Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren . Ricarda Huch

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Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren  - Ricarda Huch

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nicht entgelten; ich muß das als einen stolzen und würdigen Zug ihres Charakters anführen. Der Altersunterschied von fünf oder sechs Jahren machte sich zwischen den beiden Mädchen verhältnismäßig wenig bemerkbar. Ich erinnere mich, daß man überhaupt häufig dazu kam, mit meiner Schwester, die doch in mancher Hinsicht noch ein tolles und höchst unvernünftiges Kind war, wie mit einer reifen Person zu reden. Sie waren wie Schwestern miteinander, nein, weit inniger als solche gemeinhin zu sein pflegen. Galeide eiferte Lucilen sogar ein Unmerkliches nach und überhäufte die Fremde mit zarten, liebenswürdigen Zeichen ihrer Zuneigung. Lucile erwiderte diese Liebe nicht minder schwärmerisch, ja, sie übertraf Galeiden vielleicht noch darin. Mir gegenüber äußerte sie das zuweilen, wenn ich Galeiden einen zu geringen Willen zum Guten zur Last legte, den ich nebenbei gesagt nicht nur selbst nicht besaß, sondern damals sogar für etwas Verwerfliches hielt an einem Manne. »Sie mag ihn nicht haben,« sagte Lucile, »aber warum auch? Sie ist gut. Du weißt, daß es das Wesen des Genies bezeichnen soll, daß es nicht die bestehenden Gesetze befolgen muß, sondern in dem was es tut, selbst der Welt Gesetze gibt. Ein solches Wesen wird Galeide sein, und das ist auch das Geheimnis des unwiderstehlichen Zaubers, den sie ausübt.« Dies schien mir eine ungeheuerlich übertriebene Bemerkung zu sein.

      Lucile und ich nannten einander du. Sie behandelte mich mitunter sehr als Knaben, was ich mir indessen nicht gefallen ließ. Und es glückte mir auch, mich auf eine höhere Staffel ihrer Achtung zu schwingen dank meiner Belesenheit und einer leidlichen Regsamkeit meines Geistes, wodurch es mir möglich wurde, ihr in den schöngeistigen Diskussionen, die sie liebte, ein willkommener Partner zu sein. Ehe sie da war, hatte ich mir eingebildet, sie müsse aussehen wie die Kordula vom Wallensee, obgleich das ein unbegreifliches Naturspiel gewesen wäre. Diese Vorstellung rührte mein Gemüt in angenehmer Weise, trotzdem ich in der Liebe bereits anfing, ganz andere und weniger erbauliche Wege zu gehen. Ich söhnte mich aber bald damit aus, daß Lucile nicht Kordula war; denn sie machte Eindruck auf mich, und es schmeichelte mir, daß sie sich nicht ungern mit mir beschäftigte. Ihre Gegenwart hielt mich in wohltätigen Schranken, wenigstens insofern, als ich die Folgen meines Leichtsinns zu unterdrücken trachtete. Wenn ich mit dem leisesten Anflug eines Rausches oder in der jämmerlichen Stimmung, wie sie den übertriebenen Schlemmereien junger Leute sich anschließt, zu Hause erschien, so zögerte sie nicht, mir ihre Mißbilligung und Verachtung in scharfer Weise zu zeigen. Ich wies das zwar mit anmaßender und unliebenswürdiger Empfindlichkeit zurück, aber doch fürchtete ich solche Zwiste und gab mir Mühe, die Anlässe dazu zu vermeiden. Im Grunde besserte ich mich freilich nicht, dazu war ihr Einfluß nicht stark genug. Wie hätte das auch sein sollen? Ich gab jedem Anstoß nach, ob er zum Guten oder zum Bösen lockte, wenn er nur in einer Weise ausgeübt wurde, die mir zusagte. Ich wollte ein Weltmann sein und war ein Tor; einer der zu leben weiß, wollte ich sein und lernte nichts als frühzeitiges Absterben. Ich glich dem Hunde, der, nach dem Spiegelbilde seines Knochens schnappend, ihn selbst ins Wasser fallen läßt und nicht mehr findet.

      V

       Inhaltsverzeichnis

      Kaum kann ich es erwarten, und doch zage ich davor, den Schatten des Mannes im Zuge meiner Erinnerung heranschreiten zu sehen, an dem wie an keinem andern meine Seele Anteil nahm. Ich spreche von meinem Vetter Ezard Ursleu, dem einzigen Menschen, der ich hätte sein mögen, da er mir besser gefiel als ich. Sein Vater, mein Onkel Harre, war ein namhafter Arzt in meiner Vaterstadt. Er übte aber, solange ich denken kann, die Praxis nicht mehr aus, ausgenommen in einigen befreundeten Familien, wo er seit Jahren der Hausarzt war. Im übrigen suchte er fortwährend seine Wissenschaft zu ergründen und zu fördern, worin er auch von Erfolgen beglückt war, verfügte über ein ungemeines Wissen in seinem Fache, aber auch auf anderen Gebieten, denn nach der Art unserer Familie beschäftigte er sich mit vielen Dingen, die ihn von Rechts wegen nichts angingen. Es gibt zwar für einen ganzen Menschen nichts, das ihn nichts anginge, aber unsere irdischen Verhältnisse lassen solche nun einmal nicht werden: denn die Erde verschüttet unendlichen Überfluß, und die Schüssel, die wir zum Auffangen haben, ist flach und winzig. Harre Ursleu war indessen mehr als die meisten Menschen zu solcher Handlungsweise berechtigt, weil er mehr faßte als sie, und man durfte ihm nicht nachsagen, er wisse vieles anstatt viel. Seine gute Gesundheit und mäßige Lebensweise ermöglichten ihm stundenlanges Arbeiten und Denken. Er war aber kein Büchermensch, vielmehr stellte sich sein Geist mit soviel Glanz dar, daß man oft ungerechterweise an seiner Tiefe zweifelte, auch genoß er das Leben, und mehr als manchem Sittenrichter erlaubt schien. Aber so wenig er auf sie hörte, so aufmerksam gehorchte er seiner Natur und unternahm nie mehr, als er ohne sich zu schädigen ertragen konnte und hätte es für eine Schmach angesehen, eine wissenschaftliche Sitzung zu verfehlen oder irgend eine Arbeit hintanzusetzen um eines materiellen Vergnügens willen. So war er ein Mann von Bedeutung und der Jugend ein zusagendes Vorbild, da er beides in sich darstellte, was ihr erstrebenswert erscheint, einen in seinem Berufe rühmlich Ausgezeichneten und einen, der die Leckerbissen des Lebens zu würdigen und zu genießen weiß.

      Sein Sohn, obwohl von ihm ganz verschieden, war sein vornehmster Stolz. Er sollte etwas Großes werden. Und wo waren dazu bessere Aussichten als in der alten Hansestadt? Er konnte als überseeischer Kaufmann in großartiger Weise den Strom des Goldes leiten zu eigenem und des Vaterlandes Gedeihen, oder als Mitglied unserer Regierung im kleinen Kreise das Ansehen eines Fürsten genießen. Es ist bekannt, daß die Herren einer aristokratisch regierten Republik sich oft mehr dünken als die Könige von Gottes Gnaden, wozu sie freilich auch berechtigt sein dürften; denn unsere jetzt lebenden Fürsten stammen alle nur von Vasallen ab, während sich von den Geschlechtern der alten Städte manche mit Fug Nachkommen der freien Leute unter den germanischen Eroberern nennen. Mein Onkel hielt es nach Erwägung und Verwerfung der anderen Pläne für das beste, seinen Sohn die Rechte studieren zu lassen, da er auf die Art am ehesten an die Spitze der Regierung gelangen konnte.

      Ich war noch nicht zwanzig Jahre alt, als Ezard von den Universitäten zurückkehrte und ich zum ersten Male mit vollem Bewußtsein seine Bekanntschaft machte. Er kam gerade an dem Tage, als Galeide konfirmiert wurde und nahm an dem dazu veranstalteten Festessen teil. Die Aufmerksamkeit wandte sich von der eigentlichen Heldin des Tages, die in ihrem schwarzen Schleppenkleide sehr schlank, blaß und betrübt aussah, bald gänzlich auf ihn. Tritt er nicht wie Odysseus unter die Phäaken? so dachte ich. Denn so hatte ich mir den göttlichen Dulder vorgestellt, nicht etwa die Spuren überstandener Leiden im Gesichte, sondern in seiner Erscheinung den Bekämpfer und Besieger des Schicksals verratend. Und es gibt keinen Gegner, gegen den sich erfolgreich gestemmt zu haben so mit Kraftgefühl und Befriedigung erfüllen kann, wie das Schicksal. Ja, mit dem Schritt und der Haltung eines Siegers schritt er einher. Man begann sich gesichert zu fühlen in seiner Nähe, weil man ihm zutraute, er vermöge alle Widerwärtigkeiten des Lebens zu überwinden. Worin das eigentlich lag? Er war als Mann nicht groß; schlank, ebenmäßig. Seine Schönheit war edel und maßvoll, aber höchst eindringlich dadurch, daß sie vollkommen mit dem seelischen Ausdruck verschmolz; man hätte glauben können, sein Gesicht sei nur durch den Adel des Ausdrucks schön, wiederum, es sei nur die äußere Harmonie der Züge, welche die Erscheinung des Seelenvollen hervorbringe.

      Ich empfand dies alles damals, ohne es mir ganz einzugestehen; denn ich war in den Jahren der Anmaßung und überhaupt zu gut beanlagt und ausgestattet, um mich mit dem Bewundern und Trabantsein in der Welt zu begnügen und nicht selbst etwas vorstellen zu wollen. Mein Vetter Ezard besaß die Zierde angeborener, natürlicher Bescheidenheit, die man wohl eine Zwillingsschwester der Schönheit nennen kann; ich meine der Schönheit, die das feine Gemüt durchschimmern läßt, das sie erfüllt und belebt, einem venezianischen Glaskelch von grüner Farbe vergleichbar, der seinen wahren Sinn erst dartut, wenn das tiefe Gold edelsten Rheinweins ihn durchleuchtet. Es hatte wohl kaum jemals ein Mensch meinem Vetter Ezard Liebe und Anerkennung versagt; eitel zu sein hatte er also auch keine Ursache. Man sagt, daß die Schäfer eine besondere Art haben, ihre Tiere anzugreifen, so daß sie sich geduldig von ihnen scheren lassen. Solchen glücklichen Griff hatte Ezard in der Behandlung der Menschen, die ihm gegenüber stets das Beste ihres Innern

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