Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer
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Die Rechtslehre ist eines der spätesten Werke Kants und ein so schwaches, daß, obgleich ich sie gänzlich mißbillige, ich eine Polemik gegen dieselbe für überflüssig halte, da sie, gleich als wäre sie nicht das Werk dieses großen Mannes, sondern das Erzeugniß eines gewöhnlichen Erdensohnes, an ihrer eigenen Schwäche natürlichen Todes sterben muß. Ich begebe mich also in Hinsicht auf die Rechtslehre des negativen Verfahrens, und beziehe mich auf das positive, also auf die kurzen Grundzüge derselben, die in unserm vierten Buche aufgestellt sind. Bloß ein Paar allgemeine Bemerkungen über Kants Rechtslehre mögen hier stehn. Die Fehler, welche ich, als Kanten überall anhängend, bei der Betrachtung der »Kritik der reinen Vernunft« gerügt habe, finden sich in der Rechtslehre in solchem Uebermaaß, daß man oft eine satirische Parodie der Kantischen Manier zu lesen, oder doch wenigstens einen Kantianer zu hören glaubt. Zwei Hauptfehler sind aber diese. Er will (und Viele haben es seitdem gewollt) die Rechtslehre von der Ethik scharf trennen, dennoch aber erstere nicht von positiver Gesetzgebung, d.h. willkürlichem Zwange, abhängig machen, sondern den Begriff des Rechts rein und a priori für sich bestehn lassen. Allein dieses ist nicht möglich; weil das Handeln, außer seiner ethischen Bedeutsamkeit und außer der physischen Beziehung auf Andere und dadurch auf äußern Zwang, gar keine dritte Ansicht auch nur möglicherweise zuläßt. Folglich wenn er sagt: »Rechtspflicht ist die, welche erzwungen werden kann«; so ist dieses Kann entweder physisch zu verstehn: dann ist alles Recht positiv und willkürlich, und wieder auch alle Willkür, die sich durchsetzen läßt, ist Recht: oder das Kann ist ethisch zu verstehn, und wir sind wieder auf dem Gebiet der Ethik. Bei Kant schwebt folglich der Begriff des Rechts zwischen Himmel und Erde, und hat keinen Boden, auf dem er fußen kann: bei mir gehört er in die Ethik. Zweitens ist seine Bestimmung des Begriffs Recht ganz negativ und dadurch ungenügend111: »Recht ist das, was sich mit dem Zusammenbestehn der Freiheiten der Individuen neben einander nach einem allgemeinen Gesetze verträgt.« – Freiheit (hier die empirische, d. i. physische, nicht die moralische des Willens) bedeutet das Nichtgehindertseyn, ist also eine bloße Negation: ganz die selbe Bedeutung hat das Zusammenbestehn wieder: wir bleiben also bei lauter Negationen und erhalten keinen positiven Begriff, ja erfahren gar nicht, wovon eigentlich die Rede ist, wenn wir es nicht schon anderweitig wissen. – In der Ausführung entwickeln sich nachher die verkehrtesten Ansichten, wie die, daß es im natürlichen Zustande, d.h. außer dem Staat, gar kein Recht auf Eigenthum gebe, welches eigentlich heißt, daß alles Recht positiv sei, und wodurch das Naturrecht auf das positive gestützt wird, statt daß der Fall umgekehrt seyn sollte; ferner die Begründung der rechtlichen Erwerbung durch Besitzergreifung; die ethische Verpflichtung zur Errichtung der bürgerlichen Verfassung; der Grund des Strafrechts u.s.w., welches alles ich, wie gesagt, gar keiner besondern Widerlegung werth achte. Inzwischen haben auch diese Kantischen Irrthümer einen sehr nachtheiligen Einfluß bewiesen, längst erkannte und ausgesprochene Wahrheiten wieder verwirrt und verdunkelt, seltsame Theorien, viel Schreibens und Streitens veranlaßt. Von Bestand kann das freilich nicht seyn, und schon sehn wir, wie Wahrheit und gesunde Vernunft sich wieder Bahn machen: von letzterer zeugt, im Gegensatz so mancher verschrobenen Theorie, besonders J. C. F. Meister's Naturrecht, obgleich ich dieses darum nicht als Muster erreichter Vollkommenheit ansehe.
Auch über die Kritik der Urtheilskraft kann ich, nach dem Bisherigen, sehr kurz seyn. Man muß es bewundern, wie Kant, dem die Kunst wohl sehr fremd geblieben ist, und der, allem Anschein nach, wenig Empfänglichkeit für das Schöne hatte, ja der zudem wahrscheinlich nie Gelegenheit gehabt, ein bedeutendes Kunstwerk zu sehn, und der endlich sogar von seinem, sowohl im Jahrhundert als in der Nation, allein ihm an die Seite zu stellenden Riesenbruder Goethe keine Kunde gehabt zu haben scheint, – es ist, sage ich, zu bewundern, wie bei diesem Allen Kant sich um die philosophische Betrachtung der Kunst und des Schönen ein großes und bleibendes Verdienst erwerben konnte. Dieses Verdienst liegt darin, daß, so viel auch über das Schöne und die Kunst waren Betrachtungen angestellt worden, man doch eigentlich die Sache immer nur vom empirischen Standpunkt aus betrachtet hatte und auf Thatsachen gestützt untersuchte, welche Eigenschaft das schön genannte Objekt irgend einer Art von andern Objekten der selben Art unterschied. Auf diesem Wege gelangte man Anfangs zu ganz speciellen Sätzen, dann zu allgemeineren. Man suchte das ächte Kunstschöne vom unächten zu sondern und Merkmale dieser Aechtheit aufzufinden, die dann eben auch wieder als Regeln dienen konnten. Was als schön gefalle, was nicht, was daher nachzuahmen, anzustreben, was zu vermeiden sei, welche Regeln, wenigstens negativ, festzustellen, kurz, welches die Mittel zur Erregung des ästhetischen Wohlgefallens, d.h. welches die im Objekt liegenden Bedingungen hiezu seien, das war fast ausschließlich das Thema aller Betrachtungen über die Kunst. Diesen Weg hatte Aristoteles eingeschlagen, und auf demselben finden wir noch in der neuesten Zeit Home, Burke, Winckelmann, Lessing, Herder u.a.m. Zwar führte die Allgemeinheit der aufgefundenen ästhetischen Sätze zuletzt auch auf das Subjekt zurück, und man merkte, daß wenn die Wirkung in diesem gehörig bekannt wäre, man alsdann auch die im Objekt liegende Ursache derselben würde a priori bestimmen können, wodurch allein diese Betrachtung zur Sicherheit einer Wissenschaft gelangen könnte. Dieses veranlaßte hin und wieder psychologische Erörterungen, besonders aber stellte in dieser Absicht Alexander Baumgarten eine allgemeine Aesthetik alles Schönen auf, wobei er ausgieng vom Begriff der Vollkommenheit der sinnlichen, also anschaulichen Erkenntniß. Mit der Aufstellung dieses Begriffs ist bei ihm aber auch der subjektive Theil sogleich abgethan, und es wird zum objektiven und dem sich darauf beziehenden Praktischen geschritten. – Kanten aber war auch hier das Verdienst aufbehalten, die Anregung selbst, in Folge welcher wir das sie veranlassende Objekt schön nennen, ernstlich und tief zu untersuchen, um, wo möglich, die Bestandtheile und Bedingungen derselben in unserm Gemüth aufzufinden. Seine Untersuchung nahm daher ganz die subjektive Richtung. Dieser Weg war offenbar der richtige: weil, um eine in ihren Wirkungen gegebene Erscheinung zu erklären, man, um die Beschaffenheit der Ursache gründlich zu bestimmen, erst diese Wirkung selbst genau kennen muß. Viel weiter jedoch, als den rechten Weg gezeigt und durch einen einstweiligen Versuch ein Beispiel gegeben zu haben, wie man ungefähr ihn gehn müsse, erstreckt sich Kants Verdienst hierin eigentlich nicht. Denn was er gab, kann nicht als objektive Wahrheit und realer Gewinn betrachtet werden. Er gab die Methode dieser Untersuchung an, brach die Bahn, verfehlte übrigens das Ziel.
Bei der Kritik der ästhetischen Urtheilskraft wird zuvörderst sich uns die Bemerkung aufdringen, daß er die Methode, welche seiner ganzen Philosophie eigen ist und welche ich oben ausführlich betrachtet habe, beibehielt: ich meine das Ausgehn von der abstrakten Erkenntniß, zur Ergründung der anschaulichen, so daß ihm jene gleichsam als camera obscura dient, um diese darin aufzufangen und zu übersehn. Wie, in der Kritik der reinen Vernunft, die Formen der Urtheile ihm Aufschluß geben sollten über die Erkenntniß unserer ganzen anschaulichen Welt; so geht er auch in dieser Kritik der ästhetischen Urtheilskraft nicht vom Schönen selbst, vom anschaulichen, unmittelbaren Schönen aus, sondern vom Urtheil über das Schöne, dem sehr häßlich sogenannten Geschmacksurtheil. Dieses ist ihm sein Problem. Besonders erregt seine Aufmerksamkeit der Umstand, daß ein solches Urtheil offenbar die Aussage eines Vorgangs im Subjekt ist, dabei aber doch so allgemein gültig, als beträfe es eine Eigenschaft des Objekts. Dies hat ihn frappirt, nicht das Schöne selbst. Er geht immer nur von den Aussagen Anderer aus, vom Urtheil über das Schöne, nicht vom Schönen selbst. Es ist daher, als ob er es ganz und gar nur von Hörensagen, nicht unmittelbar kennte. Fast eben so könnte ein höchst verständiger Blinder, aus genauen Aussagen, die er über die Farben hörte, eine Theorie derselben kombiniren. Und wirklich dürfen wir Kants Philosopheme über das Schöne beinahe nur in solchem Verhältniß betrachten. Dann werden wir finden, daß seine Theorie sehr sinnreich ist, ja, daß hin und wieder treffende und wahre allgemeine Bemerkungen gemacht sind; aber seine eigentliche Auflösung des Problems ist so sehr unstatthaft, bleibt so tief unter der Würde des Gegenstandes, daß es uns nicht einfallen kann, sie für objektive Wahrheit zu halten; daher ich selbst einer Widerlegung derselben mich überhoben achte und auch hier auf den positiven Theil meiner Schrift verweise.
In Hinsicht auf die Form seines ganzen Buches ist zu bemerken, daß sie aus dem Einfall entsprungen ist,