Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer
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Es ist gewiß keines der geringsten Verdienste Friedrichs des Großen, daß unter seiner Regierung Kant sich entwickeln konnte und die »Kritik der reinen Vernunft« veröffentlichen durfte. Schwerlich würde unter irgend einer andern Regierung ein besoldeter Professor so etwas gewagt haben. Schon dem Nachfolger des großen Königs mußte Kant versprechen, nicht mehr zu schreiben.
Der Kritik des ethischen Theils der Kantischen Philosophie könnte ich mich hier entübrigt erachten, sofern ich eine solche ausführlicher und gründlicher, 22 Jahre später, als die gegenwärtige, geliefert habe, in den »beiden Grundproblemen der Ethik«. Indessen kann das aus der ersten Auflage hier Beibehaltene, welches schon der Vollständigkeit wegen nicht wegfallen durfte, als zweckmäßige Prolusion zu jener spätem und viel gründlichem Kritik dienen, auf welche ich demnach, in der Hauptsache, den Leser verweise.
Gemäß der Liebe zur architektonischen Symmetrie mußte die theoretische Vernunft auch einen Pendant haben. Der intellectus practicus der Scholastik, welcher wieder abstammt vom nous praktikos des Aristoteles (De anima, III, 10, und Polit., VII, c. 14: ho men gar praktikos esti logos, ho de theôrêtikos), giebt das Wort an die Hand. Jedoch wird hier etwas ganz Anderes damit bezeichnet, nicht wie dort die auf Technik gerichtete Vernunft; sondern hier tritt die praktische Vernunft auf als Quell und Ursprung der unleugbaren ethischen Bedeutsamkeit des menschlichen Handelns, so wie auch aller Tugend, alles Edelmuths und jedes erreichbaren Grades von Heiligkeit. Dieses Alles demnach käme aus bloßer Vernunft und erforderte nichts, als diese. Vernünftig handeln und tugendhaft, edel, heilig handeln wäre Eines und das Selbe: und eigennützig, boshaft, lasterhaft handeln wäre bloß unvernünftig handeln. Inzwischen haben alle Zeiten, alle Völker, alle Sprachen Beides immer sehr unterschieden und gänzlich für zweierlei gehalten, wie auch noch bis auf den heutigen Tag alle Die thun, welche von der Sprache der neuem Schule nichts wissen, d.h. die ganze Welt mit Ausnahme eines kleinen Häufchens Deutscher Gelehrten: jene alle verstehn unter einem tugendhaften Wandel und einem vernünftigen Lebenslauf durchaus zwei ganz verschiedene Dinge. Daß der erhabene Urheber der Christlichen Religion, dessen Lebenslauf uns als das Vorbild aller Tugend aufgestellt wird, der allervernünftigste Mensch gewesen wäre, würde man eine sehr unwürdige, wohl gar eine blasphemirende Redensart nennen, und fast eben so auch, wenn gesagt würde, daß seine Vorschriften nur die beste Anweisung zu einem ganz vernünftigen Leben enthielten. Ferner, daß, wer diesen Vorschriften gemäß, statt an sich und seine eigenen zukünftigen Bedürfnisse zum voraus zu denken, allemal nur dem großem gegenwärtigen Mangel Anderer abhilft, ohne weitere Rücksicht; ja, seine ganze Habe den Armen schenkt, um dann, aller Hülfsmittel entblößt, hinzugehn, die Tugend, welche er selbst geübt, auch Andern zu predigen; dies verehrt Jeder mit Recht: wer aber wagt es als den Gipfel der Vernünftigkeit zu preisen? Und endlich, wer lobt es als eine überaus vernünftige That, daß Arnold von Winkelried, mit überschwänglichem Edelmuth, die feindlichen Speere zusammenfaßte, gegen seinen eigenen Leib, um seinen Landsleuten Sieg und Rettung zu verschaffen? – Hingegen, wenn wir einen Menschen sehn, der von Jugend an, mit seltener Ueberlegung darauf bedacht ist, sich die Mittel zu einem sorgenfreien Auskommen, zur Unterhaltung von Weib und Kindern, zu einem guten Namen bei den Leuten, zu äußerer Ehre und Auszeichnung zu verschaffen, und dabei sich nicht durch den Reiz gegenwärtiger Genüsse, oder den Kitzel dem Uebermuth der Mächtigen zu trotzen, oder den Wunsch erlittene Beleidigungen oder unverdiente Demüthigung zu rächen, oder die Anziehungskraft unnützer ästhetischer oder philosophischer Geistesbeschäftigung und Reisen nach sehenswerthen Ländern, – der sich durch alles Dieses und dem Aehnliches nicht irre machen, noch verleiten läßt, jemals sein Ziel aus den Augen zu verlieren; sondern mit größter Konsequenz einzig darauf hinarbeitet: wer wagt es zu leugnen, daß ein solcher Philister ganz außerordentlich vernünftig sei? sogar auch dann noch, wenn er sich einige nicht lobenswerthe, aber gefahrlose Mittel erlaubt hätte. Ja, noch mehr: wenn ein Bösewicht mit überlegter Verschmitztheit, nach einem wohldurchdachten Plan, sich zu Reichthümern, zu Ehren, ja zu Thronen und Kronen verhilft, dann mit der feinsten Arglist benachbarte Staaten umstrickt, sie einzeln überwältigt und nun zum Welteroberer wird, dabei sich nicht irre machen läßt durch irgend eine Rücksicht auf Recht, oder Menschlichkeit, sondern mit scharfer Konsequenz Alles zertritt und zermalmt, was seinem Plane entgegensteht, ohne Mitleid Millionen in Unglück jeder Art, Millionen in Blut und Tod stürzt, jedoch seine Anhänger und Helfer königlich belohnt und jederzeit schützt, nichts jemals vergessend, und dann so sein Ziel erreicht: wer sieht nicht ein, daß ein solcher überaus vernünftig zu Werk gehn mußte, daß, wie zum Entwurf der Pläne ein gewaltiger Verstand, so zu ihrer Ausführung vollkommene Herrschaft der Vernunft, ja recht eigentlich praktische Vernunft erfordert war? – Oder sind etwan auch die Vorschriften, welche der kluge und konsequente, überlegte und weitsehende Machiavelli dem Fürsten giebt, unvernünftig?110
Wie Bosheit mit Vernunft sehr gut zusammen besteht, ja erst in dieser Vereinigung recht furchtbar ist; so findet sich umgekehrt auch bisweilen Edelmuth verbunden mit Unvernunft. Dahin kann man die That des Koriolanus rechnen, der, nachdem er Jahrelang alle seine Kraft aufgewendet hatte, um sich Rache an den Römern zu verschaffen, jetzt, nachdem die Zeit endlich gekommen ist, sich durch das Flehn des Senats und das Weinen seiner Mutter und Gattin erweichen läßt, die so lange und so mühsam vorbereitete Rache aufgiebt, ja sogar, indem er dadurch den gerechten Zorn der Volsker auf sich ladet, für jene Römer stirbt, deren Undankbarkeit er kennt und mit so großer Anstrengung strafen gewollt hat. – Endlich, der Vollständigkeit wegen sei es erwähnt, kann Vernunft sehr wohl mit Unverstand sich vereinigen. Dies ist der Fall, wann eine dumme Maxime gewählt, aber mit Konsequenz durchgeführt wird. Ein Beispiel der Art gab die Prinzessin Isabella, Tochter Philipp's II., welche gelobte, so lange Ostende nicht erobert worden, kein reines Hemd anzuziehn, und Wort hielt, drei Jahre hindurch. Ueberhaupt gehören alle Gelübde hieher, deren Ursprung allemal Mangel an Einsicht gemäß dem Gesetz der Kausalität, d.h. Unverstand ist; nichts desto weniger ist es vernünftig, sie zu erfüllen, wenn man ein Mal von so beschränktem Verstande ist, sie zu geloben.
Dem Angeführten entsprechend sehn wir auch die noch dicht vor Kant auftretenden Schriftsteller das Gewissen, als den Sitz der moralischen Regungen, mit der Vernunft in Gegensatz stellen: so Rousseau im vierten Buche des Émile: La raison nous trompe, mais la conscience ne trompe jamais; und etwas weiterhin: il est impossible d'expliquer par les conséquences de notre nature le principe immédiat de la conscience indépendant de la raison même. Noch weiter: Mes sentimens naturels parlaient pour l'intérêt commun, ma raison rapportait tout à moi. – – – On a beau vouloir établir la vertu par la raison seule, quelle solide base peut-on lui donner? – In den Rêveries du promeneur, prom. 4ème, sagt er: Dans toutes les questions de morale difficiles je me suis toujours bien trouvé de les résoudre par le dictamen de la conscience, plutôt que par les lumières de la raison. – Ja, schon Aristoteles sagt ausdrücklich (Eth. magna, I, 5), daß die Tugenden ihren Sitz im alogô moriô tês psychês (in parte irrationali animi) haben und nicht im logos echonti (in parte rationali). Diesem gemäß sagt Stobäos (Ecl., II, c. 7), von den Peripatetikern redend: Tên êthikên aretên hypolambanousi perito alogon meros gignesthai tês psychês, epeidê dimerê pros tên parousan theôrian hypethento