Märchen für Kinder. Hans Christian Andersen
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„O!“ riefen alle Jungen.
„Ja, da ist es wunderbar schön! Man thut den ganzen Tag nichts Anderes als essen. Und während wir es so gut haben, ist hier zu Lande nicht ein grünes Blatt auf den Bäumen. Hier ist es so kalt, daß die Wolken in Stücke gefrieren und in kleinen weißen Läppchen herniederfallen, was dann die Menschen Schnee nennen.“
„Zerfrieren denn auch die unartigen Knaben in lauter Stücke?“ fragten die Storchkinder.
„Nein, in Stücke zerfrieren sie nicht, aber es fehlt nicht viel daran und sie müssen in der dunklen Stube und hinter dem Ofen sitzen.“
Inzwischen war schon einige Zeit verstrichen, und die Jungen waren so groß, daß sie im Neste aufrecht stehen und sich weit umschauen konnten. Der Storchvater kam jeden Tag mit wohlschmeckenden Fröschen, kleinen Schlangen und allen auffindbaren Storchleckereien geflogen.
„Hört, nun müßt ihr fliegen lernen!“ sagte eines Tages die Storchmutter, und dann mußten alle vier Junge auf die Dachfirste hinaus. O, wie sie schwankten! Wie sie suchten, sich mit den Flügeln im Gleichgewicht zu erhalten, und doch nahe daran waren, hinunter zu fallen.
„Seht nun auf mich!“ sagte die Mutter. „So müßt ihr den Kopf halten! So müßt ihr die Beine setzen! Eins, zwei! eins, zwei! Das wird euch in der Welt vorwärts bringen!“ Darauf flog sie eine kurze Strecke und die Jungen machten einen kleinen plumpen Satz. Bums! da lagen sie, denn sie waren noch zu schwerfällig.
„Ich will nicht fliegen!“ sagte das eine Junge und kroch wieder in das Nest hinein. „Ich mache mir nichts daraus, nach den warmen Ländern zu kommen.“
„So willst du also hier im Winter erfrieren? Sollen etwa die Knaben kommen und dich pfählen, abkehlen und verbrennen? Dann will ich sie rufen!“
„O nein!“ sagte das Storchkind und hüpfte dann wieder auf das Dach zu den andern. Den dritten Tag konnten sie schon ordentlich ein wenig fliegen, und nun meinten sie auch in der Luft schweben zu können.
„Aber sollen wir denn an den unartigen Knaben keine Rache nehmen?“ fragten die Storchjungen.
„Laßt sie schreien, was sie wollen! Ihr erhebt euch doch zu den Wolken und kommt nach dem Lande der Pyramiden, während sie frieren müssen und kein grünes Blatt noch einen süßen Apfel haben!“
„Ja, wir wollen uns rächen!“ flüsterten sie einander zu und dann wurde wieder fleißig geübt.
Von allen Knaben auf der Gasse war keiner ärger, das Spottlied zu singen, als gerade der, welcher es zuerst angestimmt hatte, und das war ein ganz kleiner Bursche, denn er zählte sicher nicht mehr als sechs Jahre. Die Storchkinder meinten freilich, er wäre hundert Jahre, weil er so viel größer als ihre Mutter und ihr Vater war. Was wußten sie davon, wie alt kleine und große Kinder sein könnten. Ihre ganze Rache sollte sich über diesen Knaben ergießen; er hatte ja mit dem Liede den Anfang gemacht und war dessen noch nicht müde geworden. Die jungen Störche waren sehr aufgebracht und je größer sie wurden, desto weniger wollten sie es leiden.
Nun kam der Herbst. Alle Störche versammelten sich allmählich, um gegen Winter nach den warmen Ländern zu fliegen. Was für eine Übung ging voraus! Über Wälder und Städte mußten sie, nur um zu sehen, wie gut sie fliegen könnten, denn es war ja eine große Reise, welche bevorstand. Unsere jungen Störche machten ihre Sache so hübsch, daß sie die Zensur: „Ausgezeichnet gut mit Frosch und Schlange“ erhielten. Das war das allerbeste Zeugnis und den Frosch und die Schlange durften sie essen, und thaten es auch.
„Nun müssen wir uns rächen!“ sagten sie.
„Jawohl!“ sagte die Storchmutter. „Was ich mir ausgedacht habe, das ist gerade das Richtige! Ich weiß, wo der Teich ist, in dem alle die kleinen Menschenkinder liegen, bis der Storch kommt und sie ihren Eltern bringt. Die niedlichen kleinen Kinder schlafen und träumen so süß, wie sie nachher nie mehr träumen. Alle Eltern wollen gern so ein kleines Kind haben, und alle Kinder wollen eine Schwester oder einen Bruder haben. Nun wollen wir nach dem Teiche hinfliegen und für jedes der Kinder eins holen, welche das arge Lied nicht gesungen und sich über die Störche nicht lustig gemacht haben!“
„Aber jener schlimme, häßliche Junge, welcher es zu singen angefangen hat, was machen wir mit ihm?“
„Im Teiche dort liegt ein kleines, totes Kind, welches sich tot geträumt hat. Das wollen wir zu ihm hintragen, dann muß er weinen, weil wir ihm ein totes Brüderchen gebracht haben. Allein dem guten Knaben, den ihr gewiß noch nicht vergessen habt, dem, welcher meinte: Es ist eine Sünde und Schande, sich über die Tiere lustig zu machen, dem wollen wir sowohl ein Brüderlein, als auch ein Schwesterlein bringen, und da der Knabe Peter heißt, so sollt ihr sämtlich Peter gerufen werden!“
Und wie sie es gesagt hatte, geschah es. Seitdem hießen alle Störche Peter und werden noch heute so genannt.
Der fliegende Koffer.
Es war einmal ein Kaufmann, der so reich war, daß er die ganze Straße und beinahe noch ein Seitengäßchen mit lauter harten Thalern pflastern konnte. Allein das that er nicht, er wußte sein Geld anders anzuwenden. Gab er einen Dreier aus, bekam er einen Thaler wieder. Aber er mußte doch sterben und sein Sohn bekam nun all dies Geld und er lebte lustig, ging jede Nacht auf Maskenbälle, machte Papierdrachen aus Thalerscheinen und so konnte das Geld schon abnehmen und that es auch.
Zuletzt besaß er nicht mehr als wenige Groschen und hatte keine andern Kleider als ein Paar Pantoffeln und einen alten Schlafrock. Nun bekümmerten sich seine Freunde nicht länger um ihn, da sie sich ja mit ihm zusammen nicht auf der Straße sehen lassen konnten; nur einer von ihnen, ein gutmütiger Mensch, sandte ihm einen alten Koffer und ließ ihm sagen: „Pack ein!“ Ja, das war nun wohl recht gut, aber er hatte nichts einzupacken und deshalb setzte er sich selbst in den Koffer.
Das war ein absonderlicher Koffer. Sobald man an das Schloß drückte, konnte er fliegen. Er that es und husch! flog er mit ihm durch den Schornstein, über die Stadt hinweg, hoch hinauf bis über die Wolken, weiter und immer weiter fort.
Endlich kam er nach dem Lande der Türken. Den Koffer verbarg er im Walde unter dürren Blättern und ging dann in die Stadt hinein. Das konnte er recht wohl thun, denn bei den Türken ging ja alles wie er in Schlafrock und Pantoffeln. Da begegnete er einer Frau und fragte sie: „Was ist das für ein großes Schloß hier unmittelbar bei der Stadt, dessen Fenster so hoch sitzen?“
„Ich danke!“ sagte der Kaufmannssohn und dann ging er in den Wald hinaus, setzte sich in seinen Koffer, flog auf das Dach des Schlosses und kroch durch das Fenster zur Prinzessin hinein.
Sie lag auf dem Sofa und schlief; sie war so lieblich,