Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
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Da war also erstens Kapitän Pommer, von dessen Tracht nur ein knetbarer Rinaldo-Hut sowie zwei elegante, purpurrote Sammetpantoffeln hervorzuheben sind. Der Steuermann Karstens war erst kürzlich von der Papenburger Steuermannsschule gekommen. Er hatte früher wohl einmal ein Gymnasium gestreift und liebte es, mit gebildeten Brocken um sich zu werfen. Er schlief wie der Kapitän im hinteren Schiff, wo sich auch die Kammer für den Bootsmann befand.
Zu dem Personal gehörte erstens der Koch, ein ehemaliger Matrose von etwa zwanzig bis dreiundzwanzig Jahren. Er stammte, wie er mir bei Gelegenheit etwas verschämt erklärte, aus Sachsen. In dem Bestreben, seinen Heimatdialekt möglichst zu verleugnen, hatte er sich ein höchst lächerliches Gemisch von Platt und Hochdeutsch angewöhnt. Seine Küche, ein Raum von etwa 3 qm, bildete die eine Hälfte eines kleinen, hölzernen Häuschens, das in der Mitte des Schiffes auf Deck stand. Die andere Hälfte diente als Schlafkammer und Wohnung für den Koch und mich. Es befanden sich zwei Kojen darin, die übereinander lagen. Die obere, vorteilhaftere, hatte sich der Koch eingeräumt. Mir wurde die untere zugewiesen.
Vorn im Matrosenraum, oder wie die Seeleute sagen, im Logis, wohnte vorläufig auch der Bootsmann, der seinem Range nach die vermittelnde Stufe zwischen Kapitän oder Steuermann und der Mannschaft repräsentierte. Er war dabei nach oben ebenso schüchtern und devot wie nach unten anmaßend und roh. Im gleichen Range mit ihm stand der Segelmacher, der auch bei den Matrosen »vorn« logierte. Das war ein alter Norweger, der bereits 50 Jahre zur See gefahren war und alle Länder der Welt verschiedene Male gesehen hatte. Gleich den übrigen Matrosen war er kein großer Freund der Arbeit, aber was er tat, das verrichtete er mit großer Sorgfalt und mit der kaltblütigen Ruhe und Geschicklichkeit, die alten, erfahrenen Seeleuten eigen ist. Das harte, unfreundliche Leben, das hinter ihm lag, hatte ihn so griesgrämig gemacht, daß er uns allen höchst unangenehm war. Wenn er lachte, war man nie sicher, ob es Grimm oder Humor war, und mit dem gleichen Lächeln, mit dem er irgendeinen beißenden Witz losließ, warf er jemandem einen Gegenstand, den er gerade in der Hand hielt, an den Kopf. Außerdem soff er mörderlich. Er sprach fertig Norwegisch, Englisch, Deutsch und in betrunkenem Zustand ein aus diesen drei Sprachen zusammengesetztes Ragout.
Unter den Matrosen besaß die meiste Achtung Jahn, weil er sehr stark war, seine Arbeit gut verstand und der Roheste war. Ich glaube, er stammte aus einer Fischerfamilie, so daß ihm das schwere Seeleben etwas ganz Natürliches war. Sein trockener Witz und treffender Spott machten ihn unter den Kollegen gleichzeitig beliebt und gefürchtet. Gustav hieß ein großer, starker Ostpreuße aus der Tilsiter Gegend. Er hatte ein Paar riesenhafte Hände, arbeitete für drei und leistete Erstaunliches im Schlafen. Während unserer Überfahrt auf der »Thérèse et Marie« hatte er fast ununterbrochen geschlafen. Bei seiner ungeheuren Kraft war er doch glücklicherweise sehr gutmütig, und selbst, wenn er sich den Anschein gab, über etwas wütend zu sein, leuchtete ein gutmütiges Lächeln aus seinen runden Schweinsäuglein.
Dann schliefen vorn noch Willy, ein mit dem Kapitän verwandter Ostfriese, Matrose Paul und Hermann Klein, der zarte Leichtmatrose mit dem Mädchengesicht.
In Le Havre kam noch ein kleiner, dicker Franzose von etwa 15 Jahren an Bord, der gleich mir zur See wollte und als Schiffsjunge auf der »Elli« angemustert wurde. Er war aus guter Familie. Seine Mutter brachte ihn selbst an Bord. Ich hatte mich mit dem jungen Mann sehr schnell angefreundet. Er teilte mit mir einen großen Napfkuchen, den er von seiner Mutter mitbekam. Er mochte ihr wohl von unserer Freundschaft erzählt haben, denn die Dame drückte mir, als sie ihn einmal besuchte, freundlich die Hand und sagte, sie wünsche, daß ich ihrem Sohn ein guter Freund bleiben möchte, was ich verstand und worauf ich meinen französischen Kenntnissen durch ein sehr lautes »Oui, monsieur« Luft machte.
Der Kapitän bestimmte mich zunächst zum Kajütsteward. Als solchem fiel mir die Aufgabe zu, die Kajüte und die anstoßenden Kammern in Ordnung zu halten, das Essen aus der Kombüse zu holen und alle möglichen Dienste zu verrichten, die für das Achterschiff in Betracht kamen.
Napoleon, wie der Franzose von unseren Matrosen getauft war, wurde Decksjunge, das heißt, sein Wirkungskreis war das vordere und mittlere Deck und das Logis. Im letzteren hatte er die Backschaft für die Matrosen zu besorgen, Essen zu holen, Geschirr aufzuwaschen, auszufegen und so weiter.
An dem Tag, an welchem ich an Bord der »Elli« kam, erhielt ich abends die Erlaubnis, an Land zu gehen. Es hatte den ganzen Tag Bindfaden geregnet. Der Kai, an dem wir lagen, bot ein trübseliges Bild. Die gewaltigen, eisernen Kräne, nicht minder die schweren, schwarzen Waggons standen öde und verlassen da. Kein Mensch war weit und breit zu sehen, bis auf einen Zollbeamten, der die Kapuze seines Regenmantels tief ins Gesicht gezogen hatte. Er stand in einer Art Schilderhäuschen wie eine Statue. Ich hatte meinen blauen Seemannsanzug an und den Kernerschen Lederriemen mit dem Scheidemesser um.
So tappte ich schweren Ganges in die Stadt. Zunächst beschloß ich, meinen knurrenden Magen auf eine gute Manier zur Ruhe zu bringen.
Damals wußte ich noch nicht, welchen Ruf die Seeleute in den Hafenstädten genießen, sonst hätte ich wohl nicht in meinem derben Seemannskostüm ein so nobles Restaurant betreten. So aber tat ich das mit der unbefangensten Miene, und erst die zweifelhaften Blicke, mit denen mich Gäste und Kellner empfingen, und der Umstand, daß man mich im voraus das von mir bestellte Souper zu 6 Franken und eine Flasche teuren Weines bezahlen ließ, machte mir die Situation klarer. Als man aber sah, daß ich Geld besaß, bediente man mich sehr freundlich, und die Geschäftsführerin des Lokals knüpfte ein liebenswürdiges Gespräch mit mir an. Leider verstand ich auch nicht ein einziges Wort, aber ich lächelte, wenn sie lächelte, und ich nickte sehr ernst, wenn sie ernst wurde.
Mein Souper bestand aus zwölf Gängen, von denen nur einer meine Billigung fand, weil ich wußte, was er darstellte, Spinat mit Schinken. Aber der Wein war köstlich und brachte mich in vergnügte Stimmung. Ich setzte nun meine Studienreise durch Le Havre fort; da mich aber meine volle Börse zu dem Prinzip verleitete, möglichst wenig im Freien zu studieren, trat ich bald in das »Café Anglais« ein.
Hier schien der Treffpunkt einer höchst bedenklichen Demimonde zu sein, aber es waren sehr hübsche Damen, die ich hier kennenlernte. Schwarzhaarig, lebhaft, mit französischem Schick gekleidet und frisiert. Ich kam sehr bald mit der Gesellschaft ins Gespräch, denn ich war schon in dem Stadium des Benebeltseins angelangt, da man jede Schüchternheit verliert. Die Mädchen lachten über mein furchtbares Scheidemesser, das an meinem Leibriemen hing und auf das ich nicht wenig stolz war. Wir sprachen von Burenpolitik, und dann sangen wir gemeinsam, lachten und waren sehr vergnügt. Eine der Französinnen tauschte ihr Taschentuch mit dem meinen zum Andenken. Ich suchte der vielgerühmten deutschen Trinklust alle Ehre zu machen.
Die Nacht verlief wüst. »Voulez-vous tirer un coup?« hörte ich in den Gassen schreien, nach denen ich mich verschämt hingefragt hatte. Ein Ehemann bot mir mit ergreifender Großmut seine Frau Gemahlin für wenige Franken an, und ich fand in sehr üblen Häusern sehr saubere Zimmer mit sehr hoch geschichteten sauberen Betten.
Als ich um viereinhalb Uhr von irgendeiner polizeilichen Macht geleitet wieder an Bord kam, blutete meine Nase, war alles um mich herum betrunken, und ich wußte ungefähr, daß mir das Geld, welches ich nicht verjubelt hatte, von verschiedenen Seiten gestohlen war.
Um fünf Uhr mußte ich schon wieder meinen Dienst antreten. –
Die Koje, die mir zugewiesen, war so klein, daß ich nur mit eingezogenen Beinen schlafen konnte. Jede Nacht fast bekam ich Beinkrämpfe.
Ich mußte morgens den Kapitän wecken, seine Kammer aufräumen und den Kajütentisch decken, an dem auch der Bootsmann und der Steuermann aßen. Unglaublich schien es mir anfangs, daß die Mannschaft Margarine statt Butter erhielt. Ich half mir heimlich mit