Gesammelte Werke. Heinrich Mann

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Gesammelte Werke - Heinrich Mann

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Aufmerksamkeit, blitzte das Volk an, in dessen Mienen heiteres Wohlwollen stand.

      Erst die Versicherung des Portiers, daß Seine Majestät nun frühstücke, erlaubte es Diederich, sich Gustes zu erinnern. „Wie siehst du aus!“ rief sie bei seinem Anblick und zog sich gegen die Wand zurück. Denn er war rot wie eine Tomate, völlig aufgeweicht, und sein Blick war hell und wild wie der eines germanischen Kriegers der Vorzeit auf einem Eroberungszuge durch Welschland. „Dies ist ein großer Tag für die nationale Sache!“ versetzte er mit Wucht. „Seine Majestät und ich, wir machen moralische Eroberungen!“ Wie er dastand! Guste vergaß ihren Schrecken und den Ärger über das lange Warten: sie kam herbei mit liebevollen Armen, und demütig rankte sie sich an ihm hinauf.

      Aber kaum das Stündchen zum Essen gönnte Diederich sich. Er wußte wohl, nach dem Mittagsmahl ruhte der Kaiser; dann hieß es, unter seinen Fenstern Wache stehen und nicht weichen. Er wich nicht; und der Erfolg zeigte, wie recht er tat. Denn noch hielt er seinen Posten, dem [pg 394]Portal gegenüber, nicht achtzig Minuten lang besetzt, als es geschah, daß ein verdächtig aussehendes Individuum unter Benutzung einer kurzen Abwesenheit des Portiers sich einschlich, sich hinter eine Säule drückte und im lauernden Schatten Pläne barg, die nicht anders sein konnten als unheilvoll. Da aber Diederich! Wie den Sturm und mit Kriegsgeschrei sah man ihn über den Platz tosen. Aufgescheuchtes Volk stürzte sofort hinterdrein, die Wache eilte herbei, im Portal lief Dienerschaft zusammen – und alle bewunderten Diederich, wie er einen, der sich versteckt hatte, wild ringend hervorzerrte. Die beiden schlugen dermaßen um sich, daß nicht einmal die bewaffnete Macht an sie herankam. Plötzlich sah man Diederichs Gegner, dem es gelungen war, den rechten Arm zu befreien, eine Büchse schwingen. Atemlose Sekunden – dann tobte die aufheulende Panik dem Ausgang zu. Eine Bombe! Er wirft!... Er hatte schon geworfen. In der Erwartung des Knalles lagen die nächsten, im voraus wimmernd, am Boden. Diederich aber: weiß auf Gesicht, Schultern und Brust stand er da und nieste. Es roch stark nach Pfefferminz. Die Kühnsten kehrten um und untersuchten ihn mit der Nase; ein Soldat unter wallenden Federn betupfte ihn mit dem benetzten Finger und kostete. Diederich verstand wohl, was er hierauf der Menge mitteilte und weshalb sogleich in alle Gesichter das heitere Wohlwollen zurückkehrte, denn seit einem Augenblick blieb ihm selbst kein Zweifel mehr darüber, daß er mit Zahnpulver beworfen war. Dessenungeachtet behielt er die Gefahr im Auge, der der Kaiser, dank seiner Wachsamkeit, vielleicht entronnen war. Der Attentäter suchte – ganz vergebens – an ihm vorbei das Weite zu gewinnen: Diederichs eiserne Faust überlieferte ihn den Polizeiwächtern. [pg 395]Diese stellten fest, daß es sich um einen Deutschen handelte, und baten Diederich, ihn zu inquirieren. Er unterzog sich der Aufgabe, trotz dem Zahnpulver, das ihn bedeckte, mit höchster Korrektheit. Die Antworten des Menschen, der bezeichnenderweise Künstler war, hatten keine ausgesprochen politische Färbung, verrieten aber durch ihre abgrundtiefe Respektlosigkeit und Unmoral nur zu wohl die Tendenzen des Umsturzes, weshalb Diederich seine Verhaftung dringend empfahl. Die Wächter führten ihn ab, nicht ohne vor Diederich zu salutieren, der nur noch Zeit hatte, sich von seinem Freunde, dem Portier, abbürsten zu lassen. Denn schon war der Kaiser gemeldet; Diederichs persönlicher Dienst begann wieder.

      Sein Dienst führte ihn rastlos umher bis in die Nacht und endlich vor das Gebäude der deutschen Botschaft, wo Seine Majestät Empfang hielt. Ein längerer Aufenthalt des Allerhöchsten Herrn gab Diederich Gelegenheit, beim nächsten Wirt seine Stimmung zu erhöhen. Er erklomm vor der Tür einen Stuhl und richtete an das Volk eine Ansprache, die von nationalem Geiste getragen war und der schlappen Bande die Vorzüge eines strammen Regiments klarmachte und eines Kaisers, der kein Schattenkaiser war ... Sie sahen ihn, rot überstrahlt vom Licht der offenen Becken, die vor dem Palaste des Deutschen Reiches loderten, auf seinem Stuhl den eckig behaarten Mund aufreißen, sahen ihn blitzen und wie von Eisen starren – was ihnen offenbar genügte, um ihn zu verstehen, denn sie jubelten, klatschten und ließen den Kaiser leben, sooft Diederich ihn leben ließ. Mit einem Ernst, der nicht ohne Drohung war, nahm Diederich für seinen Herrn und die furchtbare Macht seines Herrn die Huldigungen des Auslandes entgegen, worauf er von dem [pg 396]Stuhl herabkletterte und wieder zum Wein ging. Mehrere Landsleute, kaum weniger angeregt als er, tranken ihm zu und kamen nach in heimischer Weise. Einer entfaltete eine Abendzeitung mit einem riesigen Bild des Kaisers und las den Bericht eines Zwischenfalles vor, den im Portal des Quirinals ein Deutscher hervorgerufen hatte. Nur durch die Geistesgegenwart eines Beamten im persönlichen Dienst des Kaisers war Schlimmeres verhindert worden; und auch das Bildnis dieses Beamten war dabei. Diederich erkannte ihn wohl. Wenn die Ähnlichkeit auch nur allgemeiner Natur und der Name arg entstellt war, der Umfang des Gesichtes und der Schnurrbart stimmten. So sah denn Diederich den Kaiser und sich selbst auf dem gleichen Zeitungsblatt vereinigt, den Kaiser samt seinem Untertan der Welt zur Bewunderung dargeboten. Es war zu viel. Feuchten Auges richtete Diederich sich auf und stimmte die Wacht am Rhein an. Der Wein, der so billig war, und die Begeisterung, die immer neu genährt ward, bewirkten, daß die Kunde, der Kaiser verlasse die Botschaft, Diederich nicht mehr in korrekter Haltung fand. Er tat gleichwohl alles, was er noch vermochte, um seiner Pflicht zu genügen. Er schoß im Zickzack das Kapitol hinab, stolperte und rollte über die Stufen weiter. Drunten in der Gasse holten seine Zechgenossen ihn ein, er stand mit dem Gesicht der Mauer zugekehrt ... Fackelschein und Hufschlag: der Kaiser! Die anderen schwankten hinterdrein, Diederich aber, kein Komment half ihm mehr, glitt hin, wo er stand. Zwei städtische Wächter fanden ihn, an die Mauer gelehnt, in einer Lache sitzen. Sie erkannten den Beamten im persönlichen Dienst des Deutschen Kaisers, und voll tiefer Besorgnisse beugten sie sich über ihn. Gleich darauf aber sahen sie [pg 397]einander an und brachen in ungeheure Fröhlichkeit aus. Der persönliche Beamte war gottlob nicht tot, denn er schnarchte; und die Lache, in der er saß, war kein Blut.

      Am nächsten Abend, bei der Galavorstellung im Theater, sah der Kaiser ungewöhnlich ernst aus. Diederich bemerkte es, er sagte zu Guste: „Jetzt weiß ich doch, wozu ich das viele Geld hab’ ausgegeben. Paß auf, wir erleben einen historischen Moment!“ Und seine Ahnung betrog ihn nicht. Die Abendblätter verbreiteten sich im Theater, und man erfuhr, der Kaiser werde noch nachts abreisen, und er habe seinen Reichstag aufgelöst! Diederich, ebenso ernst wie der Kaiser, erklärte allen, die in der Nähe saßen, die Schwere des Ereignisses. Der Umsturz hatte sich nicht entblödet, die Militärvorlage abzulehnen! Die Nationalgesinnten gingen für ihren Kaiser in einen Kampf auf Leben und Tod! Er selbst werde mit dem nächsten Zuge nach Hause fahren, versicherte er, worauf man ihm sofort den Zug nannte ... Wer nicht zufrieden war, war Guste. „Endlich ist man mal woanders, und, Gott sei Dank, hat man es und kann sich was leisten. Wie komm’ ich dazu, daß ich mich soll zwei Tage im Hotel mopsen und dann gleich wieder retour, bloß wegen –.“ Der Blick, den sie nach der kaiserlichen Loge schleuderte, war so voll von Auflehnung, daß Diederich mit äußerster Strenge einschritt. Guste ward ihrerseits laut; ringsum zischte man, und als Diederich den Widersachern blitzend die Stirne bot, sah er sich von ihnen veranlaßt, mit Guste aufzubrechen, noch bevor ihr Zug ging. „Komment hat das Pack nun mal nicht“, stellte er draußen fest und schnaufte stark. „Überhaupt, was ist hier los, möcht’ ich mal wissen. Schönes Wetter, na ja ... Na, nu sieh dir wenigstens noch das alte Zeug an, das da ’rumsteht!“ heischte er. [pg 398]Guste, wieder gebändigt, sagte klagend: „Ich genieß’ es ja.“ Und dann fuhren sie in gemessenem Abstand hinter dem Zug des Kaisers her. Guste, die in der Eile ihre Schwämme und Bürsten vergessen hatte, wollte immer aussteigen. Damit sie sechsunddreißig Stunden Geduld hatte, mußte Diederich ihr unermüdlich die nationale Sache vorhalten. Trotzdem waren, als sie endlich in Netzig Fuß faßte, ihre erste Sorge die Schwämme. Am Sonntag hatte man ankommen müssen! Zum Glück war wenigstens die Löwenapotheke offen. Indes Diederich vor dem Bahnhof auf die Koffer wartete, ging Guste schon hinüber. Da sie aber nicht zurückkam, folgte er ihr.

      Die Tür der Apotheke stand halb offen, drei junge Burschen spähten hinein und wälzten sich. Diederich, der über sie wegsah, erstarrte vor Staunen – denn drinnen hinter dem Ladentisch schritt, die Arme gekreuzt und mit düsterem Blick, hin und her sein alter Freund und Kommilitone Gottlieb Hornung. Guste sagte gerade: „Nun bin ich doch gespannt, ob ich bald meine Zahnbürste kriege“, da kam Gottlieb Hornung hinter dem Ladentisch hervor, die Arme immer verschränkt und Guste in seinen düsterm Blick fassend. „Sie werden meiner Miene angesehen haben,“ begann

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