Entdeckungen im Umbruch der Kirche. Группа авторов

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Entdeckungen im Umbruch der Kirche - Группа авторов Kirche im Aufbruch (KiA)

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anderes entdecken als nur einen Vorläufer ihres 700 Jahre später gekommenen eigentlichen Propheten Mohammed? Es sind die jungen Einwanderer, die unsere Zukunft mitbestimmen werden. Was hindert uns, um sie mit der Liebe Christi zu werben? Nicht in der Situation von Verfolgung und Mangel, da brauchen sie Gastfreundschaft und Solidarität. Aber in absehbar kommenden Begegnungen auf Augenhöhe, in allen Kontaktmöglichkeiten, die unsere offene Gesellschaft braucht und bietet. Einladende Präsenz, Zeugnis des Evangeliums und Austausch des Lebens können Menschen zu Christus führen. Die weltweite Kirche tut das, ohne dass Dialog, Konvivenz und Mission zu Alternativen werden. In Tansania etwa gibt es sowohl eine Tradition des friedlichen Zusammenlebens wie auch eine nennenswerte Zahl ehemaliger Muslime, die Christen geworden sind. Hier in Deutschland sind es an einigen Orten iranische Schiiten, die sich für den christlichen Glauben interessieren und sich taufen lassen.

      Oder da ist die wachsende Zahl der Indifferenten. Detlef Pollack stellt fest: „Oft steht hinter der Abwendung von Religion und Kirche nicht eine bewusst vollzogene Wahl, sondern lediglich eine Aufmerksamkeitsverschiebung.“ Diese ‚Distraktions-These‘ sagt nicht, dass der Gottesdienst an sich für Indifferente uninteressant wäre, sie stellt aber sein schleichendes Ersetzen durch anderes fest: „Sie haben einfach anderes zu tun. Kircheninterne Gründe, dem Gottesdienst fernzubleiben, schlechte Predigten oder störender Gesang spielen hingegen keine zentrale Rolle. […] Die Abwendung von der Kirche vollzieht sich […] lautlos, unreflektiert und geradezu automatisch, als eine Abstimmung mit den Füßen, die sich einfach nicht mehr in Bewegung setzen wollen.“10 Auch das ist kein Automatismus: Warum soll es unmöglich sein, offene Indifferente wieder in relevante, einladende und kulturnahe Gottesdienste zu locken? 2011 kamen 70.000 Menschen in Großbritannien in Gottesdienste, die ohne Einladung nie dahin gekommen wären; Gottesdienst kann durchaus attraktiv sein, wie die Auswertungen des jährlichen Back to Church Sunday zeigen. Einige Pilotregionen hier werden es in den nächsten Jahren ausprobieren, ob und wie Gottesdienst auch in Deutschland für Distanzierte oder Indifferente eine inspirierende Erfahrung, eine Option auf Gottesbegegnung werden kann.

       3. Die Handelnden: Zur Kreativität der Verantwortung

      „Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin, und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge“, dichtet Kurt Marti.11 Bei der Transformation unserer Kirchen und Gemeinden hin zu zukunftsfähigen Gestalten spielen risikobereite Verantwortliche, Pioniere, Kundschafterinnen, Anstoßgeber auf allen Ebenen eine Schlüsselrolle: Es sind die mit der Initiative, die Multiplikatorinnen und Leitungsverantwortlichen. Aufbrüche beginnen mit den Vernetzungen bestimmter Typen von Gemeindegliedern, Wachstum von Gemeinden und Erfolg von Projekten hängen ab von bestimmten Schlüsselbegabungen der Verantwortlichen.

      Hier ist eine auffällige Weiterentwicklung gegenüber dem lange vorherrschenden strukturellen Denken zu beobachten: Einzelnen Akteuren kommt in Veränderungsprozessen eine viel größere Rolle zu, „als ihnen lange Zeit – in welcher das Forschungsinteresse zumeist auf die Grenzen des Handelns und systemische Emergenzeffekte gerichtet war – zugestanden worden ist“.12 Initiative Personen können größere Gruppen motivieren, Transformationen auslösen, Umbrüche begleiten und durch die langen Strecken der Wüste das Ziel im Blick behalten. Sie sind Multiplikatoren, vermitteln zwischen abgeschlossenen Gruppen. Sie praktizieren die „Stärke der schwachen Bindungen“ (nach Mark Granovetter13), also die Stärke von Kontakten, Bekanntschaften und Begegnungen. Enge Freunde, tiefe Beziehungen beschränken uns mit ihren starken Bindungen auf die eigene kleine Welt, aber je mehr Bekannte man hat, desto mehr Einfluss ist möglich, denn Bekannte leben noch in ganz anderen Welten. Gemeinden tendieren zu starken Bindungen – gut für alle, die dazugehören, schlecht für die anderen, also für die Reichweite und für die Mission. Initiative Personen leben in vielen schwachen Bindungen, bauen Brücken zu anderen Gruppen, sind Verbindungen in Netzwerken.

      In der Change-Management-Forschung werden diese Schlüsselpersonen von Veränderung Heroes genannt, Pioniere des Wandels, change agents: „Sie verbreiten Innovationen, indem sie eine Politik des ‚Weiter-so-wie-bisher‘ hinterfragen, eine alternative Praxis schaffen und somit etablierte Weltbilder und Pfade in Frage stellen, Einstellungs- und Verhaltensmuster herausfordern sowie bei neuen Gleichgesinnten (followers, early adopters) eine dauerhafte Motivation zum selbst tragenden Wandel schaffen.“14

      Es gibt verschiedene Funktionen und Typen der change agents, die sich überlagern können. ‚Welt im Wandel‘ kennzeichnet deren Rolle sowohl bei Innovation wie bei Umsetzung so: „Im Innovationszyklus handeln Pioniere des Wandels, indem sie offene Fragen und Herausforderungen benennen und auf die Tagesordnung setzen, indem sie als Katalysatoren Problemlösungen erleichtern, indem sie als Mediatoren zwischen Konfliktgruppen vermitteln oder in Gruppen blockierte Entscheidungsprozesse freisetzen, indem sie disparaten Innovationsbedarf zusammenfassen oder indem sie zur Problemlösung notwendige institutionelle Innovationen ‚von unten‘ oder als Entscheidungseliten ‚von oben‘ auf den Weg bringen. Im Produktionszyklus betätigen sich Pioniere des Wandels als Erfinder, Investoren, Unternehmer, Entwickler oder Verteiler neuer Konzepte, Produkte und Dienstleistungen, aber auch als ‚aufgeklärte Konsumenten‘, indem sie neue Produkte nachfragen und zirkulieren lassen.“15 In kirchlichen Umbrüchen werden sie auf allen Ebenen benötigt und brauchen ihre Freiräume.

      Pioniere des Wandels sind unersetzlich: Sie bilden auf der Mikroebene das Gegengewicht zu den allgegenwärtigen Vetospielern, ähnlich wie Aufbruchsstimmung auf der Mesoebene Verlustaversionen auffängt und Innovation auf der Makroebene Kulturbarrieren überwindet.16 Eine Übertragung auf unsere drei Ebenen Gemeinde, Kirchenbezirk und Landeskirche liegen nahe. Wir im ZMiR suchen bundesweit nach Pionieren des Wandels, weil wir auswerten wollen, was sie wagen, weil wir sehen wollen, was sie richtig und was sie falsch machen – von beidem können viele andere lernen. Interessanterweise hat die anglikanische Kirche inzwischen landesweit einen eigenen pastoralen Ausbildungsgang für Pioniere (pioneer ministry) eingerichtet – eia, wären wir da.17

      Mit ihren Haltungen und ihren Möglichkeiten können Leitungsverantwortliche Kreativität in Kirche und Gemeinden unterstützen, zwei Faktoren werden dabei oft unterschätzt. Der eine Faktor ist ein größtmögliches Maß an Freiwilligkeit. Es gibt vor, neben und nach allen verpflichtenden synodalen Mehrheitsentscheidungen ein weites Feld von veränderungsrelevanten Entscheidungen und Prozessen, die nicht von 100-Prozent-Teilnahme abhängen, wo eine einladende Freiwilligkeit aber Klima, Kultur und Wirkung von Veränderungen entscheidend mitbestimmt. Freiwillige Prozesse setzen auf die Gewinnung von Menschen, auf ihre Motivation und Leidenschaft, auf ihre Einsicht und Partizipation. Wer so gewonnen ist, wird nicht zähneknirschend oder mit dem geringstmöglichen Einsatz mitmachen, sondern sich die Anliegen zu eigen machen und sein Bestes geben. Einfach gesagt: Kreativität geht nur freiwillig. Umgekehrt: Wer zunächst zurückbleiben darf, kann durchaus später durch den Sogeffekt noch an Bord kommen – vorausgesetzt, es gibt weitere Zustiegsmöglichkeiten in Veränderungsprozessen. Der Gewinn, die guten Ergebnisse oder Leidenschaften anderer haben ihre eigene langfristige Attraktivität: „Wenn die das haben, wollen wir das auch haben.“

      Ein weiterer Schlüsselfaktor ist ein größtmögliches Maß an Kommunikation. Trotz aller unserer Papiere und Texte sind Menschen erschreckend uninformiert, bleiben unbeteiligt, sowohl im Vorfeld als auch während oder im Nachgang von Entscheidungen. Hier gibt es eine Art von kollektiver evangelischer Beschluss-Illusion: Wir glauben an die Selbstwirksamkeit von synodalen Beschlüssen und an die Selbstevidenz von kirchlichen Texten. Die Kirche des Wortes tritt vor allem als Kirche der Texte auf. Aber das bleibt eine Illusion: Gewonnen werden Menschen nicht zuerst durch Information, sondern durch Kommunikation. Jeder „Transformationsprozess ist zum Scheitern verurteilt, wenn ‚Experten‘ auf die Selbstevidenz der Vernünftigkeit ihrer am grünen Tisch erarbeiteten Vorschläge setzen und ‚Laien‘ durch Informationskampagnen und Anreizsysteme veranlassen (wollen), entsprechende Maßnahmen im Nachhinein zu akzeptieren.“18

      Die eigentliche Arbeit fängt lange vor der Entscheidung an, der eigentliche Transfer findet v.a. persönlich statt: Wer mich erreichen oder

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