Das unauslöschliche Siegel. Elisabeth Langgässer

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Das unauslöschliche Siegel - Elisabeth Langgässer

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style="font-size:15px;">       Wo sind Sie?

       

       Der Leser

       

       Ich habe die erste Grotte durchschritten und sehe, daß sich die zweite öffnet, wo die erste zu endigen scheint. Beeilen Sie sich! Es tropft von den Wänden, auch der Boden der Grotte muß von der Quelle, die hier entsprungen ist, vollkommen feucht sein: die Statue in ihrem Innern fängt zu phosphoreszieren an.

       

       Der Kritiker ‹enttäuscht›

       

       Eine Lourdes-Madonna. Das Ausstattungsstück sämtlicher Pfarrgärten, Schwesternhäuser und Jungfrauenvereine. Was finden Sie daran? Übrigens bin ich schon ganz durchnäßt, ich dampfe von Feuchtigkeit wie eine Wolke und werde die Kleider wechseln müssen . . . Leben Sie wohl! Er löst sich auf und verschwindet.

       

       Der Leser

       

       Leben Sie wohl! Es ist wirklich sehr feucht hier. Auch Herrn Belfontaine, den ich mit Hilfe des Fadens wiedergefunden habe, läuft das Wasser vom Scheitel herab.

       

       Herr Chronos ‹hinzutretend›

       

       Das wird eine andere Ursache haben. Herr Belfontaine erinnert sich eben, daß er heute vor sieben Jahren die Taufe empfangen hat.

       

       Der Leser

       

       Eine sehr intensive Erinnerung, die das Wasser aus seinen Poren treibt! Finden Sie nicht, daß ein solcher Stil schon an Naturalismus grenzt?

       

       Herr Chronos

       

       Ich glaube, Sie müssen sich, lieber Leser, schon bequemen, ihn – supranaturalistisch – –

       

       Der Leser ‹erschrocken›

       

       Um Gotteswillen, auch das noch! Ich werde doch lieber gleichfalls gehen . . .

       

       Er wendet sich wieder zurück und will die Grotte verlassen, doch findet er – von dem Licht geblendet, das die Statue ausstrahlt und in den Raum wirft, woher der Leser gekommen ist – die Eingangspforte nicht.

       

       Herr Chronos

       

       Es gibt kein Zurück mehr. Gehen Sie weiter! Sie stören den Verkehr.

       

       Der Leser

       

       Wo ist Herr Belfontaine nur geblieben? Nun ist er wieder fort. Immer neue Gesichter . . . Ob ich den älteren Herrn dort mit der stolzen jungen Dame am Arm anzusprechen versuche? Sie sieht eigenartig, aber sehr schön aus und scheint ein Kostüm ihrer Mutter zu tragen: eine Art Cul de Paris. Verzeihen Sie – könnten Sie mir nicht sagen, wo ich Herrn Belfontaine finde?

       

       Herr de Chamant, den der Leser in Verkennung der Sachlage angesprochen hat, dreht sich indigniert nach ihm um; seine Tochter Hortense sieht ihn hochmütig an und hebt ihre süßen Schultern.

       

       Die Tochter des Chronos ‹sich rasch dazwischendrängend›

       

       Das war ein Fauxpas, lieber Leser. Die Herrschaften sprechen kein Deutsch. Überdies kommt Herr Belfontaine erst viel später –.

       

       Der Leser ‹verwirrt›

       

       Verzeihung! Wer hat nun eigentlich wieder einen Anachronismus begangen? Der Autor oder ich?

       

       Die Tochter des Chronos

       

       Keiner von beiden. Herr Belfontaine steht jetzt auf der Rückseite der Erzählung und wird von ihr verdeckt. Wenn er auftaucht, ist er 11 Jahre älter, als er eingangs gewesen ist.

       

       Der Leser

       

       Und wo bin ich jetzt?

       

       Herr Chronos ‹seine Tochter beiseite schiebend›

       

       Fort, fort, sonst fresse ich dich, du kleines Ungeheuer! Das ist meine Eigenart. Zu dem Leser gewandt Sie sind jetzt in Senlis, werter Freund, einem kleinen, aber historischen Städtchen mit herrlicher Kathedrale. Eine Turmbesteigung gefällig? Der Ausblick lohnte sich schon.

       

       Der Leser ‹ängstlich›

       

       Sehr freundlich. Aber ich fürchte – –

       

       Er will sagen: ,schwindlig zu werden‘; Herr Chronos blickt ihn durchdringend mit furchtbarem Ausdruck an und schwillt wie ein eisenklirrender Drache, der Blut getrunken hat.

       

       Herr Chronos

       

       Wissen Sie immer noch nicht, wo Sie sind?

       

       Man hört Geschützdonner nah und fern

       

       Sie sind gegen Ende des ersten Weltkriegs in eine Idylle geraten.

       

       Der

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