Gesammelte Werke. Heinrich Mann

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Heinrich Mann страница 60

Автор:
Серия:
Издательство:
Gesammelte Werke - Heinrich Mann

Скачать книгу

von Wulckow sagte niedergeschlagen:

      „Ich dachte nicht, daß sie auf der Bühne so wirken würden. Glauben Sie nun, daß es ein Mißerfolg wird?“

      „Frau Gräfin!“ Diederich legte die Hand auf das Herz. „Ein Stück wie die ‚heimliche Gräfin‘ ist nicht so leicht Umzubringen!“

      „Nicht wahr? Es kommt beim Theater doch wohl auf die künstlerische Bedeutung an.“

      „Gewiß. Freilich, so ein Paar Ohren haben auch viel Einfluß“ – und Diederich machte ein bedenkliches Gesicht.

      Frau von Wulckow rief flehend aus:

      „Wo doch der zweite Akt noch viel besser ist! Er spielt in einer protzigen Fabrikantenfamilie, und die heimliche Gräfin dient dort als Stubenmädchen. Dann ist da ein Klavierlehrer, kein feiner Mensch, eine der Töchter hat er sogar geküßt, und nun macht er der Gräfin einen Heiratsantrag, den sie natürlich weit von sich weist. Ein Klavierlehrer! Wie könnte sie!“

      Diederich bestätigte, es sei ausgeschlossen.

      „Aber nun sehen Sie, wie tragisch: die Tochter, die sich von dem Klavierlehrer hat küssen lassen, verlobt sich auf einem Ball mit einem Leutnant, und wie der Leutnant ins Haus kommt, da ist es derselbe Leutnant, der –“

      „O Gott, Frau Gräfin!“ Diederich streckte schützend die Hände vor, ganz erregt durch so viele Verwicklungen. „Wie kommen Sie nur auf all die Geschichten?“

      Die Dichterin lächelte leidenschaftlich.

      „Ja, nämlich das ist das Interessanteste: Nachher weiß man es nicht mehr. Es geht so geheimnisvoll zu im Gemüt! Manchmal denke ich mir, ich muß es geerbt haben.“

      „Haben Sie denn so viele Dichter in Ihrer werten Familie?“

      „Das nicht. Aber wenn nicht mein großer Vorfahre die Schlacht bei Kröchenwerda gewonnen hätte, wer weiß, ob ich die ‚heimliche Gräfin‘ geschrieben haben würde. Es kommt schließlich immer auf das Blut an!“

      Bei dem Namen der Schlacht machte Diederich einen Kratzfuß, und er wagte nichts mehr zu fragen.

      „Jetzt muß gleich der Vorhang fallen“, sagte Frau von Wulckow. „Hören Sie etwas?“

      Er hörte nichts; nur für die Dichterin gab es nicht Tür noch Wände. „Jetzt schwört der Leutnant der fernen Gräfin die ewige Treue“, flüsterte sie. „So“; und alles [pg 295]Blut wich ihr aus dem Gesicht. Gleich darauf schoß es heftig zurück; man klatschte: nicht stürmisch; aber man klatschte. Die Tür ward von drinnen geöffnet. Dort hinten rollte nochmals der Vorhang hinauf, und da der junge Sprezius und die Wulckowsche Nichte hervorkamen, ward der Beifall lebhafter. Plötzlich schnellte aus der Kulisse Jadassohn, pflanzte sich vor die beiden und machte Miene, den Erfolg einzuheimsen – worauf gezischt ward. Frau von Wulckow wandte sich entrüstet ab. Der Schwiegermutter des Bürgermeisters Scheffelweis und der Landgerichtsrätin Harnisch, die ihr Glück wünschten, erklärte sie: „Herr Assessor Jadassohn ist als Staatsanwalt unmöglich. Ich werde es meinem Mann sagen.“

      Die Damen gaben den Ausspruch sofort weiter und hatten viel Erfolg damit. Plötzlich war die Spiegelgalerie voll von Gruppen, die über Jadassohns Ohren herfielen. „Die Präsidentin hat recht wacker gedichtet; nur Jadassohns Ohren –.“ Als man hörte, daß Jadassohn im zweiten Akt nicht mehr wiederkomme, war man doch enttäuscht. Wolfgang Buck ging mit Guste Daimchen auf Diederich zu. „Haben Sie gehört?“ fragte er. „Jadassohn soll eine Amtshandlung vornehmen und seine Ohren konfiszieren.“ Diederich sagte mißbilligend: „Ich mache keine Witze, wenn es jemandem schlecht geht.“ Und dabei überwachte er eifrig die Blicke, die Buck und seine Begleiterin trafen. Alle Mienen lebten auf, wenn sie die beiden erblickten; Jadassohn war vergessen. Vom Ausgang trug die dünne Schreistimme des Professor Kühnchen etwas durch den Wirrwarr, das klang wie „Affenschande“. Da die Pastorin Zillich ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm legte, wandte er sich her, und jetzt verstand man es deutlich: „Eine ausgewachsene Affenschande ist es!“

      Guste sah sich um; sie bekam Schlitzaugen. „Dort sprechen sie auch davon“, sagte sie geheimnisvoll.

      „Wovon?“ stammelte Diederich.

      „Wir wissen schon. Und wer es aufgebracht hat, weiß ich auch.“

      Hier brach Diederich der Schweiß aus. „Was haben Sie denn?“ fragte Guste. Buck, der durch die Seitentür nach dem Büfett schielte, sagte phlegmatisch:

      „Heßling ist ein vorsichtiger Politiker, er hört nicht gern mit an, daß der Bürgermeister zwar einerseits ein guter Ehemann ist, aber andererseits auch seiner Schwiegermutter nichts abschlagen kann.“

      Sofort ward Diederich dunkelrot.

      „Das ist eine Gemeinheit! Wie kann jemand sich solch eine Gemeinheit ausdenken!“

      Guste kicherte heftig. Buck blieb unbewegt. „Erstens scheint es Tatsache zu sein, denn die Frau Bürgermeister hat die beiden überrascht und sich einer Freundin anvertraut. Dann aber lag es ja auf der Hand.“

      Guste brachte hervor: „Na Sie, Herr Doktor, wären natürlich nie darauf gekommen.“ Dabei blinzelte sie verliebt ihrem Verlobten zu. Diederich blitzte. „Aha!“ sagte er stramm. „Jetzt weiß ich freilich genug.“ Und er drehte ihnen den Rücken. Sie erfanden also selbst Gemeinheiten, noch dazu über den Bürgermeister! Diederich durfte den Kopf hoch tragen. Er stieß zu der Gruppe Kühnchens, die sich nach dem Büfett hin bewegte und ein Kielwasser von sittlicher Entrüstung hinterließ. Die Schwiegermutter des Bürgermeisters schwur mit rotem Gesicht, „diese Gesellschaft“ werde ihr Haus künftig nur noch von außen sehen, und mehrere Damen schlossen sich ihrem Vorsatz an, trotz Abraten des Warenhausbesitzers Herrn [pg 297]Cohn, der bis auf weiteres alles in Zweifel zog, weil eine derartige sittliche Entgleisung bei einem bewährten alten Liberalen wie dem Herrn Buck ganz ausgeschlossen erscheine. Professor Kühnchen war vielmehr der Meinung, daß ein zu weit gehender Radikalismus auch die Moral gefährde. Selbst Doktor Heuteufel, der doch die Sonntagsfeiern für freie Menschen veranstaltete, machte die Bemerkung, an Familiensinn, man könne auch sagen Nepotismus, habe es dem alten Buck niemals gefehlt. „Beispiele dafür liegen Ihnen allen auf der Zunge. Und daß er jetzt, um das Geld in der Familie zu erhalten, sich anschickt, seine unehelichen Kinder mit seinen ehelichen zu verheiraten, das, meine Herrschaften, würde ich ärztlich als greisenhafte Ausschreitung einer früher noch beherrschten Naturanlage diagnostizieren.“ Hierbei bekamen die Damen erschreckte Gesichter, und die Pastorin Zillich schickte ihr Käthchen in die Garderobe nach ihrem Schnupftuch.

      Auf ihrem Wege kam Käthchen an Guste Daimchen vorbei, aber sie begrüßte sie nicht, sondern schlug die Augen nieder; da machte Guste ein betretenes Gesicht. Am Büfett bemerkte man es und äußerte Mißbilligung, vermischt mit Mitleid. Guste mußte nun eben erfahren, was es hieß, sich über die öffentliche Moral hinwegzusetzen. Mochte ihr zugebilligt werden, daß sie vielleicht getäuscht und schlecht beeinflußt sei: Frau Oberinspektor Daimchen aber, die wußte doch wohl Bescheid, und sie war gewarnt! Die Schwiegermutter des Bürgermeisters berichtete von ihrem Besuch bei Gustes Mutter und von ihren vergeblichen Anstrengungen, durch Anklopfen ein Geständnis hervorzulocken aus der verhärteten alten Frau, der eine legitime Verbindung mit dem Hause Buck wohl einen Jugendtraum erfüllte!...

      „Na, und der Herr Rechtsanwalt Buck!“ kreischte Kühnchen. Tatsächlich, wen wollte dieser Herr glauben machen, daß er über die neue Schande, die seine Familie traf, nicht genau unterrichtet sei? Waren ihm die Verbrechen im Hause Lauer etwa unbekannt

Скачать книгу