Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer
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Es ist schon Lehre des Aristoteles, daß ein Unendliches nie actu, d.h. wirklich und gegeben seyn könne, sondern bloß potentiâ, Ouk estin energeia einai to apeiron; – – – – – all' adynaton to entelecheia on apeiron (infinitum non potest esse actu: – – – – – sed impossibile, actu esse infinitum).Metaph. K, 10. – Ferner: kat' energeian men gar ouden estin apeiron, dynamei de epi tên diairesin (nihil enim actu infinitum est, sed potentia tantum, nempe divisione ipsa). De generat. et corrupt., 1, 3. – Dies führt er weitläufig aus, Phys. III, 5 u. 6, woselbst er gewissermaaßen die ganz richtige Auflösung sämmtlicher antinomischer Gegensätze giebt. Er stellt, in seiner kurzen Art, die Antinomien dar und sagt dann: »Eines Vermittlers (diaitêtou) bedarf es«: wonach er die Auflösung giebt, daß das Unendliche, sowohl der Welt Im Raum, als in der Zeit und in der Theilung, nie vor dem Regressus, oder Progressus, sondern in demselben ist. – Also liegt diese Wahrheit schon im richtig gefaßten Begriff des Unendlichen. Man mißversteht sich also selbst, wenn man das Unendliche, welcher Art es auch sei, als ein objektiv Vorhandenes und Fertiges, und unabhängig vom Regressus zu den ken vermeint.
Ja, wenn man, umgekehrt verfahrend, zum Ausgangspunkt Dasjenige nimmt, was Kant als die Auflösung des Widerstreits giebt; so folgt eben schon aus demselben geradezu die Behauptung der Antithese. Nämlich: ist die Welt kein unbedingtes Ganzes und existirt nicht an sich, sondern nur in der Vorstellung, und sind ihre Reihen von Gründen und Folgen nicht vor dem Regressus der Vorstellungen davon da, sondern erst durch diesen Regressus; so kann die Welt nicht bestimmte und endliche Reihen enthalten, weil deren Bestimmung und Begränzung unabhängig von der dann nur hinzukommenden Vorstellung seyn müßte: sondern alle ihre Reihen müssen endlos, d.h. durch keine Vorstellung zu erschöpfen seyn.
S. 506; v, 534, will Kant aus dem Unrechthaben beider Theile die transscendentale Idealität der Erscheinung beweisen und hebt an: »Ist die Welt ein an sich existirendes Ganzes, so ist sie entweder endlich oder unendlich.« – Dies ist aber falsch: ein an sich existirendes Ganzes kann durchaus nicht unendlich seyn. – Vielmehr ließe sich jene Idealität aus der Unendlichkeit der Reihen in der Welt folgendermaaßen schließen: Sind die Reihen der Gründe und Folgen in der Welt durchaus ohne Ende; so kann die Welt nicht ein unabhängig von der Vorstellung gegebenes Ganzes seyn: denn ein solches setzt immer bestimmte Gränzen, so wie hingegen unendliche Reihen unendlichen Regressus voraus. Daher muß die vorausgesetzte Unendlichkeit der Reihen durch die Form von Grund und Folge, und diese durch die Erkenntnißweise des Subjekts bestimmt seyn, also die Welt wie sie erkannt wird, nur in der Vorstellung des Subjekts daseyn.
Ob nun Kant selbst gewußt habe, oder nicht, daß seine kritische Entscheidung des Streits eigentlich ein Ausspruch zu Gunsten der Antithese ist, vermag ich nicht zu entscheiden. Denn es hängt davon ab, ob dasjenige, was Schelling irgendwo sehr treffend Kants Akkommodationssystem genannt hat, sich so weit erstrecke, oder ob Kants Geist hier schon in einer unbewußten Akkommodation zum Einfluß seiner Zeit und Umgebung befangen ist.
Die Auflösung der dritten Antinomie, deren Gegenstand die Idee der Freiheit war, verdient eine besondere Betrachtung, sofern es für uns sehr merkwürdig ist, daß Kant vom Ding an sich, das bisher nur im Hintergrunde gesehn wurde, gerade hier, bei der Idee der Freiheit, ausführlicher zu reden genöthigt wird. Dies ist uns sehr erklärlich, nachdem wir das Ding an sich als den Willen erkannt haben, Ueberhaupt liegt hier der Punkt, wo Kants Philosophie auf die meinige hinleitet, oder wo diese aus ihr als ihrem Stamm hervorgeht. Hievon wird man sich überzeugen, wenn man in der Kritik der reinen Vernunft, S. 356 und 537; v, 564 und 565, mit Aufmerksamkeit liest: mit dieser Stelle vergleiche man noch die Einleitung zur Kritik der Urtheilskraft, S. XVIII und XIX der dritten, oder S. 13 der Rosenkranzischen Ausgabe, wo es sogar heißt: »Der Freiheitsbegriff kann in seinem Objekt (das ist denn doch der Wille) ein Ding an sich, aber nicht in der Anschauung, vorstellig machen; dagegen der Naturbegriff seinen Gegenstand zwar in der Anschauung, aber nicht als Ding an sich vorstellig machen kann.« Besonders aber lese man über die Auflösung der Antinomien den § 53 der Prolegomena und beantworte dann aufrichtig die Frage, ob alles dort Gesagte nicht lautet wie ein Räthsel, zu welchem meine Lehre das Wort ist. Kant ist mit seinem Denken nicht zu Ende gekommen: ich habe bloß seineSache durchgeführt. Demgemäß habe ich was Kant von der menschlichen Erscheinung allein sagt auf alle Erscheinung überhaupt, als welche von jener nur dem Grade nach verschieden ist, übertragen, nämlich daß das Wesen an sich derselben ein absolut Freies, d.h. ein Wille ist. Wie fruchtbar aber diese Einsicht im Verein mit Kants Lehre von der Idealität des Raumes, der Zeit und der Kausalität ist, ergiebt sich aus meinem Werk.
Kant hat das Ding an sich nirgends zum Gegenstand einer besondern Auseinandersetzung oder deutlichen Ableitung gemacht. Sondern, so oft er es braucht, zieht er es sogleich herbei durch den Schluß, daß die Erscheinung, also die sichtbare Welt, doch einen Grund, eine intelligibele Ursache, die nicht Erscheinung wäre und daher zu keiner möglichen Erfahrung gehöre, haben müsse. Dies thut er, nachdem er unablässig eingeschärft hat, die Kategorien, also auch die der Kausalität, hätten einen durchaus nur auf mögliche Erfahrung beschränkten Gebrauch, wären bloße Formen des Verstandes, welche dienten, die Erscheinungen der Sinnenwelt zu buchstabiren, über welche hinaus sie hingegen gar keine Bedeutung hätten u.s.w., daher er ihre Anwendung auf Dinge jenseit der Erfahrung aufs strengste verpönt und aus der Verletzung dieses Gesetzes, mit Recht, allen frühem Dogmatismus erklärt und zugleich umwirft. Die unglaubliche Inkonsequenz, welche Kant hierin begieng, wurde von seinen ersten Gegnern bald bemerkt und zu Angriffen benutzt, denen seine Philosophie keinen Widerstand leisten konnte. Denn allerdings wenden wir zwar völlig a priori und vor aller Erfahrung das Gesetz der Kausalität an auf die in unsern Sinnesorganen empfundenen Veränderungen; aber gerade darum ist dasselbe eben so subjektiven Ursprungs, wie diese Empfindungen selbst, führt also nicht zum Dinge an sich. Die Wahrheit ist, daß man auf dem Wege der Vorstellung nie über die Vorstellung hinaus kann: sie ist ein geschlossenes Ganzes und hat in ihren eigenen Mitteln keinen Faden, der zu dem von ihr toto genere verschiedenen Wesen des Dinges an sich führt. Wären wir bloß vorstellende Wesen, so wäre der Weg zum Dinge an sich uns gänzlich abgeschlossen. Nur die andere Seite unsers eigenen Wesens kann uns Aufschluß geben über die andere Seite des Wesens an sich der Dinge. Diesen Weg habe ich eingeschlagen. Einige Beschönigung gewinnt Kants von ihm selbst verpönter Schluß auf das Ding an sich jedoch durch Folgendes. Er setzt nicht, wie es die Wahrheit verlangte, einfach und schlechthin das Objekt als bedingt durch das Subjekt, und umgekehrt; sondern nur die Art und Weise der Erscheinung des Objekts als bedingt durch die Erkenntnißformen des Subjekts, welche daher auch a priori zum Bewußtsein kommen. Was nun aber, im Gegensatz hievon, bloß a posteriori erkannt wird, ist ihm schon unmittelbare Wirkung des Dinges an sich, welches