Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer
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»Und ob's auch der Mücke den Flügel versengt,
Den Schädel und all sein Gehirnchen zersprengt;
Licht bleibet doch Licht!
Und wenn auch die grimmigste Wespe mich sticht,
Ich laß' es doch nicht.«
Hieher gehört ferner jener Grabstein mit dem ausgeblasenen, dampfenden Licht und der Umschrift:
»Wann's aus ist, wird es offenbar,
Ob's Talglicht, oder Wachslicht war.« –
Dieser Art endlich ist ein altdeutscher Stammbaum, auf welchem der letzte Sprößling der hoch hinaufreichenden Familie den Entschluß, sein Leben in gänzlicher Enthaltsamkeit und Keuschheit zu Ende zu führen und daher sein Geschlecht aussterben zu lassen, dadurch ausdrückte, daß er selbst an der Wurzel des vielzweigichten Baumes abgebildet, mit einer Scheere den Baum über sich abschneidet. Dahin gehören überhaupt die oben erwähnten, gewöhnlich Embleme genannten Sinnbilder, welche man auch bezeichnen könnte als kurze gemalte Fabeln mit ausgesprochener Moral. – Allegorien dieser Art sind immer den poetischen, nicht den malerischen beizuzählen und eben dadurch gerechtfertigt: auch bleibt hier die bildliche Ausführung immer Nebensache, und es wird von ihr nicht mehr gefordert, als daß sie die Sache nur kenntlich darstelle. Wie aber in der bildenden Kunst, so auch in der Poesie, geht die Allegorie in das Symbol über, wenn zwischen dem anschaulich Vorgeführten und dem damit bezeichneten Abstrakten kein anderer, als willkürlicher Zusammenhang ist. Weil eben alles Symbolische im Grunde auf Verabredung beruht, so hat unter andern Nachtheilen das Symbol auch den, daß seine Bedeutung mit der Zeit vergessen wird und es dann ganz verstummt: wer würde wohl, wenn man es nicht wüßte, errathen, warum der Fisch Symbol des Christentums ist? Nur ein Champollion: denn es ist durch und durch eine phonetische Hieroglyphe. Daher steht jetzt als poetische Allegorie die Offenbarung des Johannes ungefähr so da, wie die Reliefs mit magnus Deus sol Mithra, an denen man noch immer auslegt.68
§ 51
Wenn wir nun mit unsern bisherigen Betrachtungen über die Kunst im Allgemeinen von den bildenden Künsten uns zur Poesie wenden; so werden wir nicht zweifeln, daß auch sie die Absicht hat, die Ideen, die Stufen der Objektivation des Willens, zu offenbaren und sie mit der Deutlichkeit und Lebendigkeit, in welcher das dichterische Gemüth sie auffaßte, dem Hörer mitzutheilen. Ideen sind wesentlich anschaulich: wenn daher in der Poesie das unmittelbar durch Worte Mitgetheilte nur abstrakte Begriffe sind; so ist doch offenbar die Absicht, in den Repräsentanten dieser Begriffe den Hörer die Ideen des Lebens anschauen zu lassen, welches nur durch Beihülfe seiner eigenen Phantasie geschehn kann. Um aber diese dem Zweck entsprechend in Bewegung zu setzen, müssen die abstrakten Begriffe, welche das unmittelbare Material der Poesie wie der trockensten Prosa sind, so zusammengestellt werden, daß ihre Sphären sich dergestalt schneiden, daß keiner in seiner abstrakten Allgemeinheit beharren kann; sondern statt seiner ein anschaulicher Repräsentant vor die Phantasie tritt, den nun die Worte des Dichters immer weiter nach seiner Absicht modificiren. Wie der Chemiker aus völlig klaren und durchsichtigen Flüssigkeiten, indem er sie vereinigt, feste Niederschläge erhält; so versteht der Dichter aus der abstrakten, durchsichtigen Allgemeinheit der Begriffe, durch die Art wie er sie verbindet, das Konkrete, Individuelle, die anschauliche Vorstellung, gleichsam zu fällen. Denn nur anschaulich wird die Idee erkannt: Erkenntniß der Idee ist aber der Zweck aller Kunst. Die Meisterschaft in der Poesie, wie in der Chemie, macht fähig, allemal gerade den Niederschlag zu erhalten, welchen man eben beabsichtigt. Diesem Zweck dienen die vielen Epitheta in der Poesie, durch welche die Allgemeinheit jedes Begriffes eingeschränkt wird, mehr und mehr, bis zur Anschaulichkeit. Homer setzt fast zu jedem Hauptwort ein Beiwort, dessen Begriff die Sphäre des erstem Begriffes schneidet und sogleich beträchtlich vermindert, wodurch er der Anschauung schon so viel näher kommt: z.B.
En d' epes' Ôkeanô lampron phaos êelioio, Helkon nykta melainan eti zeidôron arouran. (Occidit vero in Oceanum splendidum lumen solis, Trahens noctem nigram super almam terram.)
Und
»Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht«, –
schlägt aus wenigen Begriffen die ganze Wonne des südlichen Klimas vor die Phantasie nieder.
Ein ganz besonderes Hülfsmittel der Poesie sind Rhythmus und Reim. Von ihrer unglaublich mächtigen Wirkung weiß ich keine andere Erklärung zu geben, als daß unsere an die Zeit wesentlich gebundenen Vorstellungskräfte hiedurch eine Eigenthümlichkeit erhalten haben, vermöge welcher wir jedem regelmäßig wiederkehrenden Geräusch innerlich folgen und gleichsam mit einstimmen. Dadurch werden nun Rhythmus und Reim theils ein Bindemittel unserer Aufmerksamkeit, indem wir williger dem Vortrag folgen, theils entsteht durch sie in uns ein blindes, allem Urtheil vorhergängiges Einstimmen in das Vorgetragene, wodurch dieses eine gewisse emphatische, von allen Gründen unabhängige Ueberzeugungskraft erhält.
Vermöge der Allgemeinheit des Stoffes, dessen sich die Poesie, um die Ideen mitzutheilen, bedient, also der Begriffe, ist der Umfang ihres Gebietes sehr groß. Die ganze Natur, die Ideen aller Stufen sind durch sie darstellbar, indem sie, nach Maaßgabe der mitzutheilenden Idee, bald beschreibend, bald erzählend, bald unmittelbar dramatisch darstellend verfährt. Wenn aber, in der Darstellung der niederigeren Stufen der Objektität des Willens, die bildende Kunst sie meistens übertrifft, weil die erkenntnißlose und auch die bloß thierische Natur in einem einzigen wohlgefaßten Moment fast ihr ganzes Wesen offenbart; so ist dagegen der Mensch, soweit er sich nicht durch seine bloße Gestalt und Ausdruck der Miene, sondern durch eine Kette von Handlungen und sie begleitender Gedanken und Affekte ausspricht, der Hauptgegenstand der Poesie, der es hierin keine andere Kunst gleich thut, weil ihr dabei die Fortschreitung zu Statten kommt, welche den bildenden Künsten abgeht.
Offenbarung derjenigen Idee, welche die höchste Stufe der Objektität des Willens ist, Darstellung des Menschen in der zusammenhängenden Reihe seiner Bestrebungen und Handlungen ist also der große Vorwurf der Poesie. – Zwar lehrt auch Erfahrung, lehrt auch Geschichte den Menschen kennen; jedoch öfter die Menschen als den Menschen: d.h. sie geben mehr empirische Notizen vom Benehmen der Menschen gegen einander, woraus Regeln für das eigene Verhalten hervorgehn, als daß sie in das innere Wesen des Menschen tiefe Blicke thun ließen. Indessen bleibt auch dieses letztere keineswegs von ihnen ausgeschlossen: Jedoch, so oft es das Wesen der Menschheit selbst ist, das in der Geschichte, oder in der eigenen Erfahrung sich uns aufschließt: so haben wir diese, der Historiker jene schon mit künstlerischen Augen, schon poetisch, d.h. der Idee, nicht der Erscheinung, dem innern Wesen, nicht den Relationen nach aufgefaßt. Unumgänglich ist die eigene Erfahrung Bedingung zum Verständniß der Dichtkunst, wie der Geschichte: denn sie