Gesammelte Werke. Heinrich Mann

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Gesammelte Werke - Heinrich Mann

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      „Magda?“

      „Jawohl. Und die heimliche Gräfin den Klavierlehrer. So wollen es die höheren Mächte, lieber Herr Doktor, denen wir –“ ihre Stimme verdunkelte sich ein wenig – „uns nun einmal zu beugen haben.“

      Diederich hatte noch einen Zweifel, äußerte ihn aber nicht. Der Leutnant hätte die heimliche Gräfin auch ohne Geld heiraten sollen, es würde Diederich tief befriedigt haben in seinem weichen und idyllischen Herzen. Aber ach! diese harte Zeit dachte anders.

      Der Vorhang fiel, das Publikum entrang sich langsam seiner Ergriffenheit, dann spendete es um so wärmeren Beifall dem Dienstmädchen und dem Leutnant, die, es ließ sich leider voraussehen, das schwere Geschick, nicht hoffähig zu sein, wohl noch länger würden tragen müssen.

      „Es ist wirklich ein Elend!“ seufzten Frau Harnisch und Frau Cohn.

      Beim Büfett sagte Wulckow, am Ende seiner Beratungen mit dem Bürgermeister:

      „Wir bringen der Bande noch Gesinnung bei!“

      Dann ließ er seine Tatze schwer auf Diederichs Schulter fallen. „Na, Doktorchen, hat meine Frau Sie schon zum Tee geladen?“

      „Selbstverständlich, und kommen Sie recht bald!“ Die Präsidentin hielt ihm die Hand zum Kuß hin, und Diederich entfernte sich beglückt. Wulckow selbst wollte ihn wiedersehen! Mit Diederich zusammen wollte er Netzig erobern!

      Indes die Präsidentin in der Spiegelgalerie Cercle hielt und Glückwünsche entgegennahm, bearbeitete Diederich die Stimmung. Heuteufel, Cohn, Harnisch und noch einige andere Herren erschwerten es ihm, denn sie gaben, wenn auch vorsichtig, zu verstehen, daß sie das Ganze für Quatsch hielten. Diederich war genötigt, ihnen Andeutungen über den durchaus großzügigen dritten Akt zu machen, damit sie verstummten. Dem Redakteur Nothgroschen diktierte er ausführlich, was er von der Dichterin wußte, denn Nothgroschen mußte fort, die Zeitung sollte in Druck gehen. „Wenn Sie aber Blödsinn schreiben, Sie Zeilenschinder, schlag’ ich Ihnen Ihren Wisch um die Ohren!“ – worauf Nothgroschen dankte und sich empfahl. Professor Kühnchen seinerseits, der gehorcht hatte, ergriff Diederich bei einem Knopf und kreischte: „Sie, mein Bester! Eens hätten Se nu aber unserm Klatschdirektor ooch noch erzählen können!“ Der Redakteur, der sich nennen hörte, kehrte zurück, und Kühnchen fuhr fort: „Nämlich, daß die herrliche Schöpfung unserer allverehrten Präsidentin schon mal ist vorausgeahnt worden, und zwar von keinem Geringeren als von unserem Altmeister Goethe in seiner [pg 318]Natürlichen Tochter. Nun, und das ist denn doch wohl das Höchste, was sich zum Ruhme der Dichterin sagen läßt!“

      Diederich hatte Bedenken über die Zweckmäßigkeit von Kühnchens Entdeckung, fand es aber unnötig, sie ihm mitzuteilen. Der kleine Greis strebte schon, mit flatternden Haaren, durch das Gedränge; schon sah man, wie er vor Frau von Wulckow den Boden scharrte und ihr das Ergebnis seiner vergleichenden Forschung vortrug. Freilich, ein Fiasko, wie er es erlitt, hatte auch Diederich nicht vorausgesehen. Die Dichterin sagte eiskalt: „Was Sie da bemerken, Herr Professor, kann nur auf Verwechselung beruhen. Ist die Natürliche Tochter überhaupt von Goethe?“ fragte sie und rümpfte mißtrauisch die Nase. Kühnchen beteuerte es, aber es half ihm nichts.

      „Jedenfalls haben Sie in der Zeitschrift ‚Das traute Heim‘ einen Roman von mir gelesen, und den habe ich nun dramatisiert. Meine Schöpfungen sind sämtlich Originalarbeiten. Die Herren –“ sie musterte den Kreis – „wollen böswilligen Gerüchten entgegentreten.“

      Damit war Kühnchen entlassen, trat ab und schnappte nach Luft. Diederich erinnerte ihn, im Ton eines geringschätzigen Erbarmens, an Nothgroschen, der mit seiner gefährlichen Information schon von dannen war; und Kühnchen stürzte hinterdrein, um das Schlimmste zu verhüten.

      Wie Diederich den Kopf wandte, hatte im Saal das Bild sich verändert: nicht nur die Präsidentin, auch der alte Buck hielt Cercle. Es war erstaunlich, aber man lernte die Menschen kennen. Sie ertrugen es nicht, daß sie vorhin ihren Instinkten freien Lauf gelassen hatten; mit beteuerndem Gesicht machte einer nach dem anderen sich an den Alten heran und wollte es nicht gewesen sein. So groß war, noch nach schweren Erschütterungen, die [pg 319]Macht des Bestehenden, von alters her Anerkannten! Diederich selbst fand es angezeigt, nicht in auffälliger Weise hinter der Mehrheit zurückzubleiben. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß Wulckow schon fort war, machte er seine Aufwartung. Der Alte saß eben allein in dem Polstersessel, der für ihn ganz vorn bei der Bühne stand; er ließ seine weiße Hand merkwürdig zart über die Lehne hängen und blickte zu Diederich hinauf.

      „Da sind Sie, mein lieber Heßling. Ich habe es oft bedauert, daß Sie nicht kamen“ – ganz schlicht und nachsichtig. Diederich fühlte sofort wieder Tränen heraufsteigen. Er gab ihm die Hand hin, freute sich, daß der Herr Buck sie ein wenig länger in der seinen behielt, und stammelte etwas von Geschäften, Sorgen und „um ehrlich zu sein“ – denn ein jähes Bedürfnis nach Ehrlichkeit erfaßte ihn – von Bedenken und Hemmungen.

      „Es ist schön von Ihnen,“ sagte darauf der Alte, „daß Sie mich das nicht nur erraten lassen, sondern es mir eingestehen. Sie sind jung und handeln wohl unter den Antrieben, denen die Geister heute gehorchen. In die Unduldsamkeit des Alters will ich nicht verfallen.“

      Da schlug Diederich die Augen nieder. Er hatte verstanden: dies war die Verzeihung für den Prozeß, der dem Schwiegersohn des Alten die bürgerliche Ehre gekostet hatte; und ihm ward schwül unter so viel Milde – und so viel Nichtachtung. Der Alte freilich sagte:

      „Ich achte den Kampf und kenne ihn zu gut, um jemand zu hassen, der gegen die Meinen kämpft.“ Worauf Diederich, von Furcht ergriffen, dies möchte zu weit führen, sich aufs Leugnen verlegte. Er wisse selbst nicht –. Man komme in Sachen hinein –. Der Alte erleichterte es ihm. „Ich weiß: Sie suchen und haben sich selbst noch nicht gefunden.“

      Er tauchte seinen weißen Knebelbart in die seidene Halsbinde. Als er ihn wieder hervorholte, begriff Diederich, daß etwas Neues kam.

      „Sie haben das Haus hinter dem Ihren nun doch nicht gekauft“, sagte der Herr Buck. „Ihre Pläne haben sich wohl geändert?“

      Diederich dachte: „Er weiß alles“, und sah schon seine heimlichsten Berechnungen enthüllt.

      Der Alte lächelte schlau und gütig. „Sollten Sie etwa Ihre Fabrik zunächst verlegen und erst dann erweitern wollen? Ich könnte mir denken, daß Sie Ihr Grundstück zu verkaufen wünschen und nur auf eine gewisse Gelegenheit warten – die auch ich in Betracht ziehe“, setzte er hinzu, und mit einem Blick: „Die Stadt hat vor, ein Säuglingsheim zu errichten.“

      „Alter Hund!“ dachte Diederich. „Er spekuliert auf den Tod seines besten Freundes!“ Gleichzeitig aber kam ihm die Erleuchtung, was er Wulckow vorzuschlagen habe, um Netzig zu erobern!... Er schnaufte.

      „Durchaus nicht, Herr Buck. Mein väterliches Erbstück geb’ ich nicht her!“

      Da nahm der Alte nochmals seine Hand. „Ich bin kein Versucher“, sagte er. „Ihre Pietät ehrt Sie.“

      „Esel“, dachte Diederich.

      „So werden wir uns eben ein anderes Terrain suchen. Ja, vielleicht werden Sie dabei mitwirken. Uneigennützigen Gemeinsinn, lieber Heßling, lassen wir uns nicht entgehen – auch nicht, wenn er einen Augenblick in falscher Richtung zu wirken scheint.“

      Er stand auf.

      „Wollen Sie Stadtverordneter werden, so haben Sie meine Unterstützung.“

      Diederich

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