Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren . Ricarda Huch

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Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren  - Ricarda Huch

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Zeit des Humanismus. Auf einmal kam es mir in den Sinn, daß die blutlose Blässe des geliebten Gesichtchens von unzureichender Ernährung herrühren könne, und wohl wissend, wie jämmerlich ich selbst mich in solcher Lage benehmen würde, ergriff mich ein unbehagliches Mitleiden, und ich beschloß, dies keinen Tag länger mit anzusehen. Die zarteste Art ihr zu helfen schien mir die zu sein, daß ich sie zu Spaziergängen auf den nahen Berg einlud, wobei es sich dann von selbst ergeben würde, daß wir in einem schön gelegenen Wirtsgarten einkehrten, und etwas genossen. Es glückte mir so vortrefflich, wie ich nur hatte hoffen dürfen. Sie ging willig mit mir, war auch so schwächlich und des Wanderns so ungewohnt, daß sie bald auszuruhen verlangte und mir sogar noch einen Rat gab, wo wir am schönsten und besten einkehren könnten. Es war ein freundliches, von Pappeln umgebenes Haus zwischen Weinbergen, von wo wir die rauchende, emsige, weithinverlaufende Stadt tief unter uns sahen und in östlicher Ferne die silbergraue, zackige Linie der Alpen. Ich bestellte Wein, Brot und Käse; mehr wagte ich nicht. Veras Augen leuchteten, und während des Essens und Trinkens wurde sie sehr aufgeräumt und plauderte mit behendem Zünglein, was ich nur hören mochte: von ihren Eltern, ihrer Heimat, den dortigen Zuständen, den Nihilisten und Anarchisten. Es machte sie anfänglich stutzig, daß ich kein solcher war, aber da ich aus meinem vollen, liebenden Herzen bekannte, daß ich in der russischen Barbarei eiligst einer der hervorragendsten werden würde, wurde sie wieder ganz vergnügt und schien über meinen moralischen Wert beruhigt. Ich ließ unter dem Vorwande eigenen unersättlichen Hungers noch mehr Brot und Käse kommen, wovon sie auch noch etwas nahm; zuletzt aber sagte sie mit schüchternem Aufblick ihrer sinnenden Augen, der Käse sei so gut, daß sie gern einer kranken Freundin davon mitnehmen möchte, die das Zimmer mit ihr teile. Ich begriff sogleich, daß sie sich ein Abendessen davon machen wollte und verriet mit keiner Miene, wie gering ich die arzneiliche Wirksamkeit des Käses in krankhaften Zuständen anschlug, vielmehr half ich ihr ein strammes Paketlein von den reichlichen Überresten unserer Mahlzeit zu machen.

      Da wir solche Spaziergänge nun häufig wiederholten, nahm sie sichtlich an Wohlbefinden zu, und es war lieblich zu beobachten, wie eine zarte Rosenröte sich immer mehr über ihre Wangen ausdehnte, ähnlich wie im Spätsommer das Aufblühen der Erika eine Purpurwelle über die dürre Heide ergießt, oder wie sich das erwachende Leben in Pygmalions Marmorweibe mit einer leicht durchschimmernden Blutröte angekündigt haben mag.

      Auch meine Empfindungen mögen mit denen Pygmalions Ähnlichkeit gehabt haben, insofern als ich mich für den Schöpfer dieser Lieblichkeit hielt und ein Anrecht auf den Liebeslohn der Neubelebten selbstverständlich zu haben glaubte. Als das Semester sich seinem Ende näherte, sah ich ein, daß ich mit dem handgreiflichen Ausdruck meiner Gefühle nun beginnen müsse, denn alle meine stummen Andeutungen in Blicken und Mienen hatte sie bisher nie verstehen wollen. Ich führte deshalb, um genugsam Zeit vor mir zu haben, meine Vera nach einem entfernteren Ziele als gewöhnlich, nach einem anmutigen kleinen Ort am See, wo wir an Wochentagen ganz einsam unter breiten Linden sitzen konnten. Wir tranken dabei von dem heitern, prickelnden Landwein und sahen auf das gelind und regelmäßig bewegte Wasser träumerisch hinaus. Ich schob meine Erklärung noch hinaus, denn es schien mir schade, das friedliche Schlummern der Landschaft zu unterbrechen. Man hörte nichts als das Aufschäumen des Wassers beim Kommen und Gehen der Dampfer und das rieselnde Geplätscher um den Kiel der Kähne, die unablässig vorübergerudert wurden. Da wir so allein waren, bat ich Vera, mir ein russisches Volkslied vorzusingen, was sie mir schon mehrmals versprochen hatte. Sie war auch dazu bereit, setzte sich auf das Geländer, welches den Garten vom See schied, und sah nicht mich an, sondern über das Wasser hin gegen die beleuchteten Berge. Dann fing sie sogleich an, ein Lied zu singen, dessen Inhalt ich nicht verstand, wohl aber die seelenvolle, mit kindlicher Eindringlichkeit immer wiederholte Klage der Melodie, die sich wunderbar mit der klangreichen Sprache verband. Das Lied hatte viele Verse, die sich alle gleich waren, so daß man den Eindruck eines unerschöpflichen, unabänderlichen Wehs empfing, das das duldende Herz zuletzt unbewußt erleidet, wie Kinder unter ihren Tränen einzuschlafen pflegen. Auch mir, der ich zuhörte, ging es so; es kam mir vor, als wäre ich nur ein Schatten in einem Traume, und es wurde mir leicht, zu dem fremdartigen Mädchen, das, nachdem das Lied beendigt war, still auf dem Geländer sitzen geblieben war, von meiner Liebe zu sprechen. Da nun freilich riß mich ihr ängstliches Erschrecken schnell genug aus meiner wonnigen Stimmung.

      »Ach,« sagte sie, »ich habe es Ihnen gerade heute mitteilen wollen, da Sie mir so sonderbar vorkamen, nämlich daß ich schon seit geraumer Zeit verheiratet bin.« Das war nun allerdings genug, um meine Schäferlaune ganz und völlig umzublasen und mich, nachdem ich Besinnung und Fassung wiedererlangt hatte, mit einem wohlerworbenen Ingrimm zu erfüllen. Vera schien denselben zwar gar nicht unberechtigt zu finden, ertrug ihn aber mit ziemlicher Leichtherzigkeit und erzählte mir in beschwichtigendem Plaudertone, daß der vermaledeite Gemahl Russe und Student sei wie sie, und daß sie, da seine wie ihre Eltern durch schlechte Ernte und sonstiges russisches Elend schwer betroffen gewesen seien, längere Zeit ohne Geld hätten auskommen müssen. Es sei ihnen sehr kümmerlich ergangen, und sie hätte dem hungernden Gatten stets die Käsebrote mitgenommen, die nach ihrer listigen Angabe für eine kranke Freundin bestimmt gewesen wären. Ich hatte anfänglich Lust, das leichte Wesen zu nehmen und mit kräftigem Schwunge weit in den See hinaus zu werfen, doch legte sich meine Wut, je mehr ich anfing, das Abenteuer seltsam und belustigend zu finden. »Aber,« sagte ich grollend, »war denn der einfältige Tropf nicht eifersüchtig?« »O,« sagte sie, »ich erzählte ihm Wort für Wort wieder, was ich mit Ihnen sprach, und dann bekam er doch das Brot und den Käse; wir sind auch nicht mehr so kindisch, da wir ja schon über ein Jahr verheiratet sind.« Sie erzählte mir weiter, daß die Verhältnisse ihrer Eltern sich gebessert hätten, daß sie wieder Geld bekämen, und daß sie, wie sie mir auch heute hätte ankündigen wollen, auf unsere gemeinsamen Spaziergänge nun verzichten wolle, da sie doch einmal anfangen müsse, gründlich zu studieren. »Ja, das wird denn auch wohl das Beste sein,« sagte ich und führte sie auf dem nächsten Dampfschiff in eintretender Dämmerung nach Hause. Wir trennten uns in Minne, und ich war bei späterer Überlegung im Grunde nicht unzufrieden mit dem gutartigen Ausgang dieser Liebesgeschichte. Auch darf ich mir das Zeugnis ausstellen, daß ich aus dem Ereignis in keiner Weise verallgemeinernde Schlüsse zog und mich mit Äußerungen über die moralische und intellektuelle Beschaffenheit der studierenden Mädchen stets behutsam zurückhielt, da es mir schien, als seien sie besser als ihr Ruf, so daß ich es für unbillig gehalten hätte, denselben aus Gehässigkeit und Rachsucht noch zu verschlechtern.

      XI

       Inhaltsverzeichnis

      Ezard und Lucile bekamen einen Knaben und ein Mädchen. Das erste Kind, der Knabe, wurde nach seinem Großvater Harre benannt. Neben ihm war Galeide Patin wegen der Liebe, die sie und Lucile zueinander hatten, die sich in der Zeit, wo meine Schwester die junge Wöchnerin gepflegt hatte, noch um vieles gesteigert zu haben schien. Denn sowie das Kind geboren war, siedelte Galeide fast ganz nach Ezards Hause über, damit Lucile nie allein sei. Ezard war voll sorgfältiger Aufmerksamkeit gegen seine Frau und suchte sie jeden Tag durch irgend eine anmutige Gabe oder einen liebevollen Einfall zu unterhalten, aber er hielt sich nicht sonderlich gern in Krankenzimmern auf und mußte ohnehin während des Tages meist seinen Geschäften nachgehen. So ließ es sich denn Lucile gern in meiner Schwester Zärtlichkeit wohl sein und tat, als ob es überhaupt kein liebenswertes Geschöpf auf der Welt gäbe außer Galeide. Das ist allerdings zuzugeben, daß es in dem Krankenzimmer behaglicher war, als in vielen Gesellschaftsräumen, und daß das zum Teil Galeidens ruhig heiterem Gesicht und anmutigen Sitten zu verdanken war. Wenn sie um Lucile beschäftigt war, so erfreuten ihre sanften Bewegungen und ihr gleitender Gang; sonst aber saß sie in einem beweglichen Stuhl, den sie beständig leise, leise hin und her schaukelte, und plauderte harmlose, gute Dinge mit wohltönender Stimme, daß es an das Geräusch von Wassertropfen mahnte, die über ein stillstehendes Mühlrad hinabrieseln. In angemessenen Zwischenräumen brachte sie immer einen ihrer absonderlichen Einfälle vor, die zum Widerspruch oder zum Nachdenken reizten, wußte sich aber so spielerisch und gutgelaunt zu verteidigen, daß ernstlicher

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