Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren . Ricarda Huch

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Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren  - Ricarda Huch

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Tage vergessen.

      IX

       Inhaltsverzeichnis

      Ich trieb mich nun des weiteren auf den Universitäten herum, und meine Vorstellung von der Jurisprudenz war noch immer die von einer Arznei, die einmal geschluckt werden muß, die man sich aber in eine gebackene Zwetsche wickelt, worauf sie glatter hinuntergeht (aber auch weniger wirkt). Etwas Rechtes wurde ich doch einmal, weil ich zu den Ursleuen gehörte; ich brauchte mich nur hinzustellen und wie ein Schlaraffe das Maul aufzusperren, dann würde es schon hineingeflogen kommen. Ich dachte, ich würde mir ein schlechtes Zeugnis ausstellen, wenn ich arbeitete und schwitzte. Nur störte es mich, wenn mein Vater zuweilen schrieb, seine Geschäfte gingen nicht gut, ich möchte weniger verausgaben und mehr studieren. Mein Vater hatte leicht ein Pathos in seiner Rede, welches mich immer sehr erschütterte und zu bewunderungswürdigen Versprechungen und Plänen hinriß. Aber ich vergeudete nach wie vor das Geld zu den unsinnigsten und verwerflichsten Zwecken, wobei ich noch dazu das Verschwendertum in eine poetische Beleuchtung zu setzen wußte und mir dabei gar nicht übel gefiel. Es ist freilich gewiß wahr, daß ich mich damals im Allerinnersten unsäglich unglücklich fühlte, und sowie ich einen Augenblick Atem schöpfte und mich bedachte, beschlich mich eine fürchterliche Trostlosigkeit, daß es mir oft vorkam, als müßten mir die Zähne klappern vor seelischem Froste. Aber deswegen fing ich doch kein anderes Leben an; ich hatte nicht einmal die Ausdauer ein schönes Buch zu lesen, was ich als Knabe mit verfrühter Leidenschaft, aber doch auch mit Verständnis so gern getan hatte. Ich schmollte mit dem Schicksal, daß es mir nicht mehr Reichtümer zur Verfügung gestellt hatte; denn auf deren Mangel schob ich alles Elend. Es kam mir nie in den Sinn, frisch und fröhlich zu arbeiten und zu sparen; aber daß ich insgeheim die Verpflichtung dazu und daneben die Unfähigkeit ihr nachzukommen fühlte, das war es eigentlich, was mich so unglücklich machte.

      Indessen arbeitete mein Vater unablässig, um uns die Mittel zu unserer behaglichen Lebensweise zu verschaffen, aber endgültig rettende Erfolge hatten seine Anstrengungen nie mehr. Das hätte ich nun wohl, so wenig ich auch vom Kaufmännischen verstand, bemerken können, aber ich kam meinem Vater in seinem Bestreben, den traurigen Stand der Dinge vor uns zu verbergen, allzu bereitwillig entgegen, anstatt daß ich versucht hätte, seine überhäufte Brust von den verschwiegenen Sorgen mitempfindend zu befreien.

      Es glückte mir, zu anständiger Zeit das erste Examen nicht gerade rühmlich, aber ordentlich zu bestehen, und so zog ich denn nach vierjähriger Abwesenheit wieder in unsere Vaterstadt ein, um die übliche Laufbahn, zunächst als Referendar, durchzumachen. Ich fand in unserem Hause durch die immer zunehmende schlechte Geschäftslage alles gründlich verändert. Meine Mutter nahm sich aus wie etwa ein griechisches Götterbild zur Zeit des aufsteigenden Christentums in einem verödeten, heidnischen Tempel. Sie klagte nicht und war schön und heiter wie sonst, nichtsdestoweniger erfüllte ihr Anblick das Herz mit Gram, und ich hätte sie nehmen und weit forttragen mögen nach einem schönen, blühenden Eiland im stillen Ozean, oder auch nur nach jener traubenvollen Weinlaube in Welschland. Jene weiten und hohen Räume unseres Hauses, wo ehemals fröhlicher Schall und festliche Laune gewaltet hatten, wären jetzt eine Halle des Schweigens geworden, wenn nicht der Urgroßvater und Galeide gewesen wären. Der Urgroßvater hatte sich in der Zeit meines Fortseins am wenigsten, Galeide am meisten verändert. Sie erwartete mich am Bahnhof, als ich ankam: vom Wagenfenster aus sah ich sie einen Augenblick, ohne mir bewußt zu sein, wer es war, und dachte: Was ist das für eine Schöne? Aber als ich merkte, daß es Galeide war, fand ich sie nicht mehr schön, und sie war es auch nicht. Was sie eigentlich tat, daß man so viel Wesens von ihr machte, ist schwer zu sagen. Wenn sie nicht da war, hieß es sogleich: Wo ist Galeide? wo ist das Kind? und mein Vater benahm sich, als ob ein ernstliches Unglück geschehen wäre. Infolgedessen gab es Unruhe und Unbehaglichkeit im Hause, und das war die Ursache, daß auch ich ihre Anwesenheit sehnlich wünschte, damit nur die anderen zufrieden wären.

      Wenn sie nicht bei uns war, war sie fast immer beim Urgroßvater oder bei Lucile. Der Urgroßvater, welcher sein ganzes Leben lang stets über soviel Mittel verfügt hatte, wie er brauchte, hatte einen Abscheu vor dem Gelde und verachtete zugleich die Menschen, die sich darum mühten, die es anbeteten, die es zur Schau trugen, die es nicht hatten, kurz alle, die sich merken ließen oder merken lassen mußten, daß sie vom Dasein des Geldes Bescheid wußten. Ich erinnere mich nicht, ihn ohne dringendsten Anlaß von Geld sprechen gehört zu haben. Da mein Vater nun in die Lage geraten war, beständig an das Geld denken zu müssen, war ihm seine Gesellschaft unerfreulich geworden, und er vermied es, in die Zimmer meiner Eltern zu kommen, obwohl er sie von ganzem Herzen liebte und ihnen für sein Leben gern mit Preisgebung seiner selbst geholfen hätte. Da er nun dem Onkel Harre nach wie vor abgeneigt war und Ezard mit Lucile zusammen nicht sehen mochte, war er ganz auf Galeiden beschränkt und suchte beständig Vorwände, um sie zu sich zu rufen, obwohl er selten unterließ ihr vorzuhalten, daß sie die Eltern um seinetwillen nicht vernachlässigen dürfe.

      Am liebsten war Galeide in Ezards Hause, und es fiel mir auf, wie sie dort eine andere war als bei uns. Freilich war es dort auch anders als bei uns, und das war, soviel ich urteilen kann, bewirkt durch Ezards Persönlichkeit. Denn er, obgleich in manchem als ein rechter Ursleu kenntlich, stellte doch etwas wesentlich anderes dar. Wie ein Körper durch Hinzufügung eines einzigen Atoms zu einem völlig verschiedenen werden kann, war es vielleicht auch nur ein Geringes, worin er von uns abwich; doch in der Wirkung bedeutete es viel. Wie die Schönheit seines Äußern in der vollendeten Harmonie aller Einzelheiten bestand, so war es auch mit seinem Inneren; er war nicht so eigenartig, absonderlich oder hochbedeutend, wie nicht wenige unserer Familie gewesen waren und waren, aber ruhiger, willenskräftiger, sicherer. Es hatte hie und da ein Ursleue plötzlich sein Glück gemacht und im Hange zu Wagnissen und Abenteuerlichkeit ebenso wieder eingebüßt. Es hätte ihm ähnlich, aber nie ganz so gehen können. Er ließ sich wohl auch in Ungewöhnliches und Ungeheuerliches ein: aber er faßte es mit seinen kräftigen, geschickten Händen so an, daß allgemach etwas Gediegenes daraus wurde. Man hätte ihn ein Kind des Glücks nennen können, nicht aber Fortunens verzogenen Liebling. Von diesen Eigenschaften erhielt das ganze Hauswesen ein Gepräge, weniger von Lucile, da ihre Natur schwächer war als die seinige. Dies könnte überraschen, da sie in ihrer Lebhaftigkeit viel mehr in die Sinne fiel als er. Aber nach meiner Rückkehr fiel es mir bald auf, wie viel von ihrem Selbst sie verloren hatte. Sie ging ganz und gar in Ezard unter, sie vermochte nicht, sich festzuhalten. So pflegt es den Mädchen zu ergehen, die sich dem liebenden Manne gegenüber wie eine Festung verhalten, alle Brücken einziehen und die Kanonen zu den Schießscharten herausgucken lassen, im Vorgefühl, daß sie sich nicht ergeben können, ohne sich zu verlieren. Ist dann die Mauer erstürmt oder die Besatzung ausgehungert, und sind die Schlüssel dem Herrn ausgeliefert, so ist sie nichts für sich mehr; die Geschichte der Stadt Rottweil beschließt der Historiker, wenn sie aufhört eine freie Reichsstadt zu sein, hernach muß man sie in der Geschichte Württembergs suchen. Andere mächtige und kühne Städte gab es, die sich mit den Herren vertrugen und ihnen eine joyeuse entrée gestatteten, wo sie Flaggen und Girlanden und geputzte Bürger und Bürgerinnen bewillkommten, und sie den Hut zogen und sich's zur Ehre schätzten.

      Lucile hatte fast nur noch Ezards Meinungen, was zwar nicht ausschloß, daß sie häufig in großer Unfriedfertigkeit miteinander lebten. Lucile pflegte es dann Galeiden zu klagen, die dem einen oder dem andern Recht gab, je nachdem es ihr gut schien, und meistens schnell die Versöhnung herbeiführte, ohne selbst etwas Besonderes dazu zu tun; es ging nur in ihrer Gegenwart besser, wie Lucile sagte. Lucile lud sich gern viele Leute ein, die sie aufs beste zu unterhalten wußte, so daß sie in der Gesellschaft eine ziemliche Beliebtheit gewann. Ezard fand daran keinen großen Geschmack, hätte auch so bedeutende und unnötige Ausgaben lieber vermieden, schon um der bedenklichen Lage meines Vaters willen, die er wohl kannte, aber er schlug ihr aus Güte nichts ab, was sie wünschte, außer wenn es völlig unverständig war. Von seiner Verliebtheit war bald nicht viel mehr übrig als eine große Freundlichkeit und ein Gefühl von Beschützerpflicht für die Frau, an die er sich

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