Gesammelte Werke. Heinrich Mann

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Gesammelte Werke - Heinrich Mann

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es war nachgerade auffallend.... Ihre gesellschaftlichen Erfolge behüteten Emmi freilich nicht vor Tagen großer Niedergeschlagenheit; dann verließ sie ihr Zimmer nicht einmal zu den Mahlzeiten, die gemeinsam waren. Einmal ging Guste, aus Mitgefühl und Langeweile, hinauf zu ihr, Emmi schloß aber, wie sie sie sah, die Augen, sie lag in ihrer hinfließenden Matinee bleich und starr da. Guste, die keine Antwort bekam, versuchte es ihrerseits mit Vertraulichkeiten über Diederich und über ihren Zustand. Da zog Emmis starres Gesicht sich jäh zusammen, sie wälzte sich auf einen ihrer Arme, und mit dem anderen winkte sie heftig nach der Tür. Guste blieb den Ausdruck ihrer Empörung nicht schuldig; Emmi, jäh aufgesprungen, gab ihrem Wunsch, alleinzubleiben, die deutlichsten Worte; und als die alte Frau Heßling hinzukam, war es schon beschlossene Sache, daß die beiden Teile der Familie künftig getrennt essen würden. Diederich, dem Guste vorweinte, war peinlich berührt von den Weibergeschichten. Zum Glück kam ihm ein Gedanke, der geeignet schien, zunächst mal Ruhe zu schaffen. Da er wieder über ein wenig Stimme verfügte, ging er gleich zu Emmi und verkündete ihr seinen Entschluß, sie für einige Zeit nach Eschweiler zu schicken, zu Magda. Erstaunlicherweise lehnte sie ab. Da er nicht nachließ, wollte sie aufbegehren, ward aber plötzlich wie von Angst befallen und begann leise und inständig zu bitten, daß sie dableiben dürfe. Diederich, dem, er wußte nicht was, ans Herz griff, ließ ratlos die Augen umhergehen, und dann zog er sich zurück.

      Am Tage darauf erschien Emmi, als sei nichts geschehen, beim Mittagessen, frisch gerötet und in bester Laune. Guste, die um so zurückhaltender blieb, warf Diederich Blicke zu. Er glaubte zu verstehen; er erhob sein Glas [pg 416]gegen Emmi und sagte schalkhaft: „Prost, Frau von Brietzen“. Da erblaßte Emmi. „Mach’ dich nicht lächerlich!“ rief sie zornig, warf die Serviette hin und schlug die Tür zu. „Nanu“, knurrte Diederich; aber Guste hob nur die Schultern. Erst als die alte Frau Heßling fort war, sah sie Diederich merkwürdig in die Augen und fragte: „Glaubst du wirklich?“ Er erschrak, machte aber ein fragendes Gesicht. „Ich meine,“ erklärte Guste, „dann könnte mich der Herr Leutnant wenigstens auf der Straße grüßen. Aber heute hat er einen Bogen gemacht.“ Diederich bezeichnete dies als Unsinn. Guste erwiderte: „Wenn ich es mir bloß einbilde, dann bilde ich mir noch mehr ein, weil ich nämlich in der Nacht schon öfter was durchs Haus schleichen gehört habe, und heute sagte auch Minna –.“ Weiter kam Guste nicht. „Aha!“ Diederich schnob. „Mit den Dienstboten steckst du zusammen! Das tat Mutter auch immer. Aber ich kann dir nur sagen, daß ich das nicht dulde. Über der Ehre meines Hauses wache ich allein, dazu brauche ich weder Minna noch dich, und wenn ihr anderer Meinung seid, dann seht lieber gleich beide zu, daß ihr die Tür wiederfindet, wo ihr hereingekommen seid!“ Vor dieser mannhaften Haltung konnte Guste sich freilich nur ducken, aber sie lächelte ihm von unten nach, wie er davonging.

      Diederich seinerseits war froh, durch sein festes Auftreten die Sache aus der Welt geschafft zu haben. Denn noch verwickelter, als es in diesen Zeiten schon war, durfte das Leben nicht werden. Seine Heiserkeit, die ihn leider nun drei Tage lang dem Kampfe fernhielt, war von den Feinden nicht unbenutzt gelassen. Ja, Napoleon Fischer hatte ihn noch heute morgen davon unterrichtet, daß die „Partei des Kaisers“ ihm zu stark werde und daß sie neuerdings [pg 417]zu viel gegen die Sozialdemokratie hetze. Unter diesen Umständen –. Um ihn zu beruhigen, hatte Diederich ihm versprechen müssen, gleich heute werde er die übernommenen Verpflichtungen erfüllen und von den Stadtverordneten das sozialdemokratische Gewerkschaftshaus verlangen.... So begab er sich, durchaus noch nicht hergestellt, in die Versammlung – und hier mußte er erleben, daß der Antrag betreffend das Gewerkschaftshaus soeben eingebracht worden war, und zwar von den Herren Cohn und Genossen. Die Liberalen stimmten dafür, er ging durch, so glatt, als sei er der erste beste. Diederich, der den nationalen Verrat der Cohn und Genossen laut geißeln wollte, konnte nur bellen: der tückische Streich hatte ihn abermals der Stimme beraubt. Kaum heimgekehrt, ließ er sich Napoleon Fischer kommen.

      „Sie sind entlassen!“ bellte Diederich. Der Maschinenmeister grinste verdächtig. „Schön“, sagte er und wollte abziehen.

      „Halt!“ bellte Diederich. „Wenn Sie meinen, Sie kommen so leicht los. Gehen Sie mit dem Freisinn zusammen, dann verlassen Sie sich darauf, daß ich unseren Vertrag bekanntmache! Sie sollen was erleben!“

      „Politik ist Politik“, bemerkte Napoleon Fischer achselzuckend. Und da Diederich vor so viel Zynismus nicht einmal mehr bellen konnte, trat Napoleon Fischer vertraulich näher, fast hätte er Diederich auf die Schulter geklopft. „Herr Doktor,“ sagte er wohlwollend, „tun Sie doch nur nicht so. Wir beide: – na ja, ich sage bloß, wir beide ...“ Und sein Grinsen war so voll Mahnungen, daß Diederich erschauerte. Schnell bot er Napoleon Fischer eine Zigarre an. Fischer rauchte und sagte:

      „Wenn einer von uns beiden erst anfängt zu reden, wo [pg 418]hört dann der andere auf! Hab’ ich recht, Herr Doktor? Aber wir sind doch keine alten Seichtbeutel, die immer gleich mit allem herausmüssen, wie zum Beispiel der Herr Buck.“

      „Wieso?“ fragte Diederich tonlos und fiel von einer Angst in die andere. Der Maschinenmeister tat erstaunt. „Das wissen Sie nicht? Der Herr Buck erzählt doch überall, daß Sie den nationalen Rummel nicht so schlimm meinen. Sie möchten bloß Gausenfeld billig haben, und denken, Sie kriegen es billiger, wenn Klüsing Angst wegen gewisser Aufträge hat, weil er nicht national ist.“

      „Das sagt er?“ fragte Diederich, zu Stein geworden.

      „Das sagt er“, wiederholte Fischer. „Und er sagt auch, er tut Ihnen den Gefallen und spricht für Sie mit Klüsing. Dann werden Sie sich wohl wieder beruhigen, sagt er.“

      Da wich der Bann von Diederich. „Fischer!“ versetzte er mit kurzem Gebell. „Merken Sie sich, was jetzt kommt. Den alten Buck werden Sie noch im Rinnstein stehen und betteln sehen. Jawohl! Dafür werd’ ich sorgen, Fischer. Adieu.“

      Napoleon Fischer war hinaus, aber Diederich bellte noch lange, im Zimmer umherstampfend, vor sich hin. Der Schuft, der falsche Biedermann! Hinter allen Widerständen stak der alte Buck, Diederich hatte es immer geahnt. Der Antrag Cohn und Genossen war sein Werk gewesen – und jetzt die infame Verleumdung mit Gausenfeld. Diederichs ganzes Innere bäumte sich auf, in der Unbestechlichkeit seiner kaisertreuen Gesinnung. „Und woher weiß er es?“ dachte er mit zornigem Entsetzen. „Hat Wulckow mich verkauft? Sie glauben wohl alle schon, ich treibe doppeltes Spiel?“ Denn Kunze und die anderen waren ihm heute merklich abgekühlt erschienen; sie hielten es scheinbar nicht mehr für nötig, ihn einzuweihen in das, was vorging? Diederich gehörte nicht dem [pg 419]Komitee an, er hatte der Sache das Opfer seines persönlichen Ehrgeizes gebracht. War er darum vielleicht nicht der eigentliche Gründer der Partei des Kaisers?... Verrat überall, Intrigen, feindseliger Verdacht – und nirgends schlichte deutsche Treue.

      Da er nur bellen konnte, mußte er in der nächsten Wahlversammlung hilflos zusehen, wie Zillich – es war klar, aus welchem persönlichen Interesse – Jadassohn reden ließ, und wie Jadassohn stürmischen Beifall erntete, als er gegen die Elenden und die vaterlandslosen Gesellen loszog, die Napoleon Fischer wählen würden. Diederich bemitleidete dieses wenig staatsmännische Vorgehen, er wußte sich Jadassohn hoch überlegen. Andererseits war es nicht zu verkennen, daß Jadassohn, je weiter er sich durch seinen Erfolg hinreißen ließ, desto lautere Zustimmung bei gewissen Zuhörern fand, die keineswegs national anmuteten, sondern sichtlich zu Cohn und Heuteufel gehörten. Sie waren in verdächtiger Menge erschienen – und Diederich, überreizt durch die Fallen ringsum, sah am Ursprung auch dieses Manövers wieder den Erzfeind stehen, ihn, der überall das Böse lenkte, den alten Buck.

      Der alte Buck hatte blaue Augen, ein menschenfreundliches Lächeln, und er war der falscheste Hund von allen, die die Gutgesinnten umdrohten. Der Gedanke an den alten Buck hielt Diederich noch im Traum besessen. Am folgenden Abend unter der Familienlampe gab er den Seinen keine Antworten; er führte eingebildete Streiche gegen den alten Buck. Besonders erbitterte es ihn, daß er den Alten für einen schon zahnlosen Schwätzer gehalten hatte, und jetzt zeigte er die Zähne. Nach

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