Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren . Ricarda Huch

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Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren  - Ricarda Huch

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gar nicht ihren Grundsätzen entsprechend handelte, sich schwach und zaghaft entschuldigte, ohne daß irgend einer von uns ihr ihre Unfolgerichtigkeit vorgehalten hätte. Dies einzige Mal machte sie gar keinen Versuch, ihre Handlungsweise vor sich und andern geschmackvoll auszustaffieren.

      Einige Wochen vor der Hochzeit reiste sie nach Hause und nahm von Galeiden einen nahezu verzweiflungsvollen Abschied, da diese nicht zur Hochzeit kommen sollte. Das geschah weniger deshalb, weil Galeide noch zur Schule ging, denn meine Eltern waren darin gleichgültig und betrugen sich zuweilen, als ob das merkwürdige Kind Galeide schon mit allen Kenntnissen zur Welt gekommen wäre, die andere Menschen mühselig im Laufe des Lebens erlernen müssen; aber sie fürchteten, daß sie sich zu sehr aufregen würde, wie denn meine Mama überhaupt ihr wildschmerzliches Gebaren um Luciles Verlust ungern mit ansah, wohl auch ein weniges eifersüchtig war. Überdem wollte der Urgroßvater, welcher vorgab, daß ihm die Reise in die Schweiz zu weit sei, Galeiden bei sich behalten. Ich meinerseits wäre am liebsten bei meinen Kumpanen auf der Universität geblieben, denn die Zeiten waren leider vorbei, wo mir der Name Schweiz das Herz mit Entzücken bewegte, indessen weil es Ezard anging, trug ich eine Teilnahme zur Schau, die eigentlich nichts war als Pietät für meinen ehemaligen besseren Menschen.

      Die Mutter Luciles hatte ein nettes reines Häuschen inmitten einer ziemlich ausgedehnten Region bebauten Landes, von dessen Ertrag sie lebte. Sie besaß auch einen kleinen Weinberg und hantierte tüchtig darin herum, war aber in ihrem Äußeren keineswegs eine Bäuerin nach unseren Begriffen. Sie trat mit Sicherheit auf und redete neben ihrem Französischen auch ein wenig Deutsch; in der glänzendsten Gesellschaft hätte sie sich nicht unbehaglich gefühlt. Meine Mama fand hier reichliche Nahrung für ihren empfänglichen Sinn und legte unerwarteterweise ein großes Wohlgefallen für die Landwirtschaft an den Tag, von der sie gar nichts verstand. Sie ließ sich von der Madame Leroy unermüdlich überall herumführen und versetzte uns in die glücklichste Laune, wenn sie uns nun ihrerseits durch die Stallungen und Felder begleitete und die üblichen berufsmäßigen Ausdrücke, die sie eben zum ersten Male gehört hatte, mit wichtiger Miene wieder bei uns anbrachte.

      Mir blieb nicht viel übrig, als mich an den jungen Gaspard zu halten; der mochte etwa zwölf Jahre alt sein, hatte aber ein so gewichtiges und abgerundetes Wesen an sich, als wäre er der ältere von uns beiden, was ich in meinem Ärger für das breitspurige Gepräge bäurischer Herkunft erklärte. Deutsch sprach er nicht, weil er es zu häßlich fand. Nun war ich zwar überzeugt, daß er es gar nicht gekonnt hätte, und wenn es eitel Musik und Melodie gewesen wäre, aber nach deutscher Art ließ ich mir durch sein gutes Französisch, das ja nun freilich sein Verdienst nicht war, doch imponieren, und das vermehrte meine Abneigung. Ich nannte ihn für mich den Kasper, um ihn vor mir herabzusetzen. Er verstand, obwohl er sich vorgesetzt hatte zu studieren, viel von der Landwirtschaft und war, wie seine Mutter angab, ein großer Blumenliebhaber und -züchter. Ich traute ihm höchstens das letztere zu. Madame Leroy hatte mir gestattet, Rosen zu pflücken, soviel ich wollte, wovon ich auch Gebrauch machte; denn die Rosen liebte ich von jeher über alles wegen des himmlischen Überflusses, den sie in Form, Farbe und Duft verschwenden.

      Doch nahm sich Gaspard heraus, mir einige Knospen an Sträuchern, die ihm zu gehören schienen, zu verbieten, da er sie zu einem Hochzeitsstrauß für seine Schwester verwenden wolle. Von diesen blühte die eine dicht unter seinem Fenster; und da ich am Vorabend der Hochzeit dort vorbeiging und ihn am geschlossenen Fenster stehen sah, reizte es mich, ihn dadurch zu necken, daß ich ihn ansah und gleichzeitig eine Hand nach der Rose ausstreckte, als ob ich sie brechen wollte. In demselben Augenblicke stieß das Ungeheuer eine geballte Faust mitten durch die Glasscheibe und pflückte mit der blutenden Hand die Knospe, bevor ich sie hätte nehmen können, wenn ich überhaupt wirklich gewollt hätte. Der Anblick des fließenden Blutes war für mich zu angreifend, als daß ich den Kasper hätte auslachen können; ich war im Grunde erschreckt und sagte mit ärgerlichem Vorwurf, daß ich ihn nur hätte necken wollen. Worauf er nichts erwiderte, die zerbrochene Scheibe vollends aushob und seine Wunde verband. Seine Mutter fragte nach dem Fenster, als er aber sagte, es sei durch seine Schuld zerbrochen, mischte sie sich nicht weiter hinein und ließ ihn für die Wiederherstellung sorgen. Ich legte es ihr als Schwäche und Torheit aus, daß sie nicht eine nachdrückliche Prügelstrafe über ihn verhängte. Er schien übrigens sehr streng und methodisch erzogen zu sein, denn er war so ordentlich, pünktlich, fleißig, kurz ganz voll Tugend, daß es mir ekelte. Öfters betrachtete ich mit besonderem Widerwillen seine Hände, welche unleugbar etwas Niedliches, kindlich Täppisches hatten, dabei aber eine unbändige Kraft in ihrer Bildung verrieten. Er war mir ungemein zuwider. Ezard hatte eine ausgesprochene Vorliebe für ihn, was meinen Grimm nicht unerheblich verstärkte, obwohl ich mir einredete, der Bube verdanke diese Zuneigung nur seiner Verwandtschaft mit Lucile. Diese, die ich bei uns fast immer meisternd, besserwissend und ihrer Sache sicher gesehen hatte, schien an diesem Früchtchen, ihrem Bruder, wenig auszusetzen zu haben, vielmehr erkundigte sie sich nach seinem Tun und Treiben und seinen Zukunftsplänen, als ob er der ältere und reifere wäre, kurz, behandelte ihn mehr wie ihresgleichen als mich. Wenn sie ihn nun vollends bei der Ausübung seiner religiösen Pflichten betraf, womit er es ebenso genau nahm wie mit der Blumenzucht, bemächtigte sich ihrer eine peinliche Scheu, und ich sagte zu mir selbst: Wahrscheinlich würde dieser Unhold sie mit seinen klumpigen Fäusten prügeln, wenn er wüßte, daß sie eine Abtrünnige ist.

      Die Trauung wurde in der kleinen Kirche des Dorfes vorgenommen. Wie wir nun alle so feierlich und gemessen den geheiligten Raum betraten, überkam mich doch ein beklemmendes Gefühl, daß wir eine Komödie aufführten, denn keines von den Brautleuten gehörte dem katholischen Glauben an. Von meinen Eltern wußte ich wohl, daß sie gar nicht daran dachten; Ezards schönes Menschentum schien an jedem heiligen Orte am rechten Platze zu sein, wäre es nun ein griechischer Säulentempel, ein germanischer Hain oder eine bunte Heiligenkapelle gewesen, und ich bin überzeugt, daß an diesem Tage keiner der Anwesenden so im tiefsten Sinne fromm war wie er, obschon er eine positive Religion nicht bekannte; völlig unverständlich war mir nur Lucile, die darauf beharrte, einen katholischen und einen protestantischen Gott zu unterscheiden und nun doch den einen oder den andern verriet. Man sah ihr aber wohl an, daß ihr im Grunde alle Götter der Christen- und Heidenheit einerlei waren neben ihrem Idol, meinem Vetter, und ich mußte für mich lächeln und dachte: sie wird sich schon vor ihrem himmlischen Vater zu rechtfertigen wissen, die Sophistin.

      Da ich gar keine zusagende Gesellschaft hatte, verlegte ich mich aufs Beobachten und beobachtete umso schärfer, als ich selbst in diesem Kreise so wenig Verständnis für meine Person fand. Ich sagte zu mir, diese Leute sind Landleute, und daraus lassen sie sich erklären. Der Bauer ist Abkomme geknechteter Väter, und jetzt noch front er der strengen Mutter Erde. Er sieht das Leben als eine Pflicht an, die man ernsthaft vollführen muß. Glück und frevelhaften Übermut kann er nicht unterscheiden. Und die heiteren Menschen, die das Haupt mit Lachen in den goldenen Himmel tauchen, betrachtet er mit Mißtrauen als Narren oder Taugenichtse. Oder aber, wenn er sich unter die andern mischen und ihnen gleichen will, so verliert er sich selbst, und mit den andern kann er nicht fort. Für Leute der letzteren Art war mir Lucile ein Beispiel, ihr Bruder für die ersteren. Das einzige, was ich mir nicht ganz erklären konnte, war, daß meine schöne Mutter sich in diesem Lebenskreise so wohl und heimisch fühlte. Denn als wir andern am Tage nach der Hochzeit uns verabschiedeten, zog sie es vor, noch auf einige Zeit als Gast dort zu verweilen. Sie saß den ganzen Tag unter den Weinlauben und Rosen, und dahin paßte sie auch freilich, als ob sie eben da aus dem Boden gesproßt wäre. Madame Leroy und ihr Sohn Gaspard nicht minder behandelten sie wie eine wunderbare Tropenpflanze, die sich in ihre Spelzfelder verirrt hätte; und Pflanzen hielten sie unnütze Lieblichkeit zu gute, schienen sich ihrer sogar zu erfreuen. Noch sehe ich sie vor mir, meine Mutter, wie sie in einer sich herbstlich färbenden Laube saß, den Schoß voller Früchte und schwellende Trauben dicht über ihrem lockigen Haupte; wie sie die kräftigen weißen Zähne langsam in den roten Pelz eines überreifen Pfirsich senkte, den Duft mehr als den Geschmack genießend. So sah ich sie, als ich Abschied von ihr nahm. Sie hielt mich fest und wollte mir alle Taschen mit ihren Früchten füllen, aber ich wehrte mich lachend, und die gelben und roten Äpfel und die Pflaumen und Aprikosen rollten vor unsere Füße. Ich schwur mir in dem Augenblicke,

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