zur Entfaltung der vielseitigen Idee der Menschheit. Sogar erregt die Flüchtigkeit des Augenblicks, welchen die Kunst in einem solchen Bilde (heut zu Tage genre-Bild genannt) fixirt hat, eine leise, eigenthümliche Rührung: denn die flüchtige Welt, welche sich unaufhörlich umgestaltet, in einzelnen Vorgängen, die doch das Ganze vertreten, festzuhalten im dauernden Bilde, ist eine Leistung der Malerkunst, durch welche sie die Zeit selbst zum Stillstande zu bringen scheint, indem sie das Einzelne zur Idee seiner Gattung erhebt. Endlich haben die geschichtlichen und nach außen bedeutenden Vorwürfe der Malerei oft den Nachtheil, daß gerade das Bedeutsame derselben nicht anschaulich darstellbar ist, sondern hinzugedacht werden muß. In dieser Hinsicht muß überhaupt die nominale Bedeutung des Bildes von der realen unterschieden werden: jene ist die äußere, aber nur als Begriff hinzukommende Bedeutung; diese die Seite der Idee der Menschheit, welche durch das Bild für die Anschauung offenbar wird. Z.B. jene sei Moses von der Aegyptischen Prinzessin gefunden; ein für die Geschichte höchst wichtiger Moment: die reale Bedeutung hingegen, das der Anschauung wirklich Gegebene, ist ein Findelkind von einer vornehmen Frau aus seiner schwimmenden Wiege gerettet: ein Vorfall, der sich öfter ereignet haben mag. Das Kostüm allein kann hier jenen bestimmten historischen Fall dem Gelehrten kenntlich machen; aber das Kostüm ist nur für die nominale Bedeutung gültig, für die reale aber gleichgültig: denn diese letztere kennt nur den Menschen als solchen, nicht die willkürlichen Formen. Aus der Geschichte genommene Vorwürfe haben vor den aus der bloßen Möglichkeit genommenen und daher nicht individuell, sondern nur generell zu benennenden, nichts voraus: denn das eigentlich Bedeutsame in jenen ist doch nicht das Individuelle, nicht die einzelne Begebenheit als solche, sondern das Allgemeine in ihr, die Seite der Idee der Menschheit, die sich durch sie ausspricht. Andererseits sind aber auch bestimmte historische Gegenstände deshalb keineswegs zu verwerfen: nur geht die eigentlich künstlerische Ansicht derselben, sowohl im Maler als im Betrachter, nie auf das individuell Einzelne in ihnen, was eigentlich das Historische ausmacht, sondern auf das Allgemeine, das sich darin ausspricht, auf die Idee. Auch sind nur solche historische Gegenstände zu wählen, wo die Hauptsache wirklich darstellbar ist und nicht bloß hinzugedacht werden muß: sonst entfernt sich die nominale Bedeutung zu sehr von der realen: das bei dem Bilde bloß Gedachte wird das Wichtigste und thut dem Angeschauten Abbruch. Wenn schon auf der Bühne es nicht taugt, daß (wie im französischen Trauerspiele) die Hauptsache hinter der Scene vorgeht; so ist es im Bilde offenbar ein noch weit größerer Fehler. Entschieden nachtheilig wirken historische Vorwürfe nur dann, wann sie den Maler auf ein willkürlich und nicht nach Kunstzwecken, sondern nach andern gewähltes Feld beschränken, vollends aber wann dieses Feld an malerischen und bedeutenden Gegenständen arm ist, wenn es z.B. die Geschichte eines kleinen, abgesonderten, eigensinnigen, hierarchisch d.h. durch Wahn beherrschten, von den gleichzeitigen großen Völkern des Orients und Occidents verachteten Winkelvolks ist, wie die Juden. – Da ein Mal zwischen uns und allen alten Völkern die Völkerwanderung so liegt, wie zwischen der jetzigen Erdoberfläche und jener, deren Organisationen sich uns nur versteinert zeigen, der einstige Wechsel des Meeresbettes; so ist es überhaupt als ein großes Unglück anzusehn, daß das Volk, dessen gewesene Kultur der unserigen hauptsächlich zur Unterlage dienen sollte, nicht etwan die Inder, oder die Griechen, oder auch nur die Römer waren, sondern gerade diese Juden. Besonders aber war es für die genialen Maler Italiens, im 15. und 16. Jahrhundert, ein schlimmer Stern, daß sie in dem engen Kreise, an den sie für die Wahl der Vorwürfe willkürlich gewiesen waren, zu Miseren aller Art greifen mußten: denn das Neue Testament ist, seinem historischen Theile nach, für die Malerei fast noch ungünstiger als das Alte, und die darauf folgende Geschichte der Märtyrer und Kirchenlehrer gar ein unglücklicher Gegenstand. Jedoch hat man von den Bildern, deren Gegenstand das Geschichtliche, oder Mythologische des Judenthums und Christenthums ist, gar sehr diejenigen zu unterscheiden, in welchen der eigentliche, d.h. der ethische Geist des Christenthums für die Anschauung offenbart wird, durch Darstellung von Menschen, welche dieses Geistes voll sind. Diese Darstellungen sind in der That die höchsten und bewunderungswürdigsten Leistungen der Malerkunst: auch sind sie nur den größten Meistern dieser Kunst, besonders dem Raphael und dem Correggio, diesem zumal in seinen früheren Bildern, gelungen. Gemälde dieser Art sind eigentlich gar nicht den historischen beizuzählen: denn sie stellen meistens keine Begebenheit, keine Handlung dar; sondern sind bloße Zusammenstellungen von Heiligen, dem Erlöser selbst, oft noch als Kind, mit seiner Mutter, Engeln u.s.w. In ihren Mienen, besonders den Augen, sehn wir den Ausdruck, den Wiederschein, der vollkommensten Erkenntniß, derjenigen nämlich, welche nicht auf einzelne Dinge gerichtet ist, sondern die Ideen, also das ganze Wesen der Welt und des Lebens, vollkommen aufgefaßt hat, welche Erkenntniß in ihnen auf den Willen zurückwirkend, nicht, wie jene andere, Motive für denselben liefert, sondern im Gegentheil ein Quietiv alles Wollens geworden ist, aus welchem die vollkommene Resignation, die der Innerste Geist des Christenthums wie der Indischen Weisheit ist, das Aufgeben alles Wollens, die Zurückwendung, Aufhebung des Willens und mit ihm des ganzen Wesens dieser Welt, also die Erlösung, hervorgegangen ist. So sprachen jene ewig preiswürdigen Meister der Kunst durch ihre Werke die höchste Weisheit anschaulich aus. Und hier ist der Gipfel aller Kunst, welche, nachdem sie den Willen, in seiner adäquaten Objektität, den Ideen, durch alle Stufen verfolgt hat, von den niedrigsten, wo ihn Ursachen, dann wo ihn Reize und endlich wo ihn Motive so mannigfach bewegen und sein Wesen entfalten, nunmehr endigt mit der Darstellung seiner freien Selbstaufhebung durch das eine große Quietiv, welches ihm aufgeht aus der vollkommensten Erkenntniß seines eigenen Wesens65.
Allen unsern bisherigen Betrachtungen über die Kunst liegt überall die Wahrheit zum Grunde, daß das Objekt der Kunst, dessen Darstellung der Zweck des Künstlers ist, dessen Erkenntniß folglich seinem Werk als Keim und Ursprung vorhergehn muß, – eine Idee, in Plato's Sinne, ist und durchaus nichts Anderes: nicht das einzelne Ding, das Objekt der gemeinen Auffassung; auch nicht der Begriff, das Objekt des vernünftigen Denkens und der Wissenschaft. Obgleich Idee und Begriff etwas Gemeinsames haben, darin, daß Beide als Einheiten eine Vielheit wirklicher Dinge vertreten; so wird doch die große Verschiedenheit Beider, aus dem was im ersten Buch über den Begriff und im gegenwärtigen über die Idee gesagt ist, deutlich und einleuchtend genug geworden seyn. Daß jedoch auch schon Plato diesen Unterschied rein aufgefaßt habe, will ich keineswegs behaupten: vielmehr sind manche seiner Beispiele von Ideen und seiner Erörterungen über dieselben bloß auf Begriffe anwendbar. Wir lassen inzwischen dieses auf sich beruhen und gehn unsern eigenen Weg, erfreut, so oft wir die Spur eines großen und edlen Geistes betreten, jedoch nicht seine Fußstapfen, sondern unser Ziel verfolgend. – Der Begriff ist abstrakt, diskursiv, innerhalb seiner Sphäre völlig unbestimmt, nur ihrer Gränze nach bestimmt, jedem der nur Vernunft hat erreichbar und faßlich, durch Worte ohne weitere Vermittelung mittheilbar, durch seine Definition ganz zu erschöpfen. Die Idee dagegen, allenfalls als adäquater Repräsentant des Begriffs zu definiren, ist durchaus anschaulich und, obwohl eine unendliche Menge einzelner Dinge vertretend, dennoch durchgängig bestimmt: vom Individuo als solchem wird sie nie erkannt, sondern nur von Dem, der sich über alles Wollen und alle Individualität zum reinen Subjekt des Erkennens erhoben hat: also ist sie nur dem Genius und sodann Dem, welcher durch, meistens von den Werken des Genius veranlaßte, Erhöhung seiner reinen Erkenntnißkraft, in einer genialen Stimmung ist, erreichbar: daher ist sie nicht schlechthin, sondern nur bedingt mittheilbar, indem die aufgefaßte und im Kunstwerk wiederholte Idee jeden nur nach Maaßgabe seines eigenen intellektualen Werthes anspricht; weshalb gerade die vortrefflichsten Werke jeder Kunst, die edelsten Erzeugnisse des Genius, der stumpfen Majorität der Menschen ewig verschlossene Bücher bleiben müssen und ihr unzugänglich sind, durch eine weite Kluft von ihr getrennt, gleich wie der Umgang der Fürsten dem Pöbel unzugänglich ist. Zwar lassen auch die Plattesten die anerkannt großen Werke auf Auktorität gelten, um nämlich ihre eigene Schwäche nicht zu verrathen: doch bleiben sie im Stillen stets bereit, ihr Verdammungsurtheil darüber auszusprechen, sobald man sie hoffen läßt, daß sie es können, ohne sich bloß zu stellen, wo dann ihr lang verhaltener