Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz

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Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band) - Joachim  Ringelnatz

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wenigen Tagen wurde ich wieder an Bord kommandiert. Auf das Artillerie-Schulschiff »Carola«. Es war dasselbe Leben wie auf der »Nymphe«, in manchem besser, in manchem schlechter.

      Ich erhielt meine erste Strafe, weil ich einen Befehl nicht schnell genug ausgeführt hatte. Dafür mußte ich nach dem Gutenacht-Kommando »Hängematten weg!« noch eine Stunde im Mondschein an Deck strammstehen und dabei meine zusammengezurrte Hängematte halten, die wie eine Riesenwurst aussah.

      »Nur noch achtundvierzig Tage bis zur Entlassung!« sagten wir, wenn wir aufwachten, und am nächsten Morgen: »Nur noch siebenundvierzig Tage!« Reservistenlieder erklangen in der Kantine. »Reserve hat Ruhe!« und »Ach, wie wohl ist dem zumut, der die letzte Wache tut.«

      Ich wurde zum Obermatrosen befördert, mußte mir noch einen gelben Winkel zu meinem schwarzweißroten Einjährigenwinkel auf den Oberärmel nähen. Aber jede solche Kleinigkeit schmeichelte einem doch.

      Mir wurden ein Paar Schuhe gestohlen. Ich erwischte den Dieb und verprügelte ihn, verstauchte mir aber dabei den Daumen. Nachts brach die Leine am Kopfende meiner Hängematte. Ich fiel mit dem Ellbogen sehr hart auf die Ankerkette.

      Einmal entdeckte ich erwachend eine tote Flunder, auf der ich geschlafen hatte. Ich ließ mir nichts anmerken, sondern packte den Fisch in eine andere Hängematte. Acht Tage später gab es einen Skandal. Ein Matrose hatte diese schon halb verweste Wanderflunder in seiner Hängematte entdeckt und stellte nun einen Verdächtigen zur Rede.

      Aus dem eisernen Schiffsraum, wo unsere Schlafschaukeln hingen, wurde manchmal nachts mit Kanonen geschossen. Das kolossale Dröhnen vermochte mich nicht im Schlafe zu stören. Wenn aber ein leichtes Pfeifensignal ertönte, das mir galt, so war ich im Nu hoch. Derart müde waren wir, und derart dressiert.

      Sturm und Kälte bei Übungsfahrten bei Helgoland. Zu Weihnachten auf Urlaub daheim, in der schmucken Uniform im Binnenland sehr angesehen.

      Am 3. Januar 1905 wurde ich entlassen mit der Beförderung zum Bootsmannsmaat.

      Kaufmannslehrling und Kommis

       Inhaltsverzeichnis

      Ruberoid G.m.b.H., Hamburg, Dovenhof. Von dieser Firma wurde ich als Lehrling aufgenommen. Weil ich schon zweiundzwanzig Jahre alt war, schenkte man mir das übliche dritte Lehrjahr. Ich lernte also zwei Jahre lang praktisch den Kaufmannsberuf. Das begann mit Botengängen und Adressenschreiben. Nach und nach wurde ich in höhere Büroarbeiten eingeführt. Schreibmaschine schreiben, Briefe ablegen, Führung des Kartenregisters, Buchhaltung, Spedition usw. Meine Schrift war außergewöhnlich schlecht und unsicher, obwohl ich schon zweimal Nachhilfestunden in Schreibinstituten genommen hatte. Das war mir recht hinderlich. Aber Herr Meyer, mein Chef, und meine anderen Vorgesetzten übten Nachsicht. Der erste Direktor der Firma hieß Alfeis. Ich bewunderte ihn als einen genialen und großzügigen Geschäftsmann und als gerechten Vorgesetzten. Von den jüngeren Angestellten war Freudling der Tüchtigste, ein siebzehnjähriger Kommis, mit dem ich eng befreundet wurde. Unter den weiblichen Angestellten tat sich das sprachkundige Fräulein Benecke hervor.

      Es waren viele Angestellte in den einzelnen Abteilungen beschäftigt. In den weiten und bequemen Geschäftsräumen herrschte während der Arbeitsstunden emsige und ernste Betriebsamkeit. Waren die Abteilungschefs einmal nicht zugegen, dann benahmen sich die anderen freier und lauter, dann spielten auch manchmal die Mäuse. Und wenn ich zuweilen spät abends dort noch Briefe frankierte und sonst niemand mehr zugegen war als der eifrige Freudling, der still über seinen Büchern saß, dann spielten auch vierbeinige Mäuse, und es raschelte zwischen den Frühstückspapieren in den Papierkörben.

      Bald war ich eingelebt, kannte die Leute und ihre besonderen Eigenheiten. Es war ein großes Stück Gemütlichkeit in diesem Kontorleben.

      Die Firma war sowohl in ihrem geschäftlichen Gebaren wie auch in ihrer Haltung zum Personal hamburgisch vornehm. Einmal wurde ein Dampfer für uns gechartert, auf dem wir eine lustige und luftige Tagespartie unternahmen. – Ich erhielt als Lehrling kein Gehalt, aber zum ersten Weihnachten eine große und zum zweiten Weihnachten eine noch größere Gratifikation.

      Herr Alfeis bewilligte mir auch Sonderhonorare für eine Zeichnung und für einen Aufsatz, die ich in meiner Freizeit angefertigt hatte. Zeichnung wie Aufsatz stellten eine Propaganda für das Bedachungsmaterial Ruberoid dar und wurden zur Reklame verwendet.

      Mit der Fabrik kam ich nicht in Berührung, aber man gab mir auf Wunsch Gelegenheit, das Dachdecken mit Ruberoid zu erlernen. Später wurde ich dann manchmal zur Kontrolle von Dacharbeiten in die nähere und weitere Umgebung gesandt. Das war jedesmal eine willkommene Abwechslung, bei der ich mich sehr wichtig fühlte.

      Ich wohnte in der Großen Reichenstraße bei einer Frau Blome, die auch einen Privatmittagstisch führte. Meine ersten Ölbilder entstanden, ein Dachpanorama und ein Kriegsschiff. Ich dichtete und bekam die Gedichte von der Jugend, vom Kladderadatsch, von den Fliegenden Blättern meistens zurück, obwohl ich meine Begleitschreiben bald stolz, bald neckisch, bald überbescheiden, versuchsweise fast jedesmal anders abfaßte.

      Mein Vater zahlte mir ein regelmäßiges Monatsgehalt und ermöglichte mir, daß ich abends eine Handelsschule besuchte, um mein Pidgin-Englisch zu verbessern und Spanisch zu lernen.

      Auch Klavierstunde nahm ich. Bei einem alten Pianisten. Der hatte einen großen Kater. Als ich den einmal in den Schwanz zwickte, schob mich der Lehrer zur Tür hinaus und sagte, ich möchte nie wieder zu ihm kommen.

      Nach dem Hafen und zu Seidlers ging ich immer seltener. Freudling hatte mich in eine neue Gesellschaft eingeführt, die in einer anderen Gegend hauste. Das waren ehemalige Kunstmaler, die nun als Anstreicher ihr Brot verdienten. Im übrigen aber ein freies Künstlerleben führten. Lustige Mädchen nahmen daran teil, so die Gärtnerstochter Tetsche aus dem letzten Hause Hamburgs, die auf der Vorortbahn zum Vergnügen die Notbremse zog und dann so unbezwingbar lachen konnte, daß ihr die Beamten verziehen.

      Von den Malern war Hein Mark der Mittelpunkt. Eines Tages bekam er einen Auftrag. Alles jubelte, denn wenn Hein Mark Geld erhielt, dann hatten alle zu trinken und zu essen. Hein Mark hatte den Auftrag, einen Schrank einer Bordellwirtin gelb anzustreichen.

      Ich bat ihn, mich als Gehilfen mitzunehmen. Er lieh mir einen Malkittel und gab mir einen Farbtopf in den Arm. So zogen wir ins Bordell. Da die Wirtin aber noch schlief, mußten wir lange bei den Mädchen warten. Die bewirteten uns nun als Privatbesuch sehr gastlich mit Kaffee und Kuchen, und es war interessant, sie von der anderen Seite kennenzulernen.

      In der Handelsschule wurde ich mit Willy Telschow bekannt. Er war Lehrling in einer Kaffeefirma. Wir schwänzten gemeinsam die Stunden, schimpften auf den knöchernen Direktor Beiden und trieben allerhand Allotria. Ich brachte ihn zu Freudling und Hein Mark. Wir lebten lustig und schwärmten begeistert.

      Meiner Seemannsliebe Meta war ich inzwischen ganz entfremdet. Ich weiß nicht mehr, ob wir im Zwist geschieden waren oder ob ich sie einfach gemieden hatte. Einmal sah ich sie flüchtig wieder, ohne sie aber anzusprechen. Das war, als die Michaeliskirche abbrannte, das von den Hanseaten und von allen deutschen Seeleuten geliebte Wahrzeichen der Stadt Hamburg. Am 3. Juli 1906. Da war ich im Menschengewühl dicht vor der brennenden Kirche auf dem Kraienkamp. Neben mir stand die Frau des Türmers und winkte zum Turm hinauf zu ihrem Mann, der, durch die Flammen abgesperrt, von einer Brüstung herabwinkte. Bis er verbrannte.

      Ich hatte die vorgeschriebene Kontrollversammlung versäumt und erhielt

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