer Zeit herausströmte, er lächelte verloren. Und dann schloß er die kleine Tür.
Aber Diederich, den dies nur mäßig interessierte, sah etwas kommen, das weit mehr Anregung versprach. Es war der Landgerichtsrat Fritzsche: denn er war da. Sein Urlaub war wohl zu Ende, er war zurück aus dem Süden, und er hatte sich eingefunden, wenn auch etwas verspätet und wenn auch ohne Judith Lauer, deren Urlaub ja noch dauerte, solange ihr Gatte in der Vogtei saß. Wo er mit Drehungen des Körpers, die nicht unbefangen wirkten, hindurchkam, ward geflüstert, und jeder, den er begrüßte, lugte verstohlen nach dem alten Herrn Buck. Fritzsche sah wohl, daß er in der Sache etwas tun müsse; er gab sich einen Ruck und ging los. Der Alte, noch eben ahnungslos, fand ihn plötzlich vor sich. Er ward vollkommen weiß; Diederich erschrak und streckte schon die Arme aus. Aber es geschah nichts, der Alte hatte sich zurück. Er stand da, so steif, daß sein Rücken sich aushöhlte, und blickte kühl und unverwandt auf den Mann, der seine Tochter entführt hatte.
„Schon zurück, Herr Landgerichtsrat?“ sagte er laut.
Fritzsche versuchte jovial zu lachen. „Schöneres Wetter war dort unten, Herr Stadtrat. Na und die Kunst!“
„Davon haben wir hier nur einen Widerschein“ – [pg 324]und der Alte wies, ohne den anderen aus den Augen zu lassen, über die Wände. Seine Haltung machte Eindruck auf die meisten, die von dort hinten seine Schwäche belauerten. Er hielt stand und repräsentierte, in einer Lage, die einige Hemmungslosigkeit immerhin erklärt haben würde. Er repräsentierte das alte Ansehen, er allein für die zerfallende Familie, für das Gefolge, das schon ausblieb. In diesem Augenblick gewann er, statt so vieles Verlorenen, manche Sympathien ... Diederich hörte ihn noch sagen, förmlich und klar: „Ich habe es durchgesetzt, daß unser moderner Straßenzug eine andere Richtung bekam, bloß um dies Haus zu erhalten und diese Malereien. Sie haben nur den Wert von Schilderungen, mag sein. Aber ein Gebilde, das seiner Zeit und ihren Sitten Dauer verleihen möchte, kann hoffen, selbst zu dauern.“ Dann drückte Diederich sich, er schämte sich für Fritzsche.
Die Schwiegermutter des Bürgermeisters fragte ihn, was der Alte über die „Heimliche Gräfin“ geäußert habe. Diederich dachte nach, und er mußte gestehen, er habe das Stück gar nicht erwähnt. Beide waren enttäuscht.
Indes bemerkte er, daß Käthchen Zillich spöttisch hersah, und gerade sie hatte sich nichts zu erlauben. „Nun, Fräulein Käthchen“, sagte er recht laut. „Was denken Sie über den grünen Engel?“ Sie erwiderte noch lauter: „Der grüne Engel? Sind Sie das?“ Und sie lachte ihm ins Gesicht. „Sie sollten wirklich vorsichtiger sein“, meinte er stirnrunzelnd. „Ich fühle mich geradezu verpflichtet, Ihren Herrn Vater aufmerksam zu machen.“
„Papa!“ rief Käthchen sofort. Diederich erschrak. Glücklicherweise hörte Pastor Zillich nicht.
„Natürlich hab’ ich meinem Papa gleich neulich von [pg 325]unserem kleinen Ausflug erzählt. Was macht es denn, es waren doch nur Sie.“
Sie ging zu weit. Diederich schnaufte. „Na und für Liebhaber schöner Ohren war auch noch Jadassohn da.“ Da er sah, daß es sie traf, setzte er hinzu: „Das nächste Mal im grünen Engel streichen wir sie ihm grün an, das macht Stimmung.“
„Wenn Sie meinen, daß es auf die Ohren ankommt.“ Dabei drückte Käthchens Blick eine so schrankenlose Verachtung aus, daß Diederich den Entschluß faßte, mit allen Mitteln einzuschreiten. Sie befanden sich bei der Pflanzengruppe. „Was glauben Sie?“ fragte er. „Wird die Schäferin über den Bach springen und den Schäfer glücklich machen?“
„Schaf“, sagte sie. Diederich überhörte es, ging hin und tastete an der Wand umher. Nun hatte er die Tür. „Sehen Sie? Sie springt.“
Käthchen kam näher, neugierig streckte sie ihren Hals in das geheime Zimmer. Da hatte sie einen Stoß und war ganz drinnen. Diederich warf die Tür zu, er fiel stumm über Käthchen her, mit wildem Schnaufen.
„Lassen Sie mich hinaus, ich kratze!“ rief sie und wollte kreischen. Aber sie mußte lachen, was sie wehrlos machte und dem Sofa immer näher brachte. Der Kampf mit ihren entblößten Armen und Schultern versetzte ihn vollends außer sich. „Jawohl,“ keuchte er, „jetzt kommt was.“ Bei jedem Strich Boden, den er gewann, wiederholte