Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren . Ricarda Huch

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Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren  - Ricarda Huch

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Art und Weise, die meine Schwester an sich hatte, nicht widerstehen konnte; es hatte sich überhaupt zwischen den beiden ein Verhältnis gebildet, als ob Galeide die ältere wäre. Galeide pflegte über Welt und Leute zu reden, wie wenn sie von einer Wolke auf sie herabsähe und selbst gar nicht dazugehörte, womit sie vielen ganz ungemein imponierte. Häufig holte ich am Abend Galeiden ab, um sie nach Haus zurückzubegleiten; denn wie oft auch Lucile Ezard dazu anzuhalten suchte, stets wiesen sie es beide zurück. Galeide sagte sogar einmal in Ezards Gegenwart: »Warum soll er mich denn begleiten? Da wir einander doch so unaussprechlich langweilen!« Worüber beide herzlich lachen mußten; denn es macht immer Vergnügen, seine wahren Empfindungen einmal voll aussprechen zu dürfen und am meisten dann, wenn der gute Ton und die Regeln der Geselligkeit dem eigentlich im Wege stehen würden.

      Harreke, der mich wegen seiner roten Hautfarbe und seines vielen Geschreis mit Schauder erfüllte, legte auch bald die übliche Zuneigung für Galeiden an den Tag, was freilich nicht zu verwundern war, da sie sich mit ihm schleppte und mit ihm spielte wie einst mit ihren Kaninchen und Kätzchen, und die Weichheit ihrer Stimme, wenn sie ihm Wiegenlieder vorsang, auf seinen jedenfalls noch tierisch ungeschlachten Organismus eine magnetisierende, beschwichtigende Wirkung üben mochte. Es erschien häufig, als ob Galeide und nicht Lucile die Mutter des Kindes wäre; denn während er nach meiner Schwester stets mit verlangendem Zappeln die Arme ausstreckte, suchte Lucile eine erzieherische Methode an ihm auszuüben, um ihn vermittels des besten Systems zum preiswürdigsten aller Menschen heranzubilden, was der Gequälte, der noch nichts als Lust und Unlust unterscheiden konnte, naturgemäß mit Furcht und Abscheu von sich abzuwehren suchte.

      Zur Taufe veranstaltete Ezard ein Familienfest. Wenn ich daran zurückdenke, so ist es mir, da fast alle von denen, die daran teilnahmen, nun tot sind, als stände ich inmitten eines Kirchhofs, und die Gestalten stiegen, von meiner Sehnsucht heraufgefordert, aus ihren Gräbern in dem Putz, den sie damals trugen, und umkreisten mich im feierlichen Reigen, blaß und schweigend, die ich damals prangend in Kraft und Schönheit gesehen habe.

      Das Volk drängte sich vor den Türen der Kirche, um die Ursleuen taufen zu sehen. Gott im Himmel, wie lange scheint es her zu sein! Ich fuhr mit dem Urgroßvater und Galeiden zur Kirche. Sie nahm einen Sitz allein ein, um ihr Kleid zu schonen, wie sie sehr wichtig verkündigte; man wußte aber wohl, daß ihr im Grunde nichts daran gelegen war. Wir waren aufgeräumt, und ich muß sagen, daß es sich sehr gut mit meiner Schwester scherzen ließ, da sie eine wahre Lust am Komischen hatte und von ferne witterte, wo es für ein gesundes Germanengemüt etwas zu lachen gab. Der Urgroßvater liebte es, uns dabei zuzuhören, und pflegte, wie er uns denn jede schmeichelhafte Bemerkung, die er über uns machte, sofort preisgab, zu sagen, unser Witz gleiche zwei Windspielen, die in anmutigen Windungen miteinander tanzen und jagen. Als wir in die Sakristei kamen, wo die jungen Eltern uns empfingen, wurde Galeide ernsthaft, und als sie, das Bübchen auf dem Arm, am Taufbecken stand, glich sie so völlig einer lieben heiligen Mutter Gottes, daß es mich zu rühren begann. Da ich ihr gleich darauf eine verstohlene Bemerkung über den Pastor zuraunte, der uns mit seinem grotesken Kirchenpathos beständig zu allerhand Späßen veranlaßte, verwandelte sich ihre Miene, mit der sie mich verständnisvoll lachend ansah, und sie hatte nun auf einmal ganz und gar das glückliche Kindergesicht wie zu der Zeit, als sie noch die gute kleine Galeide hieß.

      Neben ihr stand als Taufpate Onkel Harre, der mit der Haltung eines Jünglings den geistreichen Kopf trug, an dem fast nur die dichten, ergrauenden Haare den Beginn des Alters anzeigten. Er war jetzt völlig von der Heiligkeit der Handlung hingenommen und stellte einen würdigen, christlichen Paten dar; ließ sich sogar willig von dem perorierenden Pastor zu Tränen rühren und versicherte uns hernach begeistert, daß es doch etwas Schönes um die kirchlichen Zeremonien sei, die man keinesfalls antasten dürfe, selbst wenn das Dogma noch mehr seines Ansehens beraubt sein würde als jetzt. In der allgemeinen Lustbarkeit vergaß ich der Sorge, die ich stet und starr wie ein schwarzes Steinbild in unserem Hause sitzen wußte. Jetzt aber, obwohl das alles nun schon lange der Vergangenheit angehört, schnürt es mir das Herz zusammen, wenn ich mir meinen Vater vergegenwärtige, wie er sich zwischen den Feiernden, gefeiert als eines der Häupter unserer Familie, bewegte. Wer ihn gut kannte, konnte ihm das verborgene Leiden ansehen, doch nahm er lebhaften Anteil am Gespräch und plauderte besonders mit Galeiden, wenn es ihm gelang, sich neben sie zu setzen und ihre Hände zu streicheln. Es gab ein rechtes Phäakenmahl mit fetten Braten, edlen Weinen, Behaglichkeit, Gespräch und Erzählung. Auch der Sänger fehlte uns nicht, da meine Mutter ein Taufgedicht gemacht hatte mit ungeheuerlichen und ganz unmöglichen Reimen und voll erstaunlicher Einfälle, das sie selbst vortrug, häufig von unserem jubelnden Entzücken unterbrochen. Ich glaube, daß sie dabei aufstand, und es ist mir, als hätte sie ein Kleid von rosig fliederartiger Farbe getragen; sie sah strahlend und hell aus wie das Glück. Ohne Zweifel war sie die Schönste von allen, obwohl sie nicht der jüngsten Generation angehörte. Was war es für ein Schwirren und Lachen und Rauschen: lauter Leben und Zukunftsfreude. Onkel Harre hielt eine Tischrede um die andere, wozu er eine vorzügliche Gabe besaß, so daß er nie damit langweilte; denn schon die Art und Weise, wie er seine reichlich zufließenden Einfälle hervorsprudelte, war erfrischend und stets belebend. Er redete auch den jüngsten Ursleuen, sein Paten- und Enkelkind, an in einer Weise, die mich besonders belustigte; er sagte ungefähr folgendes: »Dieses Kind, in welchem seine Tante Galeide schon jetzt die merkwürdigsten Eigenschaften entdeckt hat, die die vortreffliche Erziehungsmethode seiner Mutter ohne Zweifel zu noch größerer Merkwürdigkeit entfalten wird, dies Kind hat in unserer Familie eine hohe Aufgabe zu erfüllen. Ich vergleiche eine Familie mit einem gemusterten Gewebe, sagen wir schlicht weiß mit goldenen oder bunten Tupfen, die in gewisser Entfernung voneinander abstehen, oft in größerer, oft in geringerer. Nehmen wir als ein Beispiel die Familie der Hohenzollern: Da war Friedrich der Große ein dicker, goldener Tropfen; dann kam der schlichte Wollfaden Friedrich Wilhelm II. und III. und so weiter und so weiter. Das Gewand der Ursleuen so recht funkeln zu sehen, das wäre mir eine Freude gewesen, aber obwohl wir in unserem Zeitalter das Häßliche und Anstößige einer ungebrochenen weißen Fläche erkannt haben, bieten wir doch dem Auge gerade jetzt nichts als eine solche. Jawohl, ihr da haltet euch alle für goldene Tupfen, ich halte euch für nichts als wollene Fäden. Da ist mein Bruder Ludolf. Du hättest etwas werden können! Du bist in großen Verhältnissen angelegt! Aber dein Unstern machte dich zum Kaufmann. Ja, lebten wir in den vergangenen Jahrhunderten, da hättest du ein Fürst der Hansa sein können, mit Königen Bündnisse schließen und mit deinem Beutel den Reichstag meistern können. Oder du hättest neue Pfade auf dem Meere gesucht und die Welt belehrt, indem du dich bereichertest. Nun aber hockst du in einem geschmacklosen Arbeitszimmer vor einem stillosen Schreibtisch und schwitzest Angstschweiß und jetzt, anstatt dich zu schämen, sitzest du mir gegenüber und lachst und kosest mit deiner Tochter wie ein sentimentaler Pole. Du bist, wenn ich dich historisch abschätzen will, in eine Reihe mit dem Kaiser Wilhelm I. zu setzen, von dem mit gewaltigen Lettern auf Klios Tafel gegraben ist, daß er verstand, sich den rechten Minister zu wählen. So bleibt dir der Ruhm, eine Frau davongetragen zu haben, die im Gewebe der Olethurms mit ihrem Vater die Goldtupfen bildet, die uns leider mangeln. Ja du, Neffe Ludolf der jüngere,« sagte er nun, indem er sich an mich wandte, »sieh mich nicht so herausfordernd an. Du bist, wie Elias, nicht besser als deine Väter. Was hattest du an deinem dreiundzwanzigsten Geburtstage im Tempel des Ruhmes aufzuhängen oder anzuschlagen? Junge, du hast Geist, Verstand, Talent und manches Gute und Schöne, das in dir durcheinanderrennt wie lauter Rinnsale, Quellen und Bäche; aber nie vereinigt es sich zu einem mächtig rollenden Strom oder in einen See, in dem die Gestirne, wie Goethe sagt, ihr Antlitz weiden. Deine Schwester Galeide, auf die hoffe ich noch; aber sie ist noch unausgewachsen, und es kann noch sowohl ein Goldpunkt oder auch ein Wollfaden aus ihr werden. Du aber, mein eigener Sohn, Ezard, hast mich am grimmigsten getäuscht. Dein meisterhaftes Gesicht verbürgte sich für die Erfüllung meiner grenzenlosen Erwartungen. Gott weiß, was es bedeuten mag. Hättest du das nicht, so müßte ich dich einen Philister nennen. Wirst du jemals ein Abenteuer bestehen? Jemals eine Tollheit verüben? Jemals etwas tun, worüber das Volk sich bekreuzigt? dann aber sanfter hinzufügt: es ist nicht seine Schuld, es liegt ihm im Blute, er ist ein Ursleu. Nein, ohne Sang und Klang würdest du vorübergehen, wenn du nicht als der Vater deines Sohnes Aussicht hättest, dich denkwürdig zu machen.« Hiermit ging mein

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