Wie wir Jesus trafen und beinahe im Gefängnis übernachtet hätten. Andreas Neumann
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Nun kam meiner Ansicht nach der schwierigste Teil der Vorbereitung. Welches Equipment war unverzichtbar auf unserer Reise und welche Dinge, die wir gerne benutzten, mussten zu Hause bleiben? Wo schränkten wir uns ein? Wir hatten ja keinen Vier-Doppelrollen-Trolley mit 110 Liter Volumen dabei.
Die Erfahrungsberichte und Packlisten von anderen Pilgern haben uns auf jeden Fall etwas bei der Vorauswahl geholfen. An so etwas wie Hirschhorntalg, eine Creme, die Blasen an den Füßen und wunde Stellen verhindern soll, hätte ich nie gedacht.
Natürlich mussten auch individuelle Dinge beachtet werden. Ohne mein Taschenmesser ging gar nichts. Das bedeutete aber auch, der Rucksack konnte nicht als Handgepäck aufgegeben werden. Wäre ohnehin grenzwertig von den Maßen her gewesen. Wichtig war es auf jeden Fall, das Gewicht im Auge zu behalten, denn je schwerer die Last, desto anstrengender das Laufen.
Ich habe jedes Teil einzeln ausgewogen. Das hört sich im ersten Moment total bescheuert an – und meine Familie hat mich zu dem Zeitpunkt auch für bescheuert gehalten – aber die Summe der einzelnen Gewichte addierte sich ruckzuck in für den Rücken sehr schmerzhafte Regionen. Sandalen, die ich zuerst mitnehmen wollte, wogen zum Beispiel fast 800 Gramm. Getauscht gegen Crocs, diese neumodischen Plastikschuhe, die nur 300 Gramm wiegen, machte gleich ein halbes Kilo weniger Last. Das wusste ich aber beim Packen noch nicht. Nur, dass die Sandalen mit einem Anteil von zehn Prozent am Gesamtgewicht zu schwer waren. Also musste ich zur Auswahl des Schuhwerks mit dem idealen Gewicht zwangsläufig die Kofferwaage mit ins Schuhgeschäft nehmen. Als ich die ersten Schuhe ausgewogen hatte, kam auch schon gleich eine Verkäuferin und fragte, ob sie helfen könne ... und wo ich denn ausgebrochen sei. Am Ende des Buches gibt es die detaillierte Original-Packliste mit allen Gewichten.
Ich erwähnte eben, dass es sich bei der Auswahl des Equipments um den schwierigsten Teil der Vorbereitung handelte, aber der spannendste war er auch. Ich kam mir vor wie vor einer großen Expeditionstour, bei der es enorm wichtig ist, die richtige Ausrüstung dabeizuhaben. Alles wurde noch mal begutachtet, geprüft, Alternativen abgewogen. Als ob wir zum Mars reisen und unser Leben davon abhängen würde. Ich musste an Teil eins der Filmreihe Herr der Ringe denken, in dem die Gruppe der Gefährten nur mit Stoffbeuteln und teilweise barfuß über sämtliche Bodenarten wanderte und zusätzlich dabei noch schneebedeckte Gipfel erklomm, die normalerweise nur von Profibergsteigern bezwungen wurden. Funktionskleidung Fehlanzeige.
Und wir würden nach Portugal reisen und von Stadt zu Stadt pilgern. Irgendwann war genau aus diesem Grund dann Schluss mit dem ganzen Checken und wir fieberten voller Freude dem 2. Juli 2017 entgegen. Das wichtigste Gepäckstück trug ich sowieso immer bei mir: meine Kreditkarte.
*
Es gibt kein Zurück
Sonntag, 2. Juli 2017
Hamm: Wolken Köln: Regen Porto: Sonne
Hotel 100 Contos 50 € – Essen 24 €
So richtig wohl fühlte ich mich nach dem Aufstehen noch nicht. Keine Urlaubsstimmung. Eher Anspannung. Ich bin ein Mensch, der gerne plant und Listen erstellt, auf denen alles ersichtlich ist. Skipassverteilung, Fixkostenabrechnung, Weihnachtsgeschenke ... Solch einem Abenteuer, bei dem nichts, außer den Flügen sowie Start- und Zielort feststanden, schien ich nicht gewachsen zu sein. Ich brauchte Kontrolle und ich hatte mich dabei erwischt, wie ich dachte, so eine kleine Verstauchung oder auch ein gebrochenes Bein wäre jetzt genau das Richtige, um unschuldig aus dieser Nummer rauszukommen. Ich war ein Feigling.
Doch dann ging es doch um 7:40 Uhr bei allerbester Gesundheit von mir und Melina los. Sabine fuhr uns beide und unseren Sohn Fabian, der zurück nach Edinburgh musste, zum Bahnhof in Hamm. Dort angekommen, wurden noch einmal alle von ihr gedrückt, dann war sie auch schon wieder auf dem Weg nach Hause. Wir aber betraten die Bahnhofshalle.
Jetzt ging es los! Das Ticket am Automaten war ausnahmsweise mal schnell gelöst, die Brötchen und der Kaffee gekauft und der Zug stand auch schon da. Frühstück! Um 8:44 Uhr startete der Gleisexpress. Erst Richtung Flughafen Düsseldorf – dort musste Fabian aussteigen – und dann weiter Richtung Köln Hauptbahnhof.
Während der Fahrt in die Altbierhauptstadt unterhielt ich mich mit Fabian über verschiedene Themen. Melina saß auf der anderen Seite des Ganges, hörte Musik und schlief zwischendurch immer wieder ein. Das fing ja gut an! Schon beim Zugfahren erschöpft! Aber das lag sehr wahrscheinlich daran, dass ihr immer noch der Abiball und der damit verbundene Schlafmangel von vor zwei Tagen zu schaffen machte.
Pünktlich um 10:00 Uhr erreichten wir den Flughafen in Düsseldorf. Wir verabschiedeten Fabian und ich freute mich auf das Wiedersehen mit ihm Ende November in Edinburgh zur Verleihung der Masterurkunde. Für Melina und mich ging der Weg weiter zum Hauptbahnhof nach Köln. Weil wir noch genug Zeit hatten, wollten wir nicht sofort zum Flughafen fahren, sondern uns noch ein bisschen die Beine in der Innenstadt vertreten. Den kurzen Bummel durch Köln hätten wir uns aber eigentlich schenken können, denn gerade in dem Moment, als wir aus dem Bahnhof kamen, fing es an zu regnen.
Aber zwei Ereignisse machten den Kurzbesuch der Domstadt dennoch erwähnenswert. Das erste Ereignis war der Versuch, als Pilger den Kölner Dom zu besichtigen. Dieser Besuch scheiterte an den Security-Mitarbeitern, die uns wegen unserer Rucksäcke nicht hineinlassen wollten. Da halfen auch kein Bitten oder ein Pilgerausweis. Dies alles wäre ja noch nachvollziehbar gewesen bei den ganzen Attentaten, von denen immer wieder in den Medien berichtet wurde, wenn wir beide nicht in die Kathedrale gedurft hätten: Melina mit ihrem 50 Liter Rucksack wäre der Zugang gestattet worden, während ich mit meinem 48 Liter Rucksack keine Chance hatte. Wahrscheinlich doch mehr Gesichts- und nicht Gepäckkontrolle. Den Spruch „Dann müssen wir die Bombe eben umpacken“ habe ich mir verkniffen. Sonst wäre ich den Caminho Português sehr wahrscheinlich nicht gelaufen. Jedenfalls nicht im Juli 2017.
Das zweite Erlebnis nahmen sowohl Melina als auch ich gleichzeitig aus den Augenwinkeln wahr. Wir schauten uns danach beide an und mussten herzhaft lachen. Was war passiert?
Wir waren kurz vor einer Bäckerei, die in der Auslage zur Fußgängerzone jede Menge frisch gebackener Berliner anbot. Im selben Moment, in dem wir das leckere Fettgebäck bestaunten und der Speichelfluss im Mund wie durch Zauberhand auf enorme Weise zunahm, liefen drei Jogger im Sportlerdress und mit Pulsarmband augenscheinlich wahrnehmungsfrei daran vorbei. Doch dann stoppten sie – für uns völlig unerwartet – zehn Meter weiter abrupt ab, tauschten Blicke aus, gingen gemütlich auf die Berliner zu und verschwanden im Backshop. Welches Trainingsprogramm dort wohl absolviert wurde? Da der Regen zunahm, ging es für uns kurz danach wieder zurück zum Bahnhof und mit der S-Bahn dann zum Flughafen Köln/Bonn. Die restliche Wartezeit haben wir gut in einem amerikanischen Fast Food-Restaurant bei einem kleinen Snack und Sudoku abgesessen.
Vor dem Einchecken hatte ich dann noch die Aufgabe, meinen Rucksack in Frischhaltefolie einzuwickeln. So war er gut genug gegen Schmutz und Beschädigungen geschützt und die Walkingstöcke waren fest verstaut. Die durften auf keinen Fall verloren gehen, denn sie waren, wie sich im Laufe unserer Reise zeigte, eine große Hilfe beim Wandern.
Nachdem Melina sich dann noch frühzeitig für die Reise in der Flughafenbuchhandlung