Ich bin Matteo Salvini. Chiara Giannini
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Und Matteo Salvini, ein Italiener unter Italienern, voller Liebe für sein Land, hat genau das verstanden: wir trauern dem nach, was wir waren. Wir trauern den Zeiten der Lira nach, als wir noch das Geld für einen zusätzlichen Urlaub in der Tasche hatten und als wir nicht einmal wußten, was die Equitalia10 überhaupt sein könnte. Wir trauern der Einberufung zum Militärdienst nach, der Disziplin jener Zeiten, als es noch sehr viel weniger Überwachung aber paradoxerweise mehr Sicherheit gab.
Und doch kann man nicht an einer Vergangenheit kleben bleiben, die notwendigerweise Platz gemacht hat für eine modernere Gegenwart. Man muß sich den Zeiten anpassen. Und wenn es früher die Marktplätze der Landgemeinden waren, auf denen sich Don Camillo und Peppone nach Dienstschluß über den Weg liefen, um sich verbale Ohrfeigen zu verabreichen, so haben sich die Debatten in der heutigen Zeit an den PC verlagert, den eigentlichen Ort der massenmedialen Teilhabe. In einer Zeit des Virtuellen, die spätestens mit dem Auftreten der 5G-Technik dazu übergeht, eine tatsächlich automatisierte und von der Kybernetik geprägte Zukunft zu werden, war gewiß ein Mann vonnöten, der mit dieser Zeit Schritt hält und einen überholten Politiker-Typus in Rente zu schicken, der mit einem stattlichen Bäuchlein fest an seinem Stuhl klebt.
Das ist der Grund, warum Salvini für den Großteil der Italiener den perfekten leader verkörpert: er versteht die Lebenswirklichkeit von Jung und Alt einfach gleichermaßen. Man erinnert sich seines Kampfes an der Seite von Oma Peppina, die nach dem Erdbeben 2016 einfach nicht aus ihrem Häuschen ausziehen wollte, aber erinnert sich auch, wie er mit jenen Schulkindern Eis aß, die in San Donato bei Mailand nur knapp dem Feuertod entronnen waren, nachdem der senegalesische Fahrer ihren Schulbus angezündet hatte.
Er ist der personifizierte Widerstand gegen die unkontrollierte Einwanderung, das Symbol der geschlossenen Häfen und der Hoffnung, daß das angenehme Leben der Kriminellen ein Ende haben wird. Er steht für das Notwehrrecht der Italiener ein und ist der Inbegriff eines breiten gesellschaftlichen Zuspruchs innerhalb der sozialen Netzwerke. Er ist der Superman, der gegen das Böse kämpft, der Clark Kent, der tagsüber als ganzer normaler Mensch inmitten der Leute lebt, sich bei Bedarf aber in den Retter der Welt verwandelt. »Der Capitano kümmert sich drum« ist mittlerweile die Devise innerhalb der Lega und unter den Unterstützern Salvinis, der es besser als jeder andere Minister versteht, die sozialen Medien für sich zu nutzen. Ja, diese sind das eigentliche Streitroß eines Mannes, der es dank seiner Social-Media-Mitarbeiter, rekrutiert aus eifrigen und klugen jungen Sympathisanten, erreicht hat, seine Zustimmungswerte in den Himmel schießen zu lassen. Sein unverzichtbarer Leiter im Bereich der sozialen Medien, Luca Morisi, bestimmt jedes noch so kleine Detail, bevor ein Post veröffentlicht wird, und arbeitet ohne Pause. Denn das hat man in der Lega, zumindest auf der Führungsebene, verstanden: Bummeln wird nicht hingenommen.
Salvini ist auch der unermüdliche Mann, über den sein Chefsekretär Andrea Paganella unverblümt sagt: »Ich weiß nicht, woher er die Energie nimmt.« Eine offene Frage, die auch seine frühere Pressesprecherin Iva Garibaldi nicht beantworten kann, die heute für seine Fernsehauftritte verantwortlich ist, also das andere Medium, auf das der Vizepremier setzt. Es ist direkter und unmittelbarer als die Printmedien, die letztlich ihrem Sonnenuntergang entgegengehen, begleitet von der Melancholie einiger Romantiker, die immer noch unbedingt jeden Morgen dünnes Papier streicheln wollen.
Und doch ist der derzeitige Innenminister alles andere als ein Roboter, denn in seiner Brust schlägt das Herz eines Vaters, der sich gegenüber Tierquälerei, Gewalt und Unrecht erzürnt. Dem nach seinem Besuch der verletzten Kinder der Tragödie von Corinaldo11 vor Rührung Tränen in den geröteten Augen standen, oder der in Genua unmittelbar nach dem Einsturz der Morandi-Brücke zusammen mit den Feuerwehrleuten den Unfallort inzipierte. Aber er ist auch der zerbrechliche Mann, dem das Ende der Beziehung zu der schönen Fernsehmoderatorin Elisa Isoardi das Herz brach, was einen sichtbaren Hauch von Trauer auf seinem Gesicht hinterließ.
Daneben bleibt Salvini ein Mann für Überraschungen, der zuerst sagt, daß er sich vor Denis Verdini12 ekele, um sich dann mit dessen Tochter Francesca in süßer Eintracht von Paparazzi fotografieren zu lassen, was gleichermaßen für Kritik wie Verwunderung sorgte.
Stets bereit, anderen zu helfen, mag er nicht auf seine täglichen Postings verzichten, in denen er Ungerechtigkeiten und Widersprüche aufgreift und all das thematisiert, das in Italien ganz einfach schiefläuft. Er ist es, der sich eine Polizeijacke überwirft, um damit seinen Stolz darüber zu bekunden, daß er der Minister all derer ist, die auf den Straßen unterwegs sind, um Leben zu retten. Er tut dies trotz aller Kritiken, trotz der Angriffe von Gad Lerner, Roberto Saviano, Laura Boldrini der »radical chic«13 aus den Zeiten Matteo Renzis und der gar nicht vom Volk gewählten technischen Regierungen, von denen man glaubte, sie würden gar nicht mehr verschwinden. Und als die letzten Wahlen, die vom 4. März 2018, dem fragwürdigen Brauch ein Ende setzten, daß man sich ohne vom Volk gewählt worden zu sein zur Regierung erklärt, da machte ein legendärer Ausspruch die Runde: »La pacchia è finita« (»Das angenehme Leben ist vorbei«)! Die Italiener haben Salvini gewählt, damit er sie anführt, zusammen mit einer weiteren politischen Kraft, der Fünf-Sterne-Bewegung, die ebenfalls Ausdruck eines gewissen Volkswillens ist, jedoch gewiß eines anderen, und ihrerseits weniger populistisch agiert. Denn während die Lega auch erfahrene Politiker vom alten Schlag aufbietet, treten bei den Fünf Sternen Gestalten an, die von hier und da rekrutiert werden, die über keine politische Erfahrung verfügen und nur mit wenigen Stimmen gewählt wurden. Genau dies ist der Grund, warum Salvini, anders als sein Regierungspartner, nach Bildung der Koalition so viel Zustimmung gewonnen hat: Auf der einen Seite steht die Lega mit ihrer politischen Schule, aus der alle diejenigen stammen, die sich der Verwaltung des Landes widmen möchten, auf hoher wie niedriger Ebene; auf der anderen Seite steht die Fünf-Sterne-Bewegung – mit Befehlsketten, die von oben nach unten verlaufen und wo keiner weiß, woher die Anordnungen wirklich kommen –, die unter dem Gewicht der massiven Zustimmung, die der Vizepremier täglich weiter zu steigern weiß, schlicht zusammenzubrechen droht.
Bislang also nur Lob. Aber hat Salvini, dieses Phänomen unserer Tage, denn etwa keine Schwächen? Sie werden es in dem Kapitel der einhundert Fragen erfahren, die wir ihm gestellt haben.
Sicher ist, daß die wichtigsten Kritiken, die an dem Innenminister geübt werden, eigentlich Programmpunkte der Fünf-Sterne-Bewegung betreffen, was häufig nur nicht gesehen wird. Wenige wissen, daß bereits vor den Wahlergebnissen des 4. März 2018 über eine Koalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung nachgedacht wurde, denn in der Parteizentrale der Lega befürchtete man seit Monaten, auf diese Variante angewiesen zu sein. Lange schon hatte man verstanden, daß die Stimmen für Forza Italia und Fratelli d’Italia nicht ausreichen würden, um eine stabile Mitte-Rechts-Regierung zu bilden. Um also das Risiko einer erneuten technischen Regierung zu verhindern, wählte man das kleinere Übel. Allerdings würde Salvini das nie so deutlich zugeben, auch wenn die Reibungen zwischen den beiden politischen Lagern deutlich spürbar sind.
Einmal ließ Verteidigungsministerin Elisabetta Trenta (Fünf-Sterne) verlautbaren, daß die Wiedereinführung der ausgesetzten Wehrpflicht nicht vorgesehen sei, da hierfür nicht nur keine Gelder zur Verfügung stünden, sondern auch die Kasernen längst aufgegeben worden seien. Kaum war das ausgesprochen, folgte die klare Entgegnung Salvinis: »Der Wehrdienst würde den jungen Leuten dabei helfen, mal ein bißchen Erziehung zu genießen.«
Einige Monate später wurde gegen Salvini Ermittlungen im Fall des Rettungsschiffes Diciotti eingeleitet, dem er zunächst die Einfahrt in italienische Häfen verweigerte. Die Abgeordneten der Fünf-SterneBewegung haben ihn gerettet, indem auch sie gegen die Genehmigung zur Einleitung eines Verfahrens gegen den Innenminister stimmten. Als sich aber Danilo Toninelli, Minister für Infrastruktur und Verkehr, am folgenden Tag einem Mißtrauensantrag ausgesetzt sah, war von