Das unauslöschliche Siegel. Elisabeth Langgässer
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Der Kritiker
Obwohl ich mir nicht recht vorstellen kann – –
Der Leser ‹gespannt›
Was sehen Sie? Einen Frosch? Einen Drachen? Ein imaginäres Wesen? Eine olympische Gottheit auf hoch erhabenem Thron?
Der Kritiker
Nichts von all dem. ‹ Er läßt das Fernrohr sinken.› Es ist mir peinlich zu sagen: ich sehe Sie vollkommen nackt.
Der Leser ‹an seinen Vollbart fahrend›
Oh! Aber schließlich, was ist dabei? Ich habe nichts zu verbergen, ich kann mich sehen lassen. Nacktkultur, richtig verstanden – –
Der Kritiker
Ich fürchte, wir werden am Ende des Buches diesen Ausdruck nicht nur richtig verstehen, ich meine: rundherum richtig verstehen, sondern ihn auch praktizieren bis auf das Feigenblatt.
Der Leser
Kein Wunder, wenn das Ganze schon jetzt mit einer Auktion beginnt. Ein vielversprechender Anfang, wie? Um so mehr, als das Haus hier »Mundus« heißt, sein Besitzer »Hermes«, der Auktionar »Chronos« – –
Der Kritiker
Hermes, der Totenführer. Sehr viel Mythologie auf einmal. Sie werden Ihre gesamte Bildung, ich meine die humanistische, zusammennehmen müssen, um alles zu verstehen.
Der Leser
Ich habe ein griechisches Wörterbuch bei mir, ein lateinisches Diktionär, einen kurzen Abriß der Weltgeschichte, der Kirchengeschichte, die Propädeutik der abendländischen Philosophie – –
Der Kritiker
Um Gottes willen, halten Sie ein und werfen Sie auf der Stelle Ihre Schulbücher auf den Mist! Oder besser noch: geben Sie sämtliche Schmöker mit in die Versteigerung.
Der Leser
Sind Sie verrückt? Was verlangen Sie? Die heiligsten Güter der Menschheit in die Versteigerung geben?
Der Kritiker
Um einen Obolus kommt man bei Hermes bekanntlich nicht herum. Sehen Sie nur, wie er dort in dem offenen Vestibül steht und jedem seiner Besucher vollkommen schamlos die Sparkasse hinhält – das tönerne Glücksschwein, in welches eben dieser gut aussehende Herr seinen Dukaten wirft.
Der Leser
Wie heißt er?
Der Kritiker
Belfontaine.
Der Leser
Belfontaine? So. Ich muß sagen, er ist mir nicht sehr sympathisch. Es liegt etwas Zwitterndes über ihm. Etwas Unvollendetes, aber beileibe nicht eine Spur von Romantik oder Gemütlichkeit. Wenn er der Held dieses Buches ist – – Warum lachen Sie jetzt? Was soll das bedeuten?
Der Kritiker
Ich lache, weil es in diesem Sinn überhaupt keinen Helden gibt. Ich meine: in diesem Buch. Der Held muß dableiben wie ein Denkmal, das aufgerichtet wird. Man verbirgt ihn bis zu der Denkmalsenthüllung unterm Tuch der Psychologie.
Der Leser
Ich verstehe. Hier sieht sein Fuß und dort sieht ein Stück von seinem Zylinder heraus. Ein solches Verfahren weckt Neugier und Spannung. Zuletzt kommt die Denkmalsenthüllung. Man betrachtet den Helden von vorn und von hinten und geht rund um denselben herum. Allerdings ist selbst bei Meisterwerken die Rückseite gegen die Vorderansicht häufig vernachlässigt, wie? Man bringt daher rings um den Sockel des Denkmals ein Band von Plaketten an. Eigentlich eine Verlegenheitslösung. Man müßte – –
Der Kritiker
Rasch, sehen Sie durch mein Fernrohr! Nun? Was bemerken Sie? Was fällt Ihnen auf?
Der Leser
Pfui. Das ist futuristische Technik. Man sieht durch diesen Herrn Belfontaine, als wäre er aus Glas. Landschaften. Zeitgeschichte in Kurven. Das Schicksalspanorama des Städtchens, in dem wir uns befinden . . . Aha, ich glaube, Herr Belfontaine wird nicht wichtig genug genommen.
Der Kritiker
Im Gegenteil. Folgen wir ihm auf den Fuß. Wir kommen sonst zu spät. Gleich wird die Auktion