Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
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Noch einmal! Du läßt mich absichtlich los.
Kein Gefühl der Scham stieg ihnen auf aus diesen Umarmungen Silvères, der sich überneigte, um sie zu stützen, aus diesen Anstrengungen Miette zu retten, die sich erschreckt dem jungen Manne an den Hals hing. Das kalte Bad versetzte sie in eine Kristallreinheit. Es waren zwei nackte, unschuldige, lachende Kinder in warmer Sommernacht unter dem stillen Laub der Bäume. Nach den ersten Bädern machte Silvère sich im stillen Vorwürfe, daß er an Böses denken konnte. Miette kleidete sich so schnell aus und war so frisch in seinen Armen und lachte so hell!
Doch nach Verlauf von zwei Wochen konnte die Kleine schwimmen. Ihre Glieder beherrschend, gewiegt von der Flut, mit der sie jetzt spielte, überließ sie sich der weichen Schmiegsamkeit des Flusses, der Stille des Nachthimmels, der träumerischen Einsamkeit, die auf den Ufern lagerte.
Wenn beide geräuschlos dahinschwammen, glaubte Miette an den beiden Ufern das Laub sich verdichten, sich über sie neigen, ihr Versteck mit riesigen Vorhängen verhüllen zu sehen. An mondhellen Abenden glitt der Lichtschein zwischen den Baumstämmen hindurch, milde Gestalten in weißer Gewandung schienen die Ufer entlang zu wandeln. Miette hatte keine Furcht. Eine unsagbare Aufregung erfaßte sie, wenn sie den Spielen des Schattens folgte. Während sie mit verlangsamter Bewegung vorwärts schwamm, kräuselte sich das Wasser, das im Mondlichte wie ein klarer Spiegel dalag, bei ihrer Annäherung wie ein silberdurchwirkter Stoff; die Ringe wurden breiter und verloren sich im Dunkel der Ufer, unter den niederhängenden Zweigen der Weiden, woher ein geheimnisvolles Plätschern zu vernehmen war. Bei jedem Ausgreifen fand sie solche flüsternden Tiefen, dunkle Höhlungen, an denen sie rascher vorbeieilte, Sträucher, Baumreihen, deren dunkle Massen die Form wechselten, sich verlängerten, von der Höhe des Ufers ihr zu folgen schienen. Wenn sie auf dem Rücken schwamm, ward sie durch den Blick in die unendlichen Tiefen des Nachthimmels noch mehr ergriffen. Von der Landschaft, die sie nicht sah, hörte sie eine tiefe, lang aushaltende Stimme aufsteigen, gleichsam aus allen Seufzern der Nacht zusammengesetzt.
Sie war nicht von träumerischer Natur und freute sich mit ihrem ganzen Körper, mit allen ihren Sinnen des Himmels, des Flusses, der Schatten, der Lichter. Im besonderen der Fluß, dieses Wasser, dieses bewegliche Feld, trug sie mit unsagbaren Liebkosungen dahin. Wenn sie den Fluß hinaufschwamm, verursachte es ihr ein großes Vergnügen zu fühlen, wie ihr das Wasser schneller über Brust und Beine floß; es war ein anhaltender, sanfter Kitzel, den sie ohne nervöses Lachen ertragen konnte. Sie tauchte dann tiefer ins Wasser, bis dieses ihr an die Lippen reichte, damit es über ihre Schultern hinweg fließe, sie mit einem Zuge vom Kinn bis zu den Füßen in seine flüchtige Liebkosung einhüllte. Sie verfiel dann in eine Schlaffheit, in der sie unbeweglich auf der Oberfläche des Wassers liegen blieb, während es in kleinen Wellen weich zwischen dem Anzug und ihrer Haut durchfloß, wobei der Stoff sich blähte; dann wälzte sie sich in dem stillen Wasser wie eine Katze auf einem Teppich; und sie schwamm aus dem schimmernden Wasser, wo der Mond badete, in das dunkle, vom Laube in Schatten gehüllte Wasser, mit einem Frösteln, als habe sie eine sonnige Ebene verlassen und die Kühle der Zweige auf ihren Nacken fallen fühlen.
Jetzt trat sie schon beiseite, um sich zu entkleiden; sie verbarg sich. Einmal im Wasser verhielt sie sich schweigsam; sie wollte nicht mehr dulden, daß Silvère sie berühre; sie schlüpfte sachte an seine Seite und schwamm mit dem leisen Geräusch eines Vogels, der durch ein Dickicht fliegt; oder auch sie umkreiste ihn, von einer unbestimmten Furcht ergriffen, die sie sich nicht erklären konnte. Er selbst entfernte sich, wenn er an eines ihrer Glieder streifte. In dem Flusse fanden sie jetzt nur mehr einen ermattenden Taumel, ein wollüstiges Einlullen, das sie in eine seltsame Verwirrung versetzte. Besonders wenn sie aus dem Bade stiegen, hatten sie ein Gefühl der Schläfrigkeit, der Blendung. Sie waren gleichsam erschöpft. Miette brauchte eine volle Stunde, um sich anzukleiden. Zuerst warf sie nur ihr Hemd über und einen Rock; dann blieb sie da, im Grase ausgestreckt, über Müdigkeit klagend und Silvère rufend, der einige Schritte weiterhin stand, mit leerem Schädel und mit einer seltsamen, aufregenden Mattigkeit in den Gliedern. Auf dem Heimwege war dann ihre Umarmung feuriger, sie fühlten durch ihre Gewandung deutlicher ihren infolge des Bades geschmeidiger gewordenen Körper; sie blieben stehen von Zeit zu Zeit und stießen schwere Seufzer aus. Der riesige Haarknäuel Miettens, ihr Nacken, ihre Schultern hatten einen Geruch der Frische, einen Duft der Reinheit, der den jungen Mann vollends betäubte. Zum Glück erklärte das Mädchen eines Abends, daß es keine Bäder mehr nehmen werde, daß das kalte Wasser ihr das Blut zu Kopfe treibe. Ohne Zweifel gab sie diesen Grund in aller Wahrheit und Unschuld an.
Sie nahmen ihre langen Gespräche wieder auf. Von der Gefahr, die ihrer unschuldigen Liebe gedroht, war im Geiste Silvères nichts als eine große Bewunderung für die körperliche Kraft Miettens zurückgeblieben. In zwei Wochen hatte sie schwimmen gelernt und oft, wenn sie um die Wette schwammen, hatte er sie den Fluß mit ebenso kräftigen Armen teilen sehen, wie er selbst. Er, der die Kraft und die körperlichen Übungen liebte, war gerührt, wenn er sie so stark und so geschickt sah. In seinem Herzen erstand eine seltsame Achtung für ihre starken Arme. Eines Abends, nach einem der ersten Bäder, bei denen sie noch so lustig waren, hatten sie sich um den Leib gefaßt und auf einem schmalen Sandstreifen minutenlang gerungen, ohne daß es Silvère gelungen wäre, Miette zu Boden zu werfen; schließlich verlor er selbst das Gleichgewicht, fiel um und das Mädchen blieb aufrecht. Ihr Freund behandelte sie fortab wie einen Jungen und eben die langen Märsche, das tolle Jagen durch die Wiesen, das Nesterausheben auf den hohen Bäumen, ihre Kämpfe, ihre ungestümen Spiele beschützten sie so lange und hinderten sie, ihre junge Liebe zu beflecken. Nebst der Bewunderung für die Kraft und Behendigkeit seiner Freundin mischte in die Liebe des jungen Burschen sich auch noch sein Erbarmen für die Unglücklichen. Er, der keinen Verlassenen, keinen Armen, kein barfüßiges Kind im Straßenstaub sehen konnte, ohne daß das Erbarmen ihm den Atem raubte, er liebte Miette, weil niemand sie liebte, weil sie das harte Dasein eines Paria führte. Wenn ei sie lachen hörte, war er tief bewegt von dieser Freude, die er ihr verschaffte. Und dann war das Mädchen eine Wilde wie er selbst ein Wilder; sie fanden sich auch in dem gemeinsamen Hasse gegen die Klatschbasen der Vorstadt. Der Traum, den er tagsüber träumte, während er bei seinem Meister mit kräftigen Hammerschlägen die Räder bereifte – dieser Traum war voll edelmütiger Torheiten. Er dachte an Miette als Erlöser. Alles, was er gelesen hatte, stieg ihm dann zu Kopfe; er wollte eines Tages seine Freundin zu seiner Frau machen, um sie in den Augen der Welt zu erheben; er legte sich den heiligen Beruf bei, die Tochter des Sträflings zu retten, der Welt und dem Heil wiederzugeben. Er hatte den Kopf dermaßen voll mit gewissen Reden, daß er sich nicht damit begnügte, sich diese Dinge einfach vorzunehmen; er verlor sich in einem gewissen sozialen Mystizismus; er ersann eine wahre Verherrlichung, mit der das Kind der Welt wiedergegeben werden sollte; er sah im Geiste Miette auf einem am Ende der Promenade Sauvaire errichteten