Entdeckungen im Umbruch der Kirche. Группа авторов

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Entdeckungen im Umbruch der Kirche - Группа авторов Kirche im Aufbruch (KiA)

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Wenn ich jemand von unserer Arbeit im ZMiR berichte, überreiche ich den Veröffentlichungsprospekt selten ohne eine Erzählung aus einem konkreten Projekt. Ich frage auch häufig zurück, z. B.: Worauf würden Sie sich jetzt an unserer Stelle konzentrieren? Denn der fremde Blick ist für die eigene Planung unersetzlich. Und ich versuche, gerade die einzubinden, die nicht alles bestätigen, die kreativen Unruhestifter, die mit dem eigenen Kopf, die abseits der gewohnten Wege. Wir laden z. B. häufig neue Menschen ins Team ein, um mit ihnen Arbeitsvorhaben zu diskutieren, weil wir wissen, zu viele Verantwortliche haben sich schon in ihrem selbstreferenziellen Denken (group think) verrannt.

      In Köln endet Kopisch’ Ballade mit einer Klage:

       O weh! nun sind sie alle fort

       Und keines ist mehr hier am Ort!

       Man kann nicht mehr wie sonsten ruhn,

       Man muß nun alles selber tun!

       Ein jeder muß fein

       Selbst fleißig sein,

       Und kratzen und schaben

       Und rennen und traben

       Und schniegeln und biegeln,

       Und klopfen und hacken

       Und kochen und backen.

       Ach, daß es noch wie damals wär!

       Doch kommt die schöne Zeit nicht wieder her!

      In London habe ich etwas anderes gefunden: Den Rechenschaftsbericht des Bischofs von London über den erstaunlichen missionarischen Aufbruch in seiner Diözese, den Richard Chartres nach 20 Jahren vorgelegt hat. Ich habe selten solch eine Kombination von Weisheit, Demut und Klarheit gefunden wie hier.19 Er reflektiert mehrere seiner Schlüsselentscheidungen, z. B. dass er als erster Bischof seit 200 Jahren wieder mitten in die City zieht. Er schildert die völlig überholte Struktur der großen Diözese am Ende der 80er Jahre mit ihrer Unzahl von Gremien und Ausschüssen für alles Mögliche, die man angesichts des Niedergangs einrichtete, mit dem erklärten Ziel, Beteiligung an Entscheidungen auszuweiten und Einsatz zu ermöglichen. Das Ergebnis war leider das Gegenteil: Überarbeitete Hauptamtliche, die sich mit den immer gleichen Themendiskussionen in kaum unterschiedlichen Gremien wiederfanden. Es gab Ideen in Fülle, nicht wenige neue Initiativen, aber es blieb kaum Energie für Umsetzung übrig. Die Verschmelzung bzw. Beendigung vieler Gremien schloss ein schwarzes Loch der Energie, die notwendigen Anstrengungen konnten endlich an denjenigen Orten landen, die Leben bewiesen und das missionarische Gen besaßen. Ähnlich wurde ein Finanzsystem umgestrickt, das faktisch Wachstum besteuerte und Tatenlosigkeit subventionierte – und dadurch viele in den Aufbrüchen frustrierte.

      Richard Chartres schildert schwere Entscheidungen, die er gegen den Rat seiner Fachleute traf, z. B. den Erhalt und die Neubesetzung mehrerer Innenstadtkirchen, die angesichts zu geringer Teilnahme geschlossen werden sollten – alles unter der Anfechtung, dass er hier möglicherweise statt Glaubensschritten historische Fehler machte. Er weiß um den begrenzten Einfluss von Kirchenleitung, bietet aus seiner Erfahrung verschiedene Bilder dafür an: Leitung bedeutet Gemeinden segnen oder das Ganze im Blick halten, heißt Dirigent eines Orchesters sein oder ein Mitarbeiter unter vielen am Evangelium. Er redet vom ‚funktionalen Atheismus‘ in Teilen der Kirche: Er könne seinerseits nicht glauben, dass der Heilige Geist, der Urheber von Wachstum, eine schlichte Gussform, basierend auf Ökonomie, sei, und wisse, dass Programme und Beschlüsse aus sich nur eine sehr begrenzte Wirksamkeit hätten. So sei er, vom Wesen her eigentlich ein introvertierter Beobachter und Kommentator, durch die Berufung zum Bischof gezwungen worden, „a committed midwife of change“ zu werden, eine begeisterte Geburtshelferin des Wandels, was schlicht bedeute: vereinfachen, Störungen aus dem Weg räumen und dabei ein lebendiges Vertrauen auf Gott zu bewahren.

      Die Zeit der Heinzelmännchen ist längst vorbei, Gegenwart wie Zukunft bieten definitiv keine Möglichkeit, Verantwortung an irgendwelche geheimnisvollen Problemlöser zu delegieren. Aber die schönen Zeiten liegen jedenfalls nach Jesaja 43 vor uns, und dafür können wir gar nicht genug ‚midwives of change‘, Geburtshelfer der Veränderung, haben.

       4. Literatur

       Bücher

      BARTH, KARL, KD IV, 2, Zürich 19854.

      BAUMFELD, LEO, Lebendigkeit und Institution. 1.7, Das Vitalitätsfenster, ZMiR:klartext Dortmund 2016, 31.

      EVANGELISCHE KIRCHE IN DEUTSCHLAND, Gemeinsam evangelisch! Erfahrungen, theologische Orientierungen und Perspektiven für die Arbeit mit Gemeinden anderer Sprache und Herkunft, EKD-Texte 119, Hannover 2014.

      GOLEMAN, DANIEL/KAUFMAN, PAUL/RAY, MICHAEL, Kreativität entdecken, München/Wien 1997.

      GRANOVETTER, MARK S., The Strength of Weak Ties, American Journal of Sociology 78 (1973).

      LOHFINK, GERHARD, Wie hat Jesus Gemeinde gewollt? Herder TB, Freiburg 1993 (1982).

      POLLACK, DETLEF/ROSTA, GERGELY, Religion in der Moderne. Studienbrief R16. brennpunkt gemeinde 5/2015.

      POMPE, HANS-HERMANN, Nachfolge mit leichtem Gepäck. Eine Einladung zur geistlichen Reise, Neukirchen-Vluyn 2015.

      POMPE, HANS-HERMANN, Innovationen und frühe Mehrheiten, zmir:werkzeug Dortmund 2012.

      WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT GLOBALE UMWELTVERÄNDERUNGEN, Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation, WBGU Berlin, 20132, (2011).

       Elektronische Quellen

      CHARTRES, RICHARD, Lambeth Lectures, 30. September 2015, unter: <http://www.archbishopofcanterbury.org/articles.php/5621/bishop-of-london-delivers-lambeth-lecture-on-church-growth-in-the-capital>.

      JOAS, HANS, Das Christentum globaler denken, unter: <http://blog.radiovatikan.de/„das-christentum-globaler-denken> (19. Juni 2012); eingesehen am 19. 12. 2015.

      KOPISCH, AUGUST, Die Heinzelmännchen zu Köln (1836), zit. nach: <http://gutenberg.spiegel.de/buch/august-kopisch-gedichte-695/3>.

      PRESSE- UND INFORMATIONSAMT DER BUNDESREGIERUNG (Hrsg.), Dialog über Deutschlands Zukunft. Ergebnisbericht des Expertendialogs der Bundeskanzlerin 2011/2012, 75 f. Digital unter: <www.dialog-ueber-deutschland.de/ergebnisbericht-lang>.

       Annegret Böhmer

       Salto ecclesiale

       Von der Angst zur Motivation kommen im Umbau, Abbau, Aufbruch

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