Wie wir Jesus trafen und beinahe im Gefängnis übernachtet hätten. Andreas Neumann

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Wie wir Jesus trafen und beinahe im Gefängnis übernachtet hätten - Andreas Neumann

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Verzweiflung machte sich auf den nächsten Kilometern in meinen Gedanken breit. So hatte ich mir das Pilgern nicht vorgestellt. So leer. Nicht ein Gedanke bei Gott, bei Jesus oder der Nächstenliebe. Was war hier los? Vielleicht noch zu früh für solche Erkenntnisse?

      Erst mal weiterlaufen. Wir hatten an diesem Tag noch 21 Kilometer vor uns und es waren gut und gerne 32 Grad. Es war unser erster Tag in dieser Wildnis. Nach zwei Stunden dachte ich: „Welcher Vollidiot ist nur auf die Idee gekommen, dass das Pilgern schön ist?“

      Ganz ehrlich! In vielen Berichten hatte ich gelesen, wie toll und herrlich das alles sein sollte. So mit dem Treffen von anderen Pilgern, das Übernachten in den Herbergen, das Laufen und das Waschen der Klamotten. Das aber konnte ich gerade bei tiefblauem Himmel, gefühlten 35 Grad, den ganzen Menschen am Strand und im Meer und den vielen Strandbuden mit Eis und Bier nicht nachvollziehen. Anstatt auf dem Weg eine göttliche Eingebung zu bekommen, zweifelte ich immer mehr an dem, was Melina und ich hier gerade machten. Es wurde immer heißer und der Strandweg spendete kein Fleckchen Schatten. Wir mussten etwas unternehmen, damit wir nicht schon am ersten Tag zusammenbrachen.

      Ab ins Meer. Vorher noch ein kleiner Abstecher zu einem riesengroßen Supermarkt, der sich an unserer rechten Seite zwischen zwei Häuserfronten kurz zu erkennen gab. Wasser, Cola, O-Saft wurde gekauft – alles eiskalt. Ich habe an diesem 3. Juli insgesamt fünf Liter getrunken.

      Nach der Flüssigkeitszufuhr ging es in die tosenden Wellen. Dann kam unsere erste Prüfung, denn die Wassertemperatur lag bei gefühlten zehn Grad. Man konnte nur kurz ins Wasser, weil der Körper so schnell auskühlte, vor allen Dingen die Arme, dass es schwierig wurde, wieder Richtung Strand zu kommen. Hinzu kam der Wellengang, der es nicht gerade leichter machte, das Ufer zu erreichen. Beruhigend war, dass wir uns an einem bewachten, extra ausgewiesenem Badebereich befanden. Ich kann nur davon abraten, hier an einer unbeaufsichtigten Stelle ins Meer zu gehen.

      Kurz darauf waren wir wieder im glühenden Sand, der kurz davor war, sich in geschmolzenes Glas zu verwandeln. Aber die Abkühlung hatte geholfen. Danach fiel das Wandern wieder leichter und wir machten öfters kleine Trinkpausen, bei denen wir das bunte Treiben am Strand neidisch beobachteten.

      Kurz vor Vila do Conde ging bei Melina so gut wie nichts mehr. Die Füße machten schlapp und wir kamen nur noch sehr langsam voran. Das gab uns die Gelegenheit, zwei Arbeitern, die gemütlich vor uns herliefen, bei der Kontrolle des Holzsteges zuzuschauen. Sie überprüften den Weg auf gebrochene oder hochstehende Holzbohlen und markierten diese Bereiche mit rot-weißem Flatterband.

      In diesem Moment kam entweder der penible Deutsche oder die perfektionistische Jungfrau in mir zum Vorschein. Ich hatte nichts Besseres zu tun, als die Arbeit der beiden zu kontrollieren und Melina immer wieder auf übersehene Stellen hinzuweisen. Ich glaube, sie war etwas genervt von mir. Ich kann nicht unerwähnt lassen, dass, wenn ich auch Flatterband dabeigehabt hätte, meine Rolle eher leer gewesen wäre als die der beiden Portugiesen. Half uns aber ehrlich gesagt in diesem Moment auch nicht wirklich weiter.

      Die letzten Meter bis zur Herberge waren für Melina und mittlerweile auch für mich sehr anstrengend. Mit ein Grund dafür war, dass der Weg sich nun vom Strand weg ins Innere des Landes verschoben hatte und die Hitze ohne die frische Brise vom Meer noch unerträglicher wurde. Dann war es endlich geschafft und wir hatten unser Tagesziel, die Herberge Santa Clara, erreicht.

      Wir bekamen zwei Betten in einem Schlafsaal für zehn Personen und ich fühlte mich sogleich zurückversetzt in alte Jugendherbergszeiten. Gemeinschaftsduschen und Gemeinschaftsspeisesaal inklusive. Mit einer Kissenschlacht brauchte ich allerdings nicht zu rechnen. Völlig erschöpft machten wir erst einmal Pause auf den gewöhnungsbedürftigen Plastikmatratzen, bevor es ans Duschen ging. Für ein Abendessen im Restaurant O Mestre reichten unsere Kräfte danach gerade noch und bei einem Gespräch waren Melina und ich uns schnell einig, am nächsten Tag die 28 Kilometer Wanderung nach Marinhas ausfallen zu lassen und stattdessen, der Gesundheit und des Gesamtprojekts zuliebe, den Bus zu nehmen.

      Am nächsten Morgen wussten wir, dass es die richtige Entscheidung war, denn wir hatten in dieser Schlafsaal-Sauna kaum geschlafen. Zehn Menschen auf etwa zwanzig Quadratmeter und nur zwei kleine Fenster auf Kipp, die zu einem angrenzenden Lagerraum führten, und das Ganze bei den vorherrschenden Außentemperaturen, grenzte schon fast an Folter.

      Es konnte nur besser werden.

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