Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
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Die nächsten Tage verliefen ziemlich unruhig. Es gab so viel zu tun, daß ich manchmal glaubte, nicht mehr mitmachen zu können.
Im Matrosenlogis machte sich die Unzufriedenheit mit der Kost immer lauter bemerkbar. Als der Koch eines Tages den Reis für die Mannschaft wieder besonders schlecht zubereitet hatte, ging Jahn mit der Schüssel zum Kapitän, hielt ihm den Reis vor und sagte in seiner trotzigen Art: »Captain, son Negerfraß kann man doch nicht fretten!« Die Folge war, daß es seitdem vorn kein warmes Frühstück mehr gab. Kapitän Pommer war entschieden kein Gourmet und meinte auch zu mir: Ich müsse recht rohe Kost essen, das sei gesund.
Einmal, als ich in meiner Koje im Begriff war einzuschlafen, sah ich Jahn in meine Kammer schleichen und sich an der Zuckerbüchse zu schaffen machen, die der Koch dort aufbewahrte. »Was willst du, Jahn?« rief ich, mich aufrichtend. Er stieß mich gegen das Kojenbrett, daß ich eine dicke Beule am Kopf bekam, Dann nahm er sich eine Handvoll Zucker und ging an Deck.
Zank und Schlägereien gab's immer. Steuermann schlug Jahn eine Beule. Dieser antwortete mit einem Schlag ins Auge, so daß Steuermann lange Zeit alle Perlmutterfarben im Gesicht trug. Meine Sympathie war im stillen auf Jahns Seite. Auch Bootsmann stritt sich oft mit Steuermann, und ich freute mich darüber, denn ich hatte beide hassen gelernt. Der Bootsmann, der größere Erfahrung und mehr Geschick hatte als der Steuermann, wollte sich von diesem nichts sagen lassen.
Am meisten hatte wohl der Hund zu leiden. Auch der Kapitän schlug ihn oft. Ich selbst behandelte ihn besser. Er war mein stiller Freund, und ich suchte ihm allmählich einige Kunststückchen beizubringen.
Die Kost an Bord wurde immer schlechter, und es erregte absolut kein Erstaunen, wenn ich mittags ein Stück getrockneten, leider sogar schon mehr flüssigen Stockfisches in Sirup tauchte, um wenigstens etwas Verdauliches zu erhalten.
Es kamen auch gute Stunden. Wenn die Matrosen abends in der kühlen Dämmerung nach vollbrachter Arbeit sich an Deck lagerten und jene schlichten Volkslieder anstimmten, die selbst im rohesten Gemüt freundliche Erinnerungen hervorrufen, dann beschlich mich ein wehmütiges Gefühl. In schönen Nächten schlief ich an Deck unterm freien Himmel. Den Sonntag suchte ich durch allerlei Kurzweil zu vertreiben. Ich machte Dressurversuche an dem namenlosen Hund, ich malte auf alle möglichen und unmöglichen Papiere Seelandschaften, die bei den Matrosen Anklang fanden, aber unter ihren Händen entzweigingen.
Hermann, dem Leichtmatrosen, gegenüber war ich übrigens in dieser Kunst nicht konkurrenzfähig, denn er zeichnete äußerst geschickt und war von seinen Eltern eigentlich auch für die Malerkarriere bestimmt. Schließlich griff ich aus Langeweile zur Nähnadel und – – – tätowierte meine Arme.
Die Gespräche der Seeleute boten oft viel Amüsement. Ich hatte Mühe, ernst zu bleiben, wenn Jahn und Gustav sich stritten, ob es der Hund oder das Hund hieße und dergleichen.
4. Kapitel: Westindien in Sicht
Als wir schon im Passat segelten, war es endlich gelungen, Brot zu backen, und zwar hatte das der Kapitän eigenhändig vollbracht. Auch als geschickter Tapezierer hatte er sich erwiesen. Seine neu aufgepolsterte Matratze war ein Meisterstück. Ein Seemann ist eben alles, Schuster, Schneider, Sattler, Bäcker usw. Für Kapitän Pommer galt auch der Satz: Ein Seemann ißt alles. Da ich Binnenländer war und er von diesem Begriff nur eine ganz allgemeine Vorstellung besaß, hatte er mir den Namen »Seppl« beigelegt.
Eines Tages war es ihm mal wieder gelungen, mein Tagebuch zu erwischen, und um mich in Zukunft vor solchen Unannehmlichkeiten zu schützen, griff ich zur List. Das Tagebuch bestand aus einem starken Diarium mit grünen Pappdeckeln. Ich riß nun die beschriebenen Seiten heraus und legte an deren Stelle Zeitungspapier und dergleichen zwischen die Deckel. Dann paßte ich einen Moment ab, da der Alte an Deck stand, trug das grüne Diarium recht auffällig aus meiner Kammer, und den Kapitän scheinbar übersehend, warf ich das Buch in weitem Bogen über Bord. »So, Jahn«, rief ich dem Rudersmann zu, »da ist mein Tagebuch gut aufgehoben!« Der Alte mußte das Manöver beobachtet haben, aber der alte Schlaukopf ließ sich nichts merken, sondern stieg pfeifend in die Kajüte hinunter.
Ich führte nun etwas vorsichtiger mein Tagebuch weiter und konnte mit Genugtuung auf französisch notieren, daß ich zwei Tafeln amerikanischen Kautabaks entdeckt, zum erstenmal unbeaufsichtigt das Ruder bedient hatte und während einer Abendmahlzeit vom Kapitän in Algebra examiniert worden war.
Bei dieser Prüfung hatte sich herausgestellt, daß wir beide nichts wußten. Von unangenehmen Tagesereignissen erzählt mein Journal, daß der Bootsmann den Hund wegen eines geringfügigen Vergehens zweimal mit der Nase aufs Deck stieß, daß mir der Steuermann ein Mißtrauensvotum ausbrachte, weil ich ihn mehrmals belogen hatte, und daß ich am Ruder ganz fürchterlich von Mücken zerstochen wurde. Außerdem fühlte ich mich nicht ganz wohl und merkte, daß meine rechte Backe schwoll.
Die Butter zerfloß bei der großen Hitze, und die Sonne stand mittags fast senkrecht über unseren Köpfen. Natürlich waren wir alle kaffeebraun. Ich fühlte mich sehr wohl in dieser Temperatur. Meine dicke Backe schrumpfte bald wieder ein. Das Anbringen der alten Passatsegel kostete viel Arbeit. Der Appetit war dementsprechend, aber die Speisekarte bot wenig Auswahl. Jeden Tag gab's Labskaus, Kartoffeln und Salzfleisch zu einem Brei zusammengekocht. Ich wußte mir dann und wann einen Extraleckerbissen zu verschaffen.
Der Alte glaubte beim Öffnen einer Dose Geleeheringe zu bemerken, daß sie verdorben seien. Steuermann und Bootsmann pflichteten aus Devotion oder Unkenntnis dieser Ansicht bei. Als der Kapitän an meine sachverständige Nase appellierte, bedeutete auch ich ihm durch eine nicht mißzuverstehende Pantomime, daß die Heringe nichts mehr taugten. Wie erwartet erhielt ich nun die ganze Dose als Geschenk und barg sie triumphierend in meiner Koje. Es waren vorzügliche, unverdorbene Geleeheringe.
Kapitän Pommer liebte es, mir derartige Großmutsakte möglichst oft noch vorzuhalten, und er wetterte nicht schlecht, als ich einige Tage nach der Heringsgeschichte eine Flasche Wein zerbrach.
Hübsch war das Meeresleuchten bei Nacht anzusehen. Das glitzerte wie sprühende Funken in den Fluten.
Wir waren alle äußerlich verkommen. Eines Abends zog ich zum erstenmal seit zwei Wochen meine Strümpfe aus, wobei ich bemerkte, daß mir wahre Vogelkrallen an den Zehen gewachsen waren. Wir schliefen damals in den schmutzigen Sachen, die wir bei der Arbeit anhatten. Wasser zum Waschen war nur wenig vorhanden, und in der kurzen Freizeit, die uns der Dienst ließ, waren wir zu müde zum Waschen. Als ich einen der Matrosen bat, mir die Haare zu schneiden, empfahl er mir, das mittels Petroleums und eines Zündholzes selbst zu besorgen.
Die große Decksreinigung wurde mit aller erdenklichen Gründlichkeit durchgeführt. Ich hatte den ganzen Tag unaufhörlich Wasser herzutragen, daß ich außenbords in einem Eimer schöpfte. Das war auf die Dauer ziemlich anstrengend. Die andern schrubbten indessen die Holzplanken mit weißem Sand und scharfem Sodawasser, um später mit Meerwasser nachzuspülen. Wenn das Deck rein und trocken war, ölten wir es mit Leinöl.
Willy fand den ersten fliegenden Fisch an Deck und briet ihn zum Frühstück. Auch ich kostete ihn und fand ihn sehr wohlschmeckend. Die Flügel klebte sich der Steuermann auf ein Stück weißes Papier als Schmuck für sein Zimmer. Einen Haifisch sichteten wir und hängten sofort Speck an einen eisernen Haken an ebensolcher Kette über Bord. Das schlaue Tier biß aber nicht an. Auch einen anderen großen Fisch, einen sogenannten Großkopf, bemerkten wir. Leider kam er nicht