Gesammelte Werke von Cicero. Марк Туллий Цицерон
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Kap. XXIX. Höre also, mein Lucius, sagte Piso, denn zu Dir richte ich jetzt meine Rede. Aller Werth der Philosophie, sagt Theophrast, besteht in der Gewährung eines glücklichen Lebens; denn von dem Verlangen danach sind wir Alle ergriffen. (§ 87.) Hierüber ist Dein Vetter mit mir einverstanden; es kommt deshalb darauf an, zu ermitteln, ob die Lehre der Philosophen uns dies gewähren kann; denn versprechen thun sie es. Wenn sie nicht diesen Erfolg hätte, weshalb wäre da Plato durch Aegypten gewandert, um von den fremdländischen Priestern sich über die Zahlen und Himmelskörper belehren zu lassen? Weshalb wäre er später nach Tarent zu Archytas gegangen? Weshalb zu den übrigen Pythagoreern, dem Echekrates, Timäus, Akrion in Lokri, wo er, nachdem er die Lehre des Sokrates anschaulich dargelegt hatte, die Lehre der Pythagoreer damit verbinden und das hinzulernen wollte, was Sokrates verschmäht hatte. Weshalb hätte sogar Pythagoras Aegypten durchwandert und die persischen Magier aufgesucht? Weshalb hätte er so viele barbarische Länder zu Fuss durchreist und so viele Meere durchschifft? Weshalb hätte auch Demokrit dies gethan? welcher, mag es wahr sein oder nicht, sich sogar des Augenlichts beraubt haben soll, um seinen Geist nicht von seinen Untersuchungen abzuziehen, jedenfalls aber deshalb sein Vermögen vernachlässigte, seine Felder nicht bestellte und dabei nur nach dem glücklichen Leben forschte? Wenngleich er dasselbe in der Erkenntniss zu finden meinte, so wollte er doch durch diese Erforschung der Natur es erreichen, guten Muths zu sein. Denn er nennt das höchste Gut euthymian und oft auch athambian, d.h. eine von Furcht freie Seele. (§ 88.) Dies klingt zwar erhaben, aber ist nicht erschöpfend; denn er hat nur Weniges über die Tugend gelehrt und auch das nicht deutlich genug; vielmehr ist dies erst später, und zwar zuerst von Sokrates in dieser Stadt geschehen, und dann ist es an diesem Orte hier fortgeführt worden und man hat nicht gezweifelt, dass auf die Tugend alle Hoffnung zu einem guten und damit auch glücklichen Leben gesetzt werden müsse. Zeno nahm dies von den Unsrigen auf und zwar so, wie man bei den Klagen die Formel zu fassen pflegt, »er that dasselbe, nur auf andere Weise«. Du hast dies eben an ihm gebilligt und allenfalls hat er den Widerspruch vermieden, indem er den Dingen andere Namen gab, während wir demselben nicht entgehen. Zeno leugnet, dass des Metellus Leben glücklicher als das des Regulus gewesen, indess sei es doch vorzüglicher gewesen; es sei nicht mehr zu begehren, aber mehr anzunehmen; und wenn man die Wahl habe, sei das Leben des Metellus zu wählen und das des Regulus abzulehnen. Ich nenne das, was er vorzüglicher und mehr zu wählen nennt, das Glücklichere, ohne im Geringsten diesem Leben mehr als die Stoiker zuzusprechen. (§ 89.) Der ganze Unterschied ist nur, dass ich die gewohnten Dinge mit den gewohnten Worten bezeichne, während Jene neue Worte wählen, um dasselbe zu sagen. So wie im Senate immer Einer ist, der einen Dolmetscher braucht, so kann man auch Jene ohne Dolmetscher nicht anhören. Ich nenne alles Naturgemässe ein Gut und das Entgegengesetzte ein Uebel; und nicht ich allein, sondern auch Du, Chrysipp, thust es auf dem Markte und zu Hause; nur in dem Hörsaale thust Du es nicht. Aber wozu? Meinst Du, die Philosophen müssten anders sprechen, wie die übrigen Menschen? Ueber den Werth der Dinge mögen die Gelehrten und Ungelehrten verschieden denken, aber wenn die Gelehrten über den Werth der Dinge einig geworden sind, so sollten sie, auch wenn sie Menschen sein wollen, in der gebräuchlichen Weise sich ausdrücken. Doch mögen sie nach ihrem Belieben Worte schmieden, wenn nur die Dinge bleiben.
Kap. XXX. (§ 90.) Ich komme nun zu dem Vorwurf, dass wir uns widersprechen, damit ich nicht immer höre, ich schweife von dem Gegenstande ab. Du setzest den Widerspruch in die Worte, ich glaubte, er läge in der Sache. Wenn es vollständig begriffen ist, wobei die besten Stoiker uns zur Seite stehen, dass die Kraft der Tugend so gross ist, dass Alles daneben nicht einmal sichtbar werde; wenn ich Alles, was Jene wenigstens für Vortheile erklären, und was zu nehmen, zu wählen und vorgezogen sein soll; Dinge, die sie so definiren, dass sie sehr hoch zu schätzen seien; wenn ich also diese Dinge, welche die Stoiker mit so viel Namen belegen, die theils neu und ausgesonnen sind, wie jenes »Vorgezogene« und »Abgewiesene«, theils gleichbedeutend sind; denn welcher Unterschied ist zwischen Begehren und Wählen? Mir scheint wenigstens der Ausdruck, dass man wählt und eine Auswahl statthat, noch der bessere zu sein; wenn ich also Alles dies Güter nenne, so kommt es nur darauf an, für wie gross ich sie halte; und wenn ich sie begehrenswerth nenne, wie sehr sie es sein sollen. Wenn ich aber sie nicht für begehrenswerther erkläre, als Du, indem Du sie für mehr zu wählen erklärst und ich das, was ich Güter nenne, nicht höher im Werthe stelle, als Der, der sie »Vorgezogene« nennt, so muss dies Alles verdunkelt und unerkennbar gemacht werden und in den Strahlen der Tugend wie in denen der