Gesammelte Werke. Heinrich Mann

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Gesammelte Werke - Heinrich Mann

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einen Kratzfuß. Er stammelte, er wußte selbst nicht was. Er hatte es vorausgesagt! Schon bei seiner Aufnahme in den Kriegerverein hatte er eine Rede Seiner Majestät wiedergegeben, – und hatte er [pg 312]sie nur wiedergegeben? Darin kam ausdrücklich vor: „Ich räume die ganze Bude aus!“ Und nun sollte es geschehen, ganz so, als handelte er selbst. Es überlief ihn mystisch ... Wulckow sagte inzwischen:

      „Die Herren Eugen Richter und Konsorten passen uns nicht mehr. Wenn sie die Militärvorlage nicht schlucken, ist Schluß“; – und Wulckow strich sich mit der Faust über den Mund, als beginne das Fressen.

      Diederich faßte sich. „Das ist – das ist großzügig! Das ist ganz sicher die persönliche Initiative Seiner Majestät!“ Doktor Scheffelweis war erbleicht. „Dann sind schon wieder Reichstagswahlen? Und ich war so froh, daß wir unseren bewährten Abgeordneten hatten ...“ Er erschrak noch mehr. „Das heißt, natürlich, Kühlemann ist auch ein Freund des Herrn Richter ...“

      „Ein Nörgler!“ schnaubte Diederich. „Ein vaterlandsloser Geselle!“ Er rollte die Augen. „Herr Präsident! Diesmal ist es aus in Netzig mit den Leuten. Lassen Sie mich nur erst Stadtverordneter sein, Herr Bürgermeister!“ „Was dann?“ fragte Wulckow. Diederich wußte es nicht. Glücklicherweise entstand im Saal ein Zwischenfall; Stühle wurden gerückt, und jemand ließ sich die große Tür öffnen: Kühlemann selbst war es. Der Greis schleppte seine schwere kranke Masse eilig durch die Spiegelgalerie. Am Büfett fand man, seit dem Prozeß sei er noch mehr verfallen.

      „Er hätte Lauer lieber freigesprochen, die anderen Richter haben ihn überstimmt“, sagte Diederich. Doktor Scheffelweis meinte: „Nierensteine führen wohl schließlich zur Auflösung.“ Worauf Wulckow humoristisch: „Na, und im Reichstag sind wir seine Nierensteine.“

      Der Bürgermeister lachte gefällig. Aber Diederich riß [pg 313]die Augen auf. Er näherte sich dem Ohr des Präsidenten und raunte:

      „Sein Testament!“

      „Was ist damit?“

      „Er hat die Stadt zum Erben eingesetzt“, erklärte Doktor Scheffelweis wichtig. „Wahrscheinlich bauen wir von dem Geld ein Säuglingsheim.“

      „Bauen Sie?“ Diederich feixte verachtungsvoll. „Einen nationaleren Zweck können Sie sich wohl nicht denken?“

      „Ach so.“ Wulckow nickte Diederich anerkennend zu. „Wieviel Pinke hat er denn?“

      „Eine halbe Million wenigstens“, sagte der Bürgermeister, und er beteuerte: „Ich wäre glücklich, wenn es zu machen wäre, daß –“

      „Es ist glatt zu machen“, behauptete Diederich.

      Da hörte man draußen im Saal ein Lachen, das ganz verschieden klang von dem vorigen. Es kam aus ungehemmter Brust und drückte sicherlich Schadenfreude aus. Auch zog die Dichterin sich fluchtartig bis hinter das Büfett zurück; ja, sie schien bereit, hineinzukriechen. „Grundgütiger Gott!“ wimmerte sie. „Alles ist verloren.“ „Nanu?“ machte ihr Gatte und stellte sich drohend in die Tür. Aber selbst dieses konnte die Heiterkeit nicht mehr aufhalten. Magda hatte zu der Gräfin gesagt: „Spute dich, du dumme Landpomeranze, daß der Herr Leutnant den Kaffee kriegt.“ Eine andere Stimme verbesserte „Tee“, Magda wiederholte „Kaffee“, die andere blieb bei ihrer Meinung und Magda auch. Das Publikum hatte erfaßt, daß ein Mißverständnis zwischen ihr und der Souffleuse vorlag. Übrigens griff der Leutnant mit Glück ein, er schlug die Sporen aneinander und sagte: „Ich bitte um beides“ – worauf das Lachen einen nachsichtigeren [pg 314]Charakter annahm. Aber die Dichterin war empört. „Das Publikum! Es ist und bleibt eine Bestie!“ knirschte sie.

      „Schiefgehen kann es immer“, sagte Wulckow – und blinzelte Diederich an.

      Diederich erwiderte ebenso bedeutsam: „Wenn man einander versteht, Herr Präsident, dann nicht.“

      Hierauf hielt er es für besser, sich ganz der Dichterin und ihrem Werk zu widmen. Mochte der Bürgermeister inzwischen seine Freunde verraten und sich für die Wahlen auf alle Wünsche Wulckows verpflichten!

      „Meine Schwester ist eine Gans“, erklärte Diederich. „Ich werde ihr nachher die Meinung sagen!“

      Frau von Wulckow lächelte wegwerfend. „Das arme Ding, sie tut, was sie kann. Von seiten der Leute aber ist es wahrhaftig eine unerträgliche Arroganz und Undankbarkeit. Noch soeben hat man sie erhoben und für das Ideale begeistert!“

      Diederich sagte durchdrungen: „Frau Gräfin, diese bittere Erfahrung machen Sie nicht allein. So ist es überall im öffentlichen Leben.“ Denn er dachte an die allgemeinen Hochgefühle damals nach seinem Zusammenstoß mit dem Majestätsbeleidiger und an die Prüfungen, die dann gefolgt waren. „Schließlich triumphiert doch die gute Sache!“ stellte er fest.

      „Nicht wahr?“ sagte sie mit einem Lächeln, das wie aus Wolken brach. „Das Gute, Wahre, Schöne.“

      Sie reichte ihm die schmale Rechte; „ich glaube, mein Freund, wir verstehen uns“ – und Diederich, des Augenblicks bewußt, drückte kühn die Lippen darauf, mit einem Kratzfuß. Er legte die Hand an das Herz und brachte gepreßt aus der Tiefe: „Glauben Sie mir, Frau Gräfin ...“

      Die Nichte und der junge Sprezius waren jetzt allein ge[pg 315]blieben, hatten sich als erniedrigte Gräfin und armer Vetter erkannt, wußten nun, daß sie einander bestimmt waren, und schwärmten gemeinsam von künftigem Glanz, wenn sie unter goldener Decke mit anderen Ausgezeichneten, demütig stolz, von der Sonne der Majestät beschienen sein würden ... Da hörte Diederich die Dichterin aufseufzen.

      „Ihnen kann ich es sagen“, seufzte sie. „Ich entbehre hier doch sehr den Hof. Wenn man, wie ich, von Geburt dem Hofadel angehört –. Und nun –.“

      Hinter ihrem Zwicker sah Diederich zwei Tränen perlen. Dieser Blick in die Tragik der Großen erschütterte ihn so sehr, daß er strammstand. „Frau Gräfin!“ sagte er, verhalten und stoßweise. „Die heimliche Gräfin sind also –“ Er erschrak und schwieg.

      Die bleiche Stimme des Bürgermeisters war eben dabei, dem Präsidenten zu verraten, daß Kühlemann nicht wieder kandidieren werde, und daß die Freisinnigen den Doktor Heuteufel aufstellen wollten. Er war mit Wulckow darin einig, daß man Gegenmaßregeln treffen müsse, solange noch niemand die Auflösung des Reichstages erwartete ...

      Diederich wagte endlich wieder, leise und schonend:

      „Frau Gräfin, aber, nicht wahr, es wird alles gut? Sie kriegen sich doch?“

      Frau von Wulckow, mit Takt und Selbstbeherrschung, schränkte die Vertraulichkeit des Gefühls schon wieder ein. In leichtem Plauderton erklärte sie:

      „Mein Gott, lieber Doktor, was wollen Sie, die leidige Geldfrage! Es ist wohl unmöglich, daß die jungen Leute zusammen glücklich werden.“

      „Sie können doch prozessieren!“ rief Diederich, in seinem Rechtsgefühl gekränkt. Aber Frau von Wulckow verzog die Nase. „Fi donc! Das würde zur Folge haben, [pg 316]daß der junge Graf, also Jadassohn, seinen Vater entmündigen ließe. Im dritten Akt, den Sie noch sehen werden, droht er dem Leutnant damit in einer Szene, die mir, glaube ich, gelungen ist. Soll der Leutnant das auf sich nehmen? Und die Zerstückelung des Familienbesitzes? In Ihren Kreisen ginge es vielleicht. Aber bei uns ist eben manches nicht möglich.“

      Diederich verneigte sich. „Dort oben herrschen natürlich Begriffe, die sich unserem Urteil

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