Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band) - Joachim Ringelnatz страница 42
»Ich meine es eigentlich noch gut mit dir«, schloß er, »ich könnte dich noch einsperren lassen.«
Einunddreißig Mark – –!! Aber das schien mir doch ein Kapital! Was konnte ich mir alles dafür kaufen!!
Ich eilte mit Jahn und Hermann sogleich in ein Lokal. Wir erquickten uns an ham and eggs, Butterbrot und Kakao.
Dann trennte ich mich von meinen Begleitern, um mich nach einem Schiff umzusehen, das mir gegen Dienstleistungen freie Fahrt nach Deutschland geben könnte. Die weiten, modernen Docks entlang schlendernd, erblickte ich zwei deutsche Dampfer, »Lappland« und »Westmorland«, die, wie ich erfuhr, nach Hamburg bestimmt waren. Bei beiden sollte jedoch der Kapitän erst am nächsten Tage zu sprechen sein. Ich kehrte deshalb wieder auf die »Elli« zurück, die inzwischen ihren Liegeplatz verändert hatte. Unterwegs genoß ich noch eine Menge Lunchkeks. Leider hielt ich es auch für angebracht, mich an Brandy zu betrinken. »Na«, empfing mich Steuermann, »ist die Geschichte auf dem Konsulat gut abgelaufen?«
»Ja, nur zu glatt!« erwiderte ich sarkastisch.
»Wieso?«
»Nun schon gut.«
»Ja, dann mache andermal solche Dinge nicht.«
Ich schlief die Nacht natürlich an Bord. Gesetzmäßig durften wir uns noch vierundzwanzig Stunden nach der Abmusterung auf dem Schiff aufhalten.
Am nächsten Morgen weckte mich der mit dem Löschen der Ladung verbundene Lärm und die äußerst laute Unterhaltung der Schauerleute. Ich holte noch einmal wie bisher den Kaffee ins Logis. Dann machte ich mich wieder auf die Schiffssuche.
Nachdem ich verschiedene nötige und unnötige Einkäufe besorgt hatte, fuhr ich mit der Hochbahn nach dem Nelsondock, wo ich nur noch die »Lappland« vorfand. Man wies mich hier aber ab.
Ein Hamburger Dampfer mit dem Namen »Lutetia« war eingelaufen. Ich wandte mich an den Steuermann des Schiffes mit der üblichen Frage:
»Kann ich eine Chance nach Hamburg bekommen?«
»Sind Sie utgerüst?«
Ich wies ihm meine Papiere und erzählte ihm von meiner Stellung auf der »Elli«.
»Ja, Sie müssen um 12 Uhr mal mit dem Kapitän sprechen.«
Ich faßte Hoffnung, bummelte einstweilen durch die Straßen, kaufte mir ein Scheidemesser, aß einen frischen Hering und fand mich pünklich auf der »Lutetia« wieder ein.
Der zweite Steuermann des Schiffes fragte mich nochmals gründlich aus und verwies mich dann an den Kapitän.
»Was wünschst du?« fragte dieser und verbesserte sich dann – was eigentlich ein ungünstiges Zeichen war – »Was wünschen Sie?« »Der Konsul muß Sie doch hinüberschicken«, meinte er, als ich ihm mein Anliegen vorgetragen hatte.
Ich erklärte ihm, daß dazu keine Verpflichtung vorliege, da ich nicht in Deutschland, sondern in Frankreich angemustert sei.
»Hast du Sachen?« forschte er weiter.
»Ja, an Bord.«
»Hol' sie mal rüber.«
»So haben Sie also Chance für mich?« fragte ich erfreut.
»Ja, mußt aber fix mit arbeiten.«
»Ja, natürlich.«
»Mach' schnell, es geht bald ab.«
Jubelnd schwang ich mich auf die Ringbahn und eilte nach der »Elli«. Dort stand Napoleon, noch immer unschlüssig, was er machen solle. Im Logis traf ich Hermann, Gustav und Paul an.
Vor Freude und Aufregung ganz nervös, geriet ich mit Hermann wegen irgendeiner Lappalie in Streit und gab ihm eine Ohrfeige. Da taute aber plötzlich Gustav auf. Der sonst so phlegmatische Riese ergriff mich mit seinen Bärentatzen, legte mich regelrecht übers Knie und verdrosch mich wie einen Schuljungen. Komischerweise war mit diesem Schlußeffekt sofort eine allgemeine Versöhnung hergestellt.
Ich packte meine Sachen, nahm von Willy, Gustav und dem guten Napoleon Abschied und bestieg mit Hermann und Paul gemeinsam einen Wagen. Dem Kutscher versprach ich zwei Schillinge extra, wenn er mich recht schnell zum Nelsondock brächte.
Pauls Ziel war Cardiff. Er hatte eine Empfehlung an den dortigen Konsul. Hermann wollte zu einem Onkel nach Manchester. Obgleich beide mehr Heuer als ich erhalten hatten, ließ ich es mir doch nicht nehmen, den Wagen zu bezahlen.
So schied ich, als unsere Wege sich trennten, in bestem Einvernehmen von ihnen.
Dann brachte ich mich und meine Sachen auf der »Lutetia« unter.
Mein Schiffsjungentagebuch erzählt nichts weiter.
Der Verlag gab meinem gedruckten Schiffsjungentagebuch aus Reklamegründen eine Bauchbinde mit. Auf der ist folgende Zeitungsnotiz vom 16. November 1911 abgedruckt: »Untergegangenes Schiff. Von dem deutschen Schoner ›Elli‹, der von England nach Cuxhaven unterwegs überfällig war, sind nun Schiffsteile in der Nordsee gefunden worden. Hiernach ist der Schoner mit der ganzen Besatzung untergegangen.«
Stellungslos
Das war eine kurze, doch für meine Ungeduld noch zu lange Überfahrt bis Hamburg. Ich brannte darauf, Deutschland und meine Freunde wiederzusehen.
Aber die Freuden dieses Zurückseins genoß ich nur kurz. Denn es galt nun, ein neues Schiff zu suchen. Das war, wie ich hörte und bald erfuhr, sehr schwer. Mein Vater hatte sich an seine Freunde Schrenk und Detlev von Liliencron gewandt. Einer dieser Herren empfahl mich in Hamburg bei dem Reeder De Freitas. Der versprach mir freundlich, sich nach einer Stellung – einer »Chance« sagten wir – für mich umzusehen. Ich möchte mich nur ein wenig gedulden. Mit dieser Aussicht kneipte ich nachts mit meinen Freunden. Aber das Geld, das mir Vater gesandt hatte, ging schnell dahin, und das Sichgeduldenmüssen dauerte weiter. Ich suchte zwar selber eifrig nach Chance, stand jeden Morgen früh auf. Ging nach dem Seemannsamt und nach den Heuerbüros der Schiffahrtslinien. Doch da war keine Vakanz, und wenn eine war, so warteten schon hundert früher Vorgemerkte. In der Angelegenheit De Freitas wurde ich bald hierhin, bald dorthin bestellt, mußte weite Wege laufen und stundenlang in Büros warten. Endlich bot mir der Reeder eine Stellung auf der »Thekla« an. Leider nahm ich das nicht an, weil Thekla ein Dampfer war. Ich brauchte für meine Karriere, das heißt für das künftige Steuermannsexamen bescheinigte Fahrzeit auf Segelschiffen. So dankte ich De Freitas und ging nun selber mit doppeltem Eifer auf die Suche. In aller Frühe stellte ich mich am Seemannsamt an. Ich ging auch persönlich auf die neu eingelaufenen Segelschiffe. Die lagen verstreut in den sich weit ausdehnenden Hafenanlagen. Das kostete mich stundenlange Fahrten und Wanderungen. Und ich holte mir doch immer nur abschlägigen Bescheid.
Um Geld zu sparen, wohnte ich anfangs für 40 Pfennig pro Tag in der Herberge zur Heimat. Es ging dort recht unordentlich zu, so daß ich meine Briefe lieber postlagernd bestellte. Der Beamte auf dem Postamt kannte mich bald. »Es ist kein Geld da«, sagte er ironisch. Andermal lächelnd: »Sind Sie schon