Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola страница 22
Aristides, der jüngste der Söhne Rougon, war sozusagen der gerade Gegensatz Eugens. Er hatte das Gesicht und die Habgier seiner Mutter; er war ein tückischer, zu gemeinen Ränken neigender Charakter, in dem die Triebe des Vaters vorherrschten. Die Natur hat oft Bedürfnisse des Gleichmaßes. Klein von Wuchse, mit einem Affengesicht, das einem seltsam geschnitzten, in einen Bajazzokopf auslaufenden Spazierstockgriffe ähnlich sah, trieb sich Aristides überall suchend, forschend, wühlend herum; er kannte keine Bedenken, denn es drängte ihn, Geld zu erwerben, Wohlstand zu genießen. Er liebte das Geld, wie sein ältester Bruder die Macht liebte. Während Eugen davon träumte, ein Volk unter seine Macht zu beugen, und sich an seiner künftigen Allmacht berauschte, sah Aristides sich als zehnfachen Millionär, in einem fürstlichen Palaste wohnend, gut essend und trinkend, mit allen Sinnen und Organen seines Körpers das Leben genießend. Er wollte vor allem sehr schnell reich werden. Wenn er ein Luftschloß baute, so erhob es sich in seinem Geiste wie durch Zauberspruch; vom Abend bis zum Morgen erwarb er ganze Tonnen Goldes. Dies behagte seiner Trägheit um so mehr, als er sich niemals um die Mittel kümmerte und die raschesten ihm auch die besten dünkten. Das Geschlecht der Rougon, dieser schwerfälligen, habsüchtigen Bauern mit den tierischen Begierden, hatte zu schnell gereift. Alle Bedürfnisse des materiellen Genusses entwickelten sich in Aristides, verdreifacht durch die übereilte Erziehung, noch unersättlicher und gefährlicher, seitdem sie durch die Vernunft geleitet wurden. Trotz ihrer weiblichen Scharfsicht zog Felicité diesen Burschen vor; sie fühlte nicht, daß Eugen weit mehr ihr Sohn war; sie entschuldigte die Trägheit und die dummen Streiche ihres Jüngsten unter dem Vorwande, daß dieser der große Mann der Familie sein werde und daß ein den übrigen überlegener Mann das Recht habe, ein regelloses Leben zu führen bis zu dem Tage, an dem die Macht seiner Fähigkeiten entdeckt werde. Aristides setzte ihre Nachsicht auf eine harte Probe. In Paris führte er ein müßiges Luderleben; er ward einer jener Studenten, die in den Kneipen des Quartier Latin ihre Vorlesung hören. Er blieb übrigens nur zwei Jahre daselbst. Als sein entsetzter Vater sah, daß er nach zwei Jahren keine einzige Prüfung gemacht hatte, hielt er ihn in Plassans zurück und schlug ihm vor, ihm eine Frau zu suchen, weil er hoffte, daß die Sorgen der Häuslichkeit einen ordentlichen Menschen aus ihm machen würden. Aristides ließ sich verheiraten. Zu jener Zeit sah er noch nicht klar in seinem Streben; das Provinzleben gefiel ihm; er fühlte sich wohl in seiner kleinen Vaterstadt, wo er aß und trank und spazieren ging, wenn er nicht schlief. Felicité redete ihm mit einem solchen Eifer das Wort, daß Peter einwilligte, dem jungen Ehepaar die Wohnung und Verpflegung zu geben unter der Bedingung, daß Aristides sich ernstlich den Geschäften des Hauses widmen werde. Und jetzt begann für den jungen Herrn ein herrliches Faulenzerleben; er brachte seine Tage und den größten Teil seiner Nächte im Klub zu, floh das Büro seines Vaters, wie ein träger Schüler die Schule flieht, und verspielte die wenigen Taler, die seine Mutter im geheimen ihm zusteckte. Man muß in einem kleinen Provinzorte gelebt haben, um das Tierleben recht zu verstehen, das Aristides in dieser Weise vier Jahre lang führte. So gibt es in jeder kleinen Stadt eine Anzahl von Wesen, die auf Kosten ihrer Familie leben, zuweilen tun, als ob sie arbeiten wollten, aber in Wirklichkeit nur ihrer Trägheit frönen. Aristides war das Muster der unverbesserlichen Taugenichtse, die man in wollüstiger Trägheit sich durch die Öde des Provinzlebens schleppen sieht. Vier Jahre lang tat er nichts als Ecarté spielen. Während er im Kasino lebte, half seine Frau, eine weiche, stille Blondine, durch einen ausgesprochenen Geschmack für schreiende Toiletten und einen ungeheuren Appetit (merkwürdig genug bei einem so schwächlichen Wesen!) den Ruin des Hauses Rougon beschleunigen. Angela – so hieß sie – schwärmte für himmelblaue Bänder und Lendenbraten. Sie war die Tochter eines Kapitäns im Ruhestande, den man den Major Sicardot nannte, eines wackeren Mannes, der ihr zehntausend Franken, seine gesamten Ersparnisse, mit in die Ehe gegeben hatte. Peter hatte, indem er Angela für seinen Sohn erkor, ein sehr gutes Geschäft zu machen geglaubt, so niedrig schlug er Aristides im Werte an. Diese Mitgift von zehntausend Franken, die bei ihm den Ausschlag gegeben, sollte später ein Mühlstein an seinem Halse werden. Sein Sohn war ein schlauer Gauner; er händigte dem Vater die zehntausend Franken ein, indem er sein Geschäftsgenosse ward; er spielte den Uneigennützigen und wollte keinen Sou behalten.
Wir brauchen nichts, sagte er. Ihr werdet uns aushalten, mich und meine Frau, und wir werden später einmal abrechnen.
Peter war in Geldverlegenheit und nahm den Vorschlag an, allerdings nicht ohne Unruhe wegen der Uneigennützigkeit des Aristides. Dieser sagte sich, daß sein Vater vielleicht lange Zeit keine zehntausend Franken flüssig haben werde, um sie ihm wiederzugeben und daß er und seine Frau auf des Vaters Kosten ein feines Leben führen würden, solange die Geschäftsverbindung nicht gelöst werden könne. Diese paar Bankbilletts waren wunderbar angelegt. Als der Ölhändler begriff, wie man ihn herumgekriegt, war es ihm nicht mehr möglich, sich des Aristides zu entledigen; Angelas Mitgift war in Spekulationen angelegt, die einen schlimmen Ausgang nahmen. Er mußte das junge Ehepaar bei sich behalten; darob war er erbittert, denn der starke Appetit seiner Schwiegertochter und die Faulenzerei seines Sohnes nagten ihm am Herzen. Hätte er sie bezahlen können, er hätte dieses »Gewürm, das sein Blut trank« – wie er sich in seiner kräftigen Weise ausdrückte – schon zwanzigmal an die Luft gesetzt. Felicité unterstützte sie im geheimen. Der junge Mensch, der ihre ehrgeizigen Träume durchschaut hatte, setzte ihr jeden Abend wunderbare Pläne, Reichtum zu erwerben, auseinander, Pläne, die er binnen kurzem zu verwirklichen gedachte. Vermöge eines seltenen Zufalles stand sie mit ihrer Schwiegertochter auf gutem Fuße; allerdings muß gesagt werden, daß Angela keinen Willen hatte und daß man über sie verfügen konnte wie über ein Einrichtungsstück. Peter geriet in Zorn, wenn seine Frau ihm von den künftigen Plänen ihres jüngsten Sohnes sprach; er beschuldigte ihn seinerseits, daß er eines Tages den Ruin ihres Hauses herbeiführen werde. Während der vier Jahre, welche das junge Ehepaar in seinem Hause zubrachte, wütete und wetterte er so, seine ohnmächtige Wut in Zänkereien auslassend, ohne Aristides und Angela im geringsten aus ihrer lächelnden Ruhe herauszubringen. Sie hatten sich da niedergelassen, sie blieben auch da wie unbewegliche Massen. Endlich machte Peter ein gutes Geschäft, und er konnte seinem Sohne die zehntausend Franken wiedergeben. Als er mit ihm abrechnen wollte, erhob Aristides so viele Einwendungen und Schwierigkeiten, daß er ihn ziehen lassen mußte, ohne auch nur einen Sou für die Verpflegung und Wohnung zurückzubehalten. Die jungen Eheleute mieteten sich in der Nähe ein, auf einem kleinen Platze der Altstadt, Sankt-Ludwigsplatz genannt. Die zehntausend Franken waren bald aufgezehrt, denn sie mußten sich einrichten.
Aristides änderte übrigens nichts an seiner Lebensweise, so lange es noch Geld im Hause gab. Als das letzte Hundertfrankenbillett an die Reihe kam, ward er nervös. Man sah ihn mit verdächtiger Miene in der Stadt umherirren. Er nahm seinen Kaffee nicht mehr im Kasino; er schaute mit fieberhafter Ungeduld anderen Spielen zu, ohne selbst eine Karte zu berühren. Das Elend machte ihn noch schlechter, als er