Gesammelte Werke. Heinrich Mann
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„Du gemeines Luder!“ sagte sie aus tiefem Innern.
„Selber eins!“ sagte Käthchen, schnell gefaßt. Da schnappte Guste nur noch nach Luft. Von Käthchen sah sie zu Diederich, ratlos und so empört, daß ihr Blick sich mit feuchtem Glanz füllte. Er versicherte: „Fräulein Guste, es handelt sich um einen Scherz“; aber er kam schlecht an, Guste brach los. „Sie kenn’ ich, von Ihnen kann ich es mir denken.“
„So, du kennst ihn“, bemerkte Käthchen höhnisch. Sie stand auf, indes Guste ihr noch näher rückte. Diederich seinerseits ergriff die Gelegenheit, gab seiner Haltung Würde und trat zurück, um die Damen unter sich die Sache erledigen zu lassen.
„Daß ich so was muß mit ansehen!“ rief Guste; und Käthchen: „Du hast gar nichts gesehen! Wozu siehst du es dir überhaupt an?“
Diederich begann gleichfalls dies auffallend zu finden, zumal da Guste schwieg. Käthchen gewann sichtlich die Oberhand. Sie warf den Kopf zurück und sagte: „Von dir finde ich es überhaupt sonderbar. Wer so viel Butter auf dem Kopf hat wie du!“
Sofort zeigte Guste sich tief beunruhigt. „Ich?“ fragte sie gedehnt. „Was tu’ ich denn?“
Käthchen zierte sich plötzlich – indes Diederich vom Schrecken gepackt ward.
„Das wirst du wohl selbst wissen. Mir ist es zu peinlich.“
„Ich weiß gar nichts“, sagte Guste klagend.
„So was hätte man gedacht, das es gar nicht gibt“, sagte Käthchen und rümpfte die Nase. Guste verlor die Geduld. „Nun bitte ich es mir aber aus! Was habt ihr alle?“
Diederich schlug vor: „Es ist doch wohl besser, wenn wir jetzt das Lokal verlassen.“ Aber Guste stampfte auf.
„Keinen Schritt tu’ ich, bis ich es weiß. Den ganzen Abend merke ich schon, daß sie mich anglotzen, als ob ich einen toten Fisch verschluckt habe.“
Käthchen wandte sich weg. „Na, da siehst du es. Sei froh, daß sie dich nicht hinauswerfen mitsamt deinem Halbbruder Wolfgang.“
„Mit wem?... Mein Halbbruder ... Wieso Halbbruder?“
In einer tiefen Stille keuchte Guste leise und irrte mit den Augen umher. Auf einmal hatte sie begriffen. „So eine Gemeinheit!“ rief sie entsetzt. Über Käthchens Mienen breitete sich ein Lächeln des Genusses aus. Diederich seinerseits wehrte beteuernd ab. Guste streckte den Finger aus gegen Käthchen. „Das habt ihr Mädchen euch ausgedacht! Ihr seid mir neidisch wegen meinem Geld!“
„Pöh“, machte Käthchen. „Dein Geld wollen wir überhaupt nicht, wenn so was dabei ist.“
„Es ist doch nicht wahr!“ Guste kreischte auf. Plötzlich fiel sie vornüber auf das Sofa und wimmerte. „Ach Gott, ach Gott, was haben wir da angerichtet.“
„Siehst du wohl“, sagte Käthchen, frei von Mitleid.
Guste schluchzte immer lauter; Diederich berührte ihre Schulter. „Fräulein Guste, Sie wollen doch nicht, daß [pg 328]die Leute kommen.“ Er suchte nach einem Trost. „So was kann man nie wissen. Ähnlich sehen Sie sich nicht.“
Aber der Trost wirkte anstachelnd auf Guste. Sie sprang auf und ging zum Angriff über. „Du – du bist überhaupt eine feine Nummer“, zischte sie Käthchen zu. „Von dir sag’ ich, was ich gesehen habe!“
„Das werden sie dir glauben! So einer glaubt keiner mehr was. Von mir weiß jeder, daß ich anständig bin.“
„Anständig! Streich dir wenigstens das Kleid glatt!“
„So gemein wie du –“
„Bist bloß noch du!“
Hierüber erschraken beide, brachen ab und verharrten einander gegenüber, Haß und Angst in ihren dicken Gesichtern, die sich so sehr glichen; und die Büsten nach vorn, die Schultern hinauf, die Arme in die Hüften gestemmt, sahen sie aus, als sollten ihnen die duftigen Ballkleider vom Leibe platzen. Guste unternahm noch einen Vorstoß. „Ich sag’ es doch!“
Da sprengte Käthchen die letzte Fessel. „Dann mach’ aber schnell, sonst komm’ ich früher und erzähl’ allen, daß nicht du, sondern ich hier die Tür hab’ aufgemacht und hab’ euch beide ertappt.“
Da hierauf Guste nur noch mit den Lidern klappte, setzte Käthchen, plötzlich selbst ernüchtert, hinzu: „Nun ja, das bin ich mir doch schuldig. Bei dir kommt es nicht mehr darauf an.“
Aber Diederichs Blick war Gustes begegnet, verständigte sich mit ihr und glitt hinunter, bis er auf ihrem kleinen Finger den Brillanten traf, den sie gemeinsam aus den Lumpen gezogen hatten. Da lächelte Diederich ritterlich, und Guste, tief errötet, trat so nahe zu ihm, als lehnte sie sich an. Käthchen schlich zur Tür. Über Gustes Schul[pg 329]ter geneigt, sagte Diederich leise: „Ihr Verlobter läßt Sie aber lange allein.“ – „Ach der“, erwiderte sie. Er senkte das Gesicht noch ein wenig und drückte es auf ihre Schulter. Sie hielt ganz still. „Schade“, sagte er und zog sich so unerwartet zurück, daß Guste ausglitt. Sie begriff auf einmal, daß ihre Lage sich wesentlich verändert hatte. Ihr Geld war nicht mehr Trumpf, es war entwertet, ein Mann wie Diederich war mehr wert. Sofort bekam sie einen Blick wie eine Hündin. Diederich sagte gemessen: „An der Stelle Ihres Verlobten würde ich allerdings anders vorgehen.“
Käthchen zog mit äußerster Behutsamkeit die Tür wieder an, sie kehrte zurück, den Finger auf den Lippen.
„Wißt ihr was? Das Theater hat wieder angefangen – schon lange, glaube ich.“
„O Gott!“ sagte Guste; und Diederich:
„Na, dann sitzen wir in der Falle.“
Er suchte die Wände ab nach einem Ausgang; er rückte sogar das Sofa fort. Da keiner zu finden war, entrüstete er sich.
„Hier ist tatsächlich eine Falle. Und um der alten Baracke willen hat der Herr Buck den ganzen Straßenzug verlegt. Er soll es noch erleben, daß ich sie ihm einreiße! Bloß erst Stadtverordneter sein!“
Käthchen kicherte. „Was schnauben Sie denn so? Hier ist es doch ganz gemütlich. Jetzt können wir machen, was wir wollen.“ Und sie sprang über das Sofa. Da gab Guste sich einen Ruck und wollte auch hinüber. Sie blieb aber hängen. Diederich fing sie auf. Auch Käthchen hängte sich an ihn. Er zwinkerte beiden zu. „Also was machen wir?“ Käthchen sagte: „Das müssen Sie wissen. Wir drei kennen uns ja nun.“ – „Und zu verlieren haben wir auch nichts mehr“, sagte Guste. Dann platzten sie alle aus.
Aber Käthchen entsetzte sich. „Kinder! In dem Spiegel seh’ ich aus wie meine tote Großmutter.“
„Er ist ganz schwarz.“
„Und ganz bekritzelt.“
Sie