Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren . Ricarda Huch
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Читать онлайн книгу Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren - Ricarda Huch страница 11
»Geliebtes Herz, obwohl es sich besser für dich schicken würde, Kaiserin von Konstantinopel zu sein, so wäre es doch in Anbetracht der Blindheit des Schicksals ein Glück, wenn du die Möglichkeit ins Auge faßtest, einmal selbst für dich sorgen zu müssen. Möchtest du nicht das Lehrerinnenseminar besuchen? Zur geistigen Arbeit neigst du ja mehr als zur häuslichen.« Galeidens Gesicht verzog sich ängstlich. »Ich will gar nicht Kaiserin von Konstantinopel sein«, sagte sie, »aber Lehrerin kann ich durchaus nicht werden; es wäre mein Tod.« Ezard sagte hierauf in seiner ruhigen Weise: »Ich begreife nicht, warum. Ich finde, daß Lucile ganz recht hat. Du hast es noch nicht versucht und weißt nicht wie es ist. Du großes Walkürenmädchen siehst nicht aus, als ob dich ein so gelindes Unglück gleich umbringen würde.«
Da fuhr aber Galeide heftig auf und sagte: »O, du bist ein Mann und hast aus dir machen können, was du wolltest. Du hast gut reden! Für uns ist der Abfall da, das was euch zu gering zu tun ist. Und wäre es auch der höchste Erdenruhm, Lehrerin oder Erzieherin zu sein, das ist das wichtigste, daß ich nun einmal keine Lust dazu habe. Ich möchte weit lieber ein Tierbändiger oder ein Matrose sein.« Als sie das sagte, neigte sie den Kopf, den sie auf stattlich schlankem Halse trug, etwas zurück und warf einen stolzen und fast verächtlichen Blick auf Ezard; und ich muß sagen, daß sie in diesem Augenblick schön und kühn aussah, obschon das, was sie sagte, eine nahezu unsinnige Behauptung war. Ezard entgegnete, in jedem Beruf sei eigentlich die Beschäftigung das, was Befriedigung verschaffe; kein Beruf habe an sich einen höheren Wert als ein anderer, man müsse aus seinem Berufe etwas machen, anstatt daß es umgekehrt sei. Galeide sagte in derselben hochmütigen Art wie vorher: »So weiß ich nicht, warum du einmal zu Ludolf sagtest, es sei schade, daß die Mittel seines Vaters ihm nicht erlaubten, Schriftsteller zu werden, und warum du ein ander Mal sagtest, wenn du jetzt wählen dürftest, würdest du Naturforscher werden oder Landwirt.« Ezard mußte hierüber lachen und sagte: »Das ist wahr, aber du siehst ja, ich schlage mich auch als Verwaltungsrat mit leidlich zufriedener Miene durchs Leben, obgleich ich oft an die nun verschollenen Wasserwunder denke, die ich im Meere entdeckt haben könnte.« Worauf Galeide lustig fortfuhr: »Und das wird dir so gewiß leichter, als wenn du als Hauslehrer unter sieben ungezogenen Rangen säßest.«
Ich beobachtete, daß Ezard durch diese Unterhaltung nachdenklich gestimmt war, und ich mußte an die ehemaligen Pläne des Urgroßvaters denken und überlegte mir, ob mein Vetter und meine Schwester nicht doch vielleicht gut füreinander gepaßt hätten. Indessen sagte Ezard einmal, als Galeide nicht anwesend war, er hielte es doch für das richtigste, wenn sie sich zur Lehrerin ausbilden wollte; denn obwohl er im schlimmsten Falle von Herzen gern für sie sorgen würde, wie sich das von selbst verstehe, so möchte er ihr das gleichsam nicht antun müssen; denn sie würde sich dabei unglücklich fühlen und ihn, dem sie ohnehin nicht sonderlich gewogen zu sein scheine, zu hassen anfangen, wenn sie Wohltaten von ihm anzunehmen gezwungen sei.
»Was für eine Einbildung,« sagte Lucile hierauf, »daß sie dir nicht gewogen sei! Ihr seid seltsam. Ihr würdet so einzig füreinander passen, du der herrlichste Mann, den ich kenne, und sie die herrlichste Frau. Freilich dürftest du sie nicht so lieben wie mich, wenigstens nicht jetzt. Aber wenn ich gestorben sein werde, so sollst du sie heiraten, und dann wirst du so glücklich sein, wie du es zu werden hofftest, als ich noch deine Braut war.« Dieser wehmütige Einfall war Lucile jedenfalls ganz unerwartet und plötzlich gekommen, denn sie machte große, erschreckte Augen, und ihre Lippen zuckten. Ezard umarmte sie mit ungekünstelter Herzlichkeit und trocknete ihr mit dem Taschentuche die heruntertropfenden Tränen ab, mußte aber nebenbei über die Zumutung in Hinsicht Galeidens so vergnügt lachen, daß man wohl sah, wie völlig gleichgültig sie ihm war. Was ich auch ganz wohl begreifen konnte.
X
Wie ich mir das vorhin wiedergegebene Gespräch zwischen Ezard und Galeide zurückrufe, kommen mir die neueren Bestrebungen der Frauen, gleiche Rechte mit dem Manne zu erwerben und ihr Wunsch, ihre Persönlichkeit um ihrer selbst willen auszubilden, in den Sinn. Ich hatte infolge einer gewissen Anhänglichkeit an die Schweiz eines meiner Studiensemester in Zürich zugebracht, wo den Frauen die Erlaubnis erteilt worden war, neben den Männern die Universität zu besuchen. Ich hielt dies für eine gröbliche Verirrung des guten Geschmackes und war bereit, das Ärgste von den Mädchen zu glauben, die ich dort antreffen würde. Nun aber tat die flüchtigste Umschau dar, daß es dort weibliche Wesen gab wie anderswo auch, nette und häßliche, gescheite und einfältige, überspannte und vernünftige, zumeist mit etwas mehr Frische und Kernigkeit ausgestattet, als die Hausweiber besitzen. Ich fuhr aber nichtsdestoweniger fort, diese Mädchen grundsätzlich zu mißbilligen und vermied sorgfältig, mich im Gespräch mit ihnen antreffen zu lassen.
Einmal besuchte ich aus Neugierde das Kollegium eines Professors, welcher über ein schwieriges philosophisches Thema las. In den Reihen seiner Zuhörer bemerkte ich ein junges Mädchen, welches mir trotz meiner Vorurteile ungemein anziehend vorkam, von schönem slawischen Typus, mit völlig farblosem, ovalem Gesicht, um das herum kurze, leidenschaftliche Locken der schwärzesten Färbung fielen. Ihre Augen voll trauriger Schwärmerei hingen unverwandt an den Lippen des Professors, und ich konnte nicht umhin, das junge Wesen zu bewundern, das diese trockenen und spitzfindigen Dinge so emsig verständnisvoll in sich aufnahm. Ich besuchte diese Vorlesung nun regelmäßig, und zwar einzig, um mich an dem Anblick des Mädchens zu weiden; denn ich muß sagen, daß ich immer, und vorzüglich damals, zu trägen und prachtliebenden Geistes war, als daß ich mich gern in abstrakte Philosopheme vertieft hätte. Die melancholische Schönheit mit soviel Geistesschärfe vereint bestrickte mich gänzlich und ich faßte den Entschluß, die Bekanntschaft der Fremden zu machen, was auch mit keinerlei Schwierigkeiten verbunden war. Sie benahm sich artig und fein, war sogleich sehr zutraulich gegen mich und hieß Vera mit einem langen, schweren, russischen Geschlechtsnamen. Meine Unfähigkeit, denselben richtig auszusprechen, gab mir den Vorwand, sie Fräulein Vera zu nennen, was sie mir auch lächelnd gestattete. Ich fing zuerst an, mit ihr über die in der Vorlesung behandelten Themata zu reden; da aber erklärte sie mir sogleich, sie besuche dieselbe nicht des Inhaltes wegen, sondern nur um Deutsch sprechen zu hören, denn sie sei der Sprache noch nicht ganz mächtig; sie hätte aber gehört, daß der betreffende Professor ein besonders gutes Deutsch rede, und deshalb gehe sie in alle seine Vorlesungen. Weit entfernt hierdurch entnüchtert zu sein, sagte ich mir frohlockend, mein Gefühl habe mich richtige Wege geleitet, ich habe es mit keinem gelehrten Fräulein, sondern mit einem unschuldigen, fleißigen Mädchen zu tun, und nur deshalb könne sie auch im Besitze einer so rührenden Schönheit sein. Da ich nun mehr Teilnahme für die Verhältnisse der studierenden Russenkolonie hatte, achtete ich auch mehr auf das, was von ihnen erzählt wurde, und darunter wiederholte sich am häufigsten der